Hinter ›GreifBar‹ steckt ein unabhängiges Werk im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis der evangelischen Nordkirche. Die Mitarbeiter arbeiten zu 100% ehrenamtlich und fast ausschließlich spendenbasiert. Die jungen Leute im Greifswalder Ostseeviertel lassen sich in dem, was sie tun, auf Gott ein – und überlassen seinem Wirken, was daraus entstehen kann …

Es begann mit einer WG im Greifswalder Ostseeviertel. Die kleine Hansestadt Greifs­wald zwischen den Inseln Usedom und Rügen, direkt am Greifswalder Bodden, ist mit fast 13.000 Studierenden unter 60.000 Einwohnern sehr studentisch geprägt. Wie die meisten Städte in den neuen Bundesländern, hat auch Greifswald ein Plattenbaugebiet; eigentlich drei Plattenbaugebiete, von denen eines – das Ostseeviertel – zum Teil unsaniert ist und vor allem grauen Charme versprüht. Die Bewohner haben mit ganz unterschiedlichen Nöten, Herausforderungen und Krisen zu kämpfen. Dazu beschleicht sie zunehmend das Gefühl, dass sich nach und nach alle Institutionen und Einrichtungen aus ihrem Viertel zurückziehen: Jugendclubs, Läden, Kneipen … Das Umfeld ist einfach nicht attraktiv genug.

Hier starteten 2007 vier Theologiestudenten der Universität Greifswald eine WG. Schnell entstanden Freundschaften mit einer achtköpfigen Nachbarfamilie. Mit deren Kindern spielten sie regelmäßig Fußball und gaben ihnen Nachhilfe bei Schulaufgaben. Bei gemeinsamen Mahlzeiten staunten die Kinder, wie vier junge Männer vor dem Essen beteten. Neugierig und unvoreingenommen haben die Kleinen später selbst angefangen, vor dem Essen erste Dankgebete zu formulieren. Immer wieder ergaben sich Gespräche über den Glauben. Besonders die Gleichnisse Jesu oder auch persönliche Erlebnisse der Studierenden mit Jesus stießen bei den Kindern auf große Aufmerksamkeit.

Um der stetig wachsenden Kinderschar gerecht zu werden, wurde – neben der Hausaufgabenhilfe – eine Kinderstunde am Samstagnachmittag ins Leben gerufen. Dazu gehörte das Spielen auf der Wiese im Viertel, anschließend eine Erfrischung mit Obst und Getränken in der Studenten-WG oder das kindgemäße Vermitteln einer biblischen Geschichte – meist in Form eines Theaterstücks, mit den Kindern als Darstellern. Das Engagement der Studierenden blieb nicht unbemerkt. Die Eltern freuten sich über die Angebote und Unterstützung, die ihre Kinder in der nicht immer einfachen Nachbarschaft erhielten.

Mit wachsender Gruppengröße und größer werdender Verantwortung merkten die Theologiestudenten, dass die neue Arbeit einen größeