Beim Leadership Summit im August sprach Bill Hybels mit Melinda Gates über die Ziele und Herausforderungen der »BILL & MELINDA GATES STIFTUNG«. Die Non-Profit-Organisation hilft Menschen dabei, ein gesundes und produktives Leben zu führen. In den Entwicklungsländern konzentriert sich die Stiftung auf die Verbesserung der Gesundheit der Menschen und unterstützt sie in ihren Chancen, sich aus Hunger und extremer Armut zu befreien. Ein Gesprächs-Auszug.

Bill Hybels: Du bist nach eigenen Angaben in einer sehr intakten Familie aufgewachsen und hast deine Grundschul- sowie Highschool-Zeit auf einer katholischen Mädchenschule verbracht. Das hat dich zu einer »ungeduldigen Optimistin« werden lassen, wie du es nennst. Was meinst du damit?

Melinda Gates: Wir hatten ein sehr enges Verhältnis untereinander. Meine Eltern gingen jeden Sonntag mit uns vier Kindern in den Gottesdienst. Im Laufe der Jahre haben wir verschiedene Gemeinden besucht, sodass ich einen guten Überblick bekommen habe. Meinen Eltern war wichtig, dass wir eine katholische Schulbildung erhielten, und die hat mich sicher geprägt. Wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, verändert sich die Welt in vielerlei Hinsicht zum Positiven – trotz der täglichen Negativschlagzeilen: Die weltweite Armut wurde in den letzten 25 Jahren halbiert. Seit 1990 hat sich die Kindersterblichkeitsrate um 50 % verringert. Das Gleiche gilt für die Müttersterblichkeitsrate. Wir verändern also etwas in der Welt. Das macht mich optimistisch. Dennoch bin ich ungeduldig – wie auch mein Mann Bill.

Warum?

Weil wir hier in der USA so viele Ressourcen besitzen. Wenn wir noch mehr davon den Menschen in den Entwicklungsländern zugutekommen ließen, könnten wir die Zahlen noch mal um die Hälfte reduzieren. Und das in noch kürzerer Zeit. Bill und ich haben die feste Überzeugung: Jedes Menschenleben ist gleichwertig – ganz gleich, wo es gelebt wird. Deshalb müssen wir alle Menschen auch gleich behandeln und in gleicher Weise in sie investieren.

Nach der Mädchen-Highschool bist du an die »Duke Universität« gegangen und hast Informatik studiert. Kein typischer Studiengang für Frauen.

Das stimmt. Aber ich liebe Technologie. In der Highschool hatte ich eine Lehrerin, die früh erkannte, dass ich gut in Mathe war. Sie ging daraufhin zur leitenden Nonne und erwirkte, dass wir ein Dutzend Computer anschafften – es waren Apple II Geräte. Ich begann früh damit zu programmieren und habe es geliebt.

1987 hast du dann bei Microsoft angefangen – weshalb dort?

Ich hatte diverse Jobangebote. Aber während meines Studiums habe ich im Sommer immer bei IBM gearbeitet. Als ich dort mit meiner Vorgesetzten – einer Frau – über meine Zukunftspläne sprach, sagte ich ihr, dass ich demnächst ein Bewerbungsgespräch bei einer kleinen Firma namens Microsoft in Seattle haben würde. Meine Vorgesetzte sagte: Wenn du von denen ein Jobangebot erhältst, solltest du es unbedingt annehmen. Ich war verwirrt, dass sie mir nicht vorschlug, beim etablierten Unternehmen IBM einzusteigen. Ihre Antwort: Deine Chancen, als Frau mit deinen Kapazitäten bei Microsoft Karriere zu machen, werden riesig sein! IBM ist zwar fantastisch, meinte sie, aber es würde lange dauern, bis du dich durch die Hierarchien hochgearbeitet hättest.

Bei Microsoft bekamst du tatsächlich recht bald eine leitende Position.

Meine Zeit dort war großartig. Wir haben die Welt verändert; haben dazu beigetragen, dass es in jedem Haus einen Computer gab. Wir haben quasi aus dem Nichts Produkte entworfen, die es nie zuvor gegeben hatte. Als ich Microsoft nach neun Jahren verließ, war ich in meiner Abteilung für 1.800 Angestellte verantwortlich.

