Vor kurzem habe ich etwas gemacht, was ich umgehend bereut habe. Das Schlimmste daran war: Ich tat es im Beisein meiner zweijährigen Tochter. Ich hatte mir eine dicke Erkältung eingefangen, und meine Tochter, die für ihr Alter bereits erstaunlich viel Empathie zeigt, schaute mich bei jedem Husten besorgt an. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen macht, also tat ich, was alle guten Eltern tun: Ich erklärte ihr, dass alles wieder gut werden würde.

»Heute gehe ich zum Arzt. Der verschreibt mir Medizin, und mir wird es ganz schnell wieder besser gehen.« Aus dem aufmunternden Lächeln, das ich gleich noch hinterherschicken wollte, wurde dann nichts, weil mir sofort der Fehler aufgefallen war, den ich begangen hatte: »Ich meine natürlich, ich gehe zum Arzt oder zur Ärztin, und er oder sie wird mir Medizin verschrieben.«

Unser Gespräch war schnell beendet, und meine Kleine fing an, ihr geliebtes Alphabet-Lied zu singen. Aber mir machte mein Ausrutscher schwer zu schaffen. Meine Tochter würde er nicht belasten, aber mir gefiel nicht, was er über mein verzerrtes Geschlechterbild offenbarte. Es ist verrückt: Sämtliche Ärzte, zu denen ich gehe, sind Ärztinnen! Ich weiß genau, dass Frauen hervorragende Ärztinnen sind, aber der Sprachgebrauch schlägt mir hier manchmal ein Schnippchen. Dabei möchte ich nicht zur Verfestigung des Problems beitragen!
In der Gemeinde ist dieses Thema vielleicht noch aktueller, weil es einfach nicht so viele Frauen in Leitungspositionen gibt. Hier müssen wir besonders darauf achten, wo ein verzerrtes Geschlechterbild besteht und aufrechterhalten wird. Ich bin sehr für Frauen als Leiterinnen in Kirche und Gemeinde, aber auch ich kann mich von diesem verzerrten Bild nicht ganz frei machen. Das Problem ist nicht so sehr die Existenz dieser verzerrten Sicht, unter der wir sicher alle bis zu einem gewissen Grad leiden. Das Problem ist vielmehr, dass dieses Bild nicht hinterfragt wird. Wenn wir es hinterfragen, können wir allerdings ­– bewusst oder unbewusst – großen Schaden anrichten.

Das Problem beim Namen nennen

Als Melinda Gates im vergangenen August beim Global Leadership Summit in der Willow Creek-Gemeinde zu Gast war, traf ich mich im Anschluss mit ihr. Wir sprachen unter anderem über die Voreingenommenheit, die sie als weibliche Leiterin erlebt hat. Als eine der ersten Führungskräfte im technischen Bereich bei Microsoft und Mitbegründerin der ›Bill & Melinda Gates Stiftung‹ weiß sie genau, vor welchen Herausforderungen Leiterinnen stehen.

Von klein auf erleben wir eine auf das Geschlecht bezogene Voreingenommenheit. Unterschwellige Botschaften über das, was Jungen oder Mädchen typischerweise tun, prägen uns. Melinda Gates erwähnte eine Studie unter jungen Teilnehmerinnen eines Computerworkshops. Ob diese sich bei so einer Veranstaltung wohlfühlen oder nicht, hängt von einem ziemlich überraschenden Faktor ab. Gates erklärt: »Entscheidend sind die Poster, die an der Wand hängen. Zeigen sie nur Männer, wird ein teilnehmendes Mädchen den Workshop nicht als positiv empfinden, selbst wenn sie beim Programmieren selbst erfolgreich war. Sind jedoch überwiegend oder ausschließlich Frauen auf den Postern zu sehen, wird sie die Veranstaltung nicht nur als positiv empfinden, sondern auch anderen gegenüber positiv darüber berichten. Kulturelle Normen legen fest, wie wir Dinge sehen; bestimmte Jobs werden auf eine bestimmte Art und Weise betrachtet. Vorbilder sind für Mädchen wichtig. So ändert sich vielleicht der Gedanke: »Oh, nur Männer sind gut im Bereich Technik« in: »Hey, da macht eine Frau einen technischen Job – und sehr erfolgreich dazu. Das könnte doch auch für mich etwas sein.«

Das führt allerdings zu einem Problem: Wir möchten mehr Frauen in leitenden Positionen sehen. Aber der beste Weg, sie für diese Positionen zu ermutigen, ist das Vorbild anderer Frauen. Wenn Männer wie Frauen mehr fähige und klar berufene Leiterinnen sehen, werden sich mehr Frauen ermutigen lassen, ähnliche Positionen anzustreben. Bis dahin müssen wir Augen und Ohren offen halten, um begabte Frauen in unserem Umfeld auszumachen und zu ermutigen, ihre Gaben, Leidenschaften und Berufungen in Führungsrollen zu investieren – auch wenn dafür momentan keine weiblichen Vorbilder existieren.