Viele sind natürlich neugierig, wie du deinen heutigen Mann Bill Gates kennengelernt hast. Hast du dich in seiner Abteilung herumgedrückt oder er sich in deiner?

Die Firma war noch relativ klein. Schon nach drei Wochen sollte ich nach New York reisen und dort ein Meeting leiten. Ich war zuvor noch nie in einer Stadt dieser Größe gewesen. Unser Büro teilte mir mit, dass ich aus Kostengründen in einem Doppelzimmer mit einer anderen weiblichen Angestellten übernachten würde. Diese Zimmergenossin sagte mir, dass es am Abend ein Essen mit anderen Microsoft-Mitarbeitern geben würde, die ebenfalls in der Stadt seien. Als ich ankam, waren von den 30 Plätzen nur noch zwei frei. Und als Letzter kam schließlich Bill Gates – es gab für ihn nur noch einen freien Platz – den neben mir.

Manchmal zahlt es sich aus, zu spät zu kommen. War es Liebe auf den ersten Blick?

Würde ich nicht sagen. Er fragte mich allerdings, ob ich in zwei Wochen mal mit ihm ausgehen würde. »In zwei Wochen?«, fragte ich. Ich habe keine Ahnung, was ich in zwei Wochen machen werde, war meine Reaktion. Als wir dann schließlich ausgingen, merkte ich schon, dass er sich in mich verliebt hatte. Als später unser erstes Kind unterwegs war, sagte ich ihm, dass ich bei Microsoft aussteigen werde. Er war völlig überrascht. »Du liebst doch deinen Job«, sagte er, »wir können doch beides haben: Kinder und eine gemeinsame Karriere.« Meine Antwort: Nicht, wenn wir die Werte, auf die wir uns vor unserer Heirat verständigt haben, leben wollen. Wir können nicht eine herausfordernde Karriere verfolgen und zugleich Kinder großziehen – jedenfalls nicht in den ersten Jahren, wenn sie noch klein sind. Jemand muss zuhause sein. So habe ich es schließlich gemacht und bin nach neun Jahren ausgestiegen.

Als wir uns kürzlich in der Zentrale der Bill & Melinda Gates Stiftung in Seattle trafen, hast du davon erzählt, wie wichtig dir geistliche Übungen sind, um Gott in deinem Alltag nahe zu sein. Wie kam es dazu?

Auf der katholischen Schule lehrten uns die Nonnen die Bedeutung der Stille für unser Leben. Sie nahmen uns mit auf Stille-Wochenenden, bei denen es kurze Lehreinheiten gab, über die wir dann reflektiert haben. Diese Übungen wurden mir so wichtig, dass ich mir heute jeden Morgen eine Zeit der Stille nehme, bevor der Rest des Hauses aufwacht und die E-Mails eintreffen. Ich schaue auch bewusst nicht zuerst aufs Handy, wenn ich aufwache. Ich zünde eine Kerze an, lese einen geistlichen Text, schreibe einige Gedanken in mein Tagebuch und sitze dann still oder im Gebet vor Gott.

Die Bill & Melinda Gates Stiftung ist die weltweit größte private Stiftung. Sie hat 1.400 Angestellte. Ihr spendet mehrere Milliarden Dollar – wie schwer fällt es euch, so viel Geld wegzugeben?

Es ist ein Geschenk, dass wir in der Lage sind, das zu tun. Die Stiftung ist im Grunde nur die Verkörperung unserer Werte. Wir setzen jeden Tag unseren Verstand, unsere Kraft und unser Geld an vielen Orten der Welt ein, um diesen Werten gerecht zu werden. Hinzu kommt: Wir geben ja nicht nur unser Geld, sondern auch das anderer Menschen; z.B. das Vermögen des Großunternehmers Warren Buffett. Das bringt eine enorme Verantwortung mit sich.

»Wir haben die Entscheidung, den größten Teil unseres Besitzes abzugeben, schon vor unserer Eheschließung getroffen.«

Du hast viele hundert Millionen Dollar gespendet, damit Kinder in Entwicklungsländern Impfungen erhalten. Weitere Millionen flossen in Bildungsprojekte. Kürzlich hast du dich des Themas der Empfängnisverhütung und freiwilligen Familienplanung angenommen. Was hat es damit auf sich?