Wenn Sichtweisen falsch sind

Die Erkenntnis, dass unsere geschlechtsspezifische Sichtweise falsch ist, kann erschreckend sein. Gates erzählte von einer Studie, die der Frage nachging, ob Männer tatsächlich besser programmieren können als Frauen. Die meisten Programmierer sind männlich, also wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie es auch besser können. Und so werden überwiegend Männer für diese Jobs eingestellt. Aber stimmt das auch? Gates erklärt: »Unbewusst entscheiden Männer wie Frauen, wer für welche Position eingestellt wird. Das weiß man, weil es Studien gibt, die mit anonymisierten Daten arbeiten. Mädchen und Jungen bekommen ein Programmierproblem vorgelegt, das sie bearbeiten sollen. Der Prüfer oder die Prüferin erfährt aber nichts über das Geschlecht der Progammierenden. Frauen haben hier tatsächlich etwas besser abgeschnitten als Männer. Ist aber das Geschlecht bekannt, entscheiden sich Prüfer im Allgemeinen für das Programm des Mannes. Wie gesagt: Das geschieht unbewusst. Aber niemand kann sich davon frei machen. Das gilt für Männer wie Frauen, und das müssen wir überwinden.«

Ihre Kirche oder Gemeinde hatte noch nie eine weibliche Finanzverwalterin? Wenn sie für diesen Job richtig ist, warum sollte dann die Geschichte der Gemeinde eine Rolle spielen? Gibt es eine Frau, die gerne im Bereich Technik im Gottesdienst tätig sein würde? Geben Sie ihr die Chance, selbst wenn bisher immer Männer diese Aufgabe erfüllt haben. Vielleicht haben Sie einen leidenschaftlichen Koch in Ihren Reihen, der mit diesem Können gerne anderen dienen würde. Lassen Sie ihn doch! Die Trennung zwischen voreingenommener Sicht und der Realität kann ziemlich schwierig sein. Schaffen wir es, werden wir vielleicht positiv überrascht.

Voreingenommenheit bei Führungspositionen

Haben wir eine Führungsposition inne, entdecken wir vielleicht plötzlich Vorurteile bei uns, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie haben. Weil wir so viele männliche Leiter sehen, setzen wir häufig deren Leitungsstil gleich mit Erfolg. Wie sieht es aus, als Frau zu leiten – oder, besser noch, als die Person, als die Gott Sie geschaffen hat?

Als Gates 1987 zu Microsoft kam, gab es dort bereits eine ganze Reihe weiblicher Mitarbeiterinnen, allerdings nicht im technischen Bereich. Sämtliche Technikkollegen waren Männer, ›Hardcore-Techniker‹ nennt sie sie. Da weibliche Vorbilder fehlten, dachte sie, nur der ›männliche‹, also forsche, aggressive Leitungsstil würde zum Erfolg führen. Allerdings kam sie damit nicht gut zurecht, und irgendwann fragte sie sich, ob sie die ersten zwei Jahre überhaupt durchhalten würde. Aber dann kam der Tag, an dem sich alles veränderte:

»Ich dachte: Das ist eine tolle Firma. Ich möchte hier arbeiten. Ich glaube an unseren Auftrag. Ich versuche einfach, ich selbst zu sein. Probiere meinen eigenen Stil aus und schaue mal, wie das funktioniert. Ich geb mir sechs Monate. Wenn es nicht liefe, würde ich kündigen. Aber es funktionierte, und zwar richtig gut. Ich war nicht nur zufriedener, sondern machte damit mein Team attraktiver für andere, die auch sie selbst sein und ihren eigenen Führungsstil entwickeln wollten. Ich lernte, nicht einfach andere zu kopieren, sondern wirklich ich selbst zu sein. Und das hat gut getan.