Bill und ich sehen unsere Stiftung als eine Reise des Lernens. Viele der heutigen Erkenntnisse sind im Laufe der Zeit in uns gewachsen. Wir begannen mit Kinderimpfungen. Wegen unseres Fonds und unserer Forschungsgelder, die wir mit verschiedenen Partnern auf den Weg gebracht haben, sind jetzt sieben Millionen Kinder am Leben, weil sie diese Grundimpfungen erhalten haben. Drei Mal im Jahr besuche ich verschiedene Entwicklungsländer und setze mich dort mit Regierungsvertretern auseinander, um mich für verbesserte Strukturen und Richtlinien einzusetzen. Diese Arbeit ist für nachhaltige Hilfe ganz entscheidend. In meinen Gesprächen mit Frauen vor Ort – sei es in einem Slum in Nairobi oder in ländlichen Gebieten in Indien – erzählten sie mir immer wieder, dass sie keinen Zugang zu einer modernen Empfängnisverhütung haben. Sie sagten: Wir müssen viele Kilometer in der Hitze mit einem Baby auf dem Rücken laufen. Wenn wir an der Station angekommen sind, sind oftmals keine Verhütungsmittel da. Kondome werden in Afrika wegen der Aids-Problematik zwar verteilt. Aber viele Frauen sagten mir, dass sie bei dieser Verhütungsmaßname letztlich wenig Mitbestimmung haben. Und wenn Frauen auf ein Kondom bestehen – auch in einer Partnerschaft – geht damit oft der Verdacht einher, dass man dem Partner unterstellt, er – oder man selbst – habe Aids. Hinzu kommt: Bei einer hoch qualitativen Empfängnisverhütung mit einer umfassenden Information können Frauen endlich selbst mitbestimmen, wann sie Kinder haben möchten. Dadurch erhöht sich die Überlebenschance ihrer Kinder um ein Vielfaches. In meiner Zeit der persönlichen Stille und des Ringens mit dem eigenen Glauben wurde mir deutlich: Hier musst du etwas unternehmen. Mit Hilfe vieler Regierungspartner haben wir nun mehrere Milliarden Dollar zusammengetragen, um moderne Verhütungsmaßnahmen in vielen Ländern bereitzustellen und die Versorgungswege neu zu strukturieren.

Wenn sich das im Vatikan herumspricht …

Oh, dort sind sie bestens informiert. Ich selbst habe dazu viele Gespräche mit kirchlichen Vertretern geführt. Es wurde deutlich, dass wir an einem gemeinsamen Strang ziehen, was soziale Gerechtigkeit in diesem Punkt angeht. Wir haben auch übereingestimmt, in bestimmten Punkten nicht übereinzustimmen – aber in den Punkten gemeinsam voranzugehen, in denen wir übereinstimmen. Übrigens: 94 % der katholischen Frauen in den USA nutzen Verhütungsmittel.

Ihr spendet viele Milliarden Dollar, um Not in der Welt zu lindern. Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr andere extrem Wohlhabende seht, die offenbar kein soziales Gewissen haben und nichts für Bedürftige tun?

Bill und ich haben die Entscheidung, den größten Teil unseres Besitzes abzugeben, schon vor unserer Eheschließung getroffen. Uns war klar: Man braucht eigentlich nicht viel, um über die Runden zu kommen. Warren Buffett hat uns dann ermutigt, auch andere Milliardäre für die Idee zu gewinnen, sich zu verpflichten, die Hälfte des eigenen Einkommens abzugeben. Entweder zu Lebzeiten oder nach dem Tod. Das haben wir getan und bisher 155 Milliardäre aus 17 Ländern gewonnen, die sich auch diesem Ziel verschrieben haben. Wir treffen uns einmal pro Jahr mit ihnen und erläutern, was durch ihre Spenden bewirkt wurde. Viele sagen uns anschließend: Ich möchte jetzt noch mehr Geld abgeben und auch meine Kinder mit einbeziehen. Ganz nebenbei entdecken sie, dass es etwas Lohnenswerteres gibt, als unentwegt im Hamsterrad dem Erfolg hinterher zu laufen.

War es für dich und Bill schwerer, Microsoft aufzubauen oder eure Non-Profit-Organisation?

Wenn Bill jetzt hier wäre, würde er antworten, dass er sehr früh viele Dinge richtig gemacht hat. Und dass er auch viel Glück hatte. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort, als die Computer-Industrie begann und hat dafür das richtige Team zusammengestellt. Als wir die Non-Profit-Organisation gründeten, stellten wir rasch die Unterschiede zur Geschäftswelt fest. Im Unternehmen hatten wir stets klare Fakten. Wenn wir ein gutes Produkt auf den Markt brachten, erhielten wir sofort die Kundenrückmeldungen – z.B. in Form von guten Verkaufszahlen. Ein mittelmäßiges Produkt erbrachte geringe Verkaufszahlen und man hörte überall, was dem Produkt noch fehlte. Wir waren dann echt überrascht davon, dass viele Non-Profit-Organisationen weitreichende Entscheidungen trafen – oft ohne belastbare Fakten zu haben. Und damit enorme Risiken eingingen. Unser Ansatz war, zunächst ein Datensystem zu entwickeln, um die wichtigen Fakten zu sammeln und besser zu verstehen, was die Menschen tatsächlich benötigen, und um verlässliche Rückmeldungen zu erhalten, ob und wie die angebotenen Hilfen greifen.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Ein Ziel von Bill ist es, Polio vollständig zu eliminieren. Also bekommen wir jede Woche einen Bericht auf unseren Schreibtisch, aus dem hervorgeht, wo auf der Welt in der zurückliegenden Woche Poliofälle aufgetreten sind. Erst gestern habe ich wieder den aktuellsten Bericht auf mein Handy erhalten. Unverzüglich wird dann ein Team entsandt, das dort die Menschen impft. Was die fehlenden Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung angeht, gab es vorher ebenfalls nirgendwo Daten. Als wir das Ziel ausgaben, bis zum Jahr 2020 120 Millionen Frauen in den ärmsten Ländern Zugang zu hoch qualitativen Empfängnisverhütungen, Informationen, Dienstleistungen und Mitteln zu verschaffen, waren die Zahlen auch so vage, dass man darauf kaum solide aufbauen konnte. Heute bilden wir junge Frauen aus, senden sie in die Entwicklungsländer und ermitteln die Daten selbst. Auch dazu erhalte ich regelmäßig eine Excel-Tabelle mit Farbcodes, aus denen hervorgeht, wo wir einen tollen Job machen und wo wir noch besser werden müssen. Diese Fakten helfen uns, dass die Hilfe auch tatsächlich bei den Menschen ankommt und dass wir unsere Gelder sinnvoll investieren, damit die Sterblichkeitsrate weiter sinkt. Man darf eines nicht vergessen: Wir arbeiten an den Problemen, die zu den größten in unserer Gesellschaft zählen. Aus diesem Grund hat die Gesellschaft viele davon auch fallengelassen, eben weil sie so schwer sind. Bill und ich bitten unter anderem auch Regierungen, viele Milliarden bereitzustellen für die verschiedenen Nöte, die wir ermittelt haben – so wie wir das mit unserer Stiftung auch tun. Das tun sie nur, wenn wir ihnen diese konkreten Daten liefern können.

Du arbeitest nun seit vielen Jahren im humanitären Bereich und hast viel erlebt. Berührt dich die Not der Menschen immer noch – auch der Gedanke, dass Gott dich dazu gebraucht, Leid auf der Welt zu lindern?

Ja. Vor allem löst er immer wieder Dankbarkeit aus. Vor einiger Zeit habe ich mit meiner Tochter ein paar Tage in einem Massai-Camp verbracht. Wir haben im Sternenlicht Kühe gemolken, weil es dort nachts kein anderes Licht gab. Wir haben gemeinsam mit den Einheimischen gekocht und anschließend das Geschirr abgewaschen. Dabei wurde mir neu klar: Es war nicht die Entscheidung dieser Familie, hier geboren zu sein und dieses oftmals beschwerliche Leben zu leben. Das könnte genauso gut auch ich sein. Auch dass mir viele Menschen in ärmsten Verhältnissen, die überhaupt nicht wissen wer ich bin, Einblick in ihr Privatestes geben, mir Anteil an ihren Sorgen geben, berührt mich jedes Mal neu. Ich merke, letztendlich haben sie das gleiche Ziel wie ich: den eigenen Kindern das Beste mit auf ihren Lebensweg zu geben.