»Weil wir so viele männliche Leiter sehen, setzen wir deren Leitungsstil oft mit Erfolg gleich.«

Ich blieb neun Jahre in dem Job. Das war eine tolle Zeit. Ich hab dort Karriere gemacht. Aber auch bei meiner Arbeit für die Stiftung hat es mir genutzt. Ich merkte: Ich muss ich selbst sein und das auch vorleben. Bei der Stiftung gibt es ganz verschiedene Leitungspersonen: männlich und weiblich, forsch und zurückhaltend, Teamworker und Einzelgänger. Und jeder Stil hat seine Berechtigung. Den richtigen Stil gibt es nicht – die Mischung macht’s.«

Diese Spannung habe ich auch oft in der Gemeinde gespürt. Weil die Führungspositionen überwiegend von Männern besetzt waren, setzen wir erfolgreiche Gemeindearbeit oft mit männlichem Führungsstil gleich. Auch wenn Männer damit Erfolg haben, heißt das ja nicht, dass wir Ihren Stil, ihre Methoden und Systeme übernehmen müssen, um unsererseits Erfolg zu haben. Wenn bestimmte Aspekte vom Führungsstil Ihres Vorgängers gut funktionieren und auch zu Ihnen passen, dann behalten Sie sie bei! Aber einengen lassen dürfen wir uns davon nicht.

Vor vielen Jahren war ich einzige hauptamtliche Mitarbeiterin in meiner Gemeinde und ich hatte das Gefühl, dass sich alle fragten, ob ich wohl durchhalten würde. Ich wollte unbedingt etwas bewegen, also habe ich den Stil anderer Mitarbeiter übernommen. Ich dachte: »Wenn ich mich so verhalte wie sie, dann falle ich vielleicht nicht so auf.« Einer meiner Kollegen war unglaublich extrovertiert.

Als ich ihn nachmachte, hat mich das total erschöpft. Ein anderer Kollege war ein Bücherwurm mit exzellenten Griechisch- und Hebräisch-Kenntnissen, der sein Wissen gerne an andere weitergab. Wollte ich ihm nacheifern und auch einmal etwas Kluges sagen, klang das aus meinem Mund total banal. Ich verhielt mich so wie meine Kollegen, um nicht aufzufallen. Aber ich erreichte genau das Gegenteil. Erst als ich meinen eigenen Leitungsstil entwickelte, war das für alle von Vorteil.

Zusammen sind wir stark

Das größte Problem für Frauen, die mit geschlechtsspezifischer Voreingenommenheit in Gemeinden zu tun haben, ist die Einsamkeit. Häufig gibt es nur eine oder sehr wenige hauptamtliche Mitarbeiterinnen. Eine Führungsrolle macht sowieso schon einsam. Aber zusammen mit der Tatsache, dass es nicht viele Leiterinnen gibt, kann sich das wie echte Isolation anfühlen. Als ich das bei Melinda Gates ansprach, hatte sie einen weisen Rat:

In einem Kreis, in dem keine Hierarchie herrscht, kann man auch einmal verletzlich und einfach man selbst sein. Man kann offen sagen, vor welchen Herausforderungen man gerade steht. Jedes Leben ist vielfältig: Es gibt Gutes, Schlechtes und Schwieriges. Menschen brauchen einen sicheren Raum, in dem sie sich darüber austauschen können. Ich bin ein großer Fan von Gruppen. Gruppen haben große Kraft – die wir allerdings oft unterschätzen.

Meine ersten Jahre bei Microsoft, in denen ich noch meinen Weg und mich selbst suchte, habe ich überstanden, weil ich eine tolle Gruppe von Menschen um mich hatte. Nach einem schwierigen Tag konnte ich sie anrufen und mich mit ihnen treffen – auch wenn dafür vielleicht etwas anderes abgesagt werden musste. Ich wusste einfach, wer hinter mir stand. Ich konnte offen sagen: »Heute war es echt schwierig« oder »Ich habe keine Ahnung, wie ich das morgen schaffen soll«. Sie gaben mir praktische Ratschläge und ermutigten mich. Und so etwas brauchen wir alle. Aber man muss sich aktiv um so eine Gruppe bemühen.

Wie können Sie andere Leiterinnen ihrer Kirche oder Gemeinde für so eine Gruppe gewinnen? Wenn das in Ihrer Gemeinde nicht möglich ist, gibt es bestimmt in anderen Ortsgemeinden oder Organisationen Leiterinnen, die in derselben Lage sind wie Sie. Geschlechtsspezifische Voreingenommenheit ist für Leiterinnen ein Thema, ob nun unterschwellig oder ganz offen.

Können Sie sich vorstellen, wieviel Kraft und Energie von einer Gruppe ausgeht, in der sich Leiterinnen offen über ihre Probleme, Hoffnungen und Bedürfnisse austauschen? Anstatt zu jammern, dass Sie so etwas nicht haben, folgen Sie doch dem Rat von Melinda Gates: »Um so eine Gruppe muss man sich aktiv bemühen.« Ihr Leitungsdienst, Ihre Gemeindearbeit und Ihr Team werden davon profitieren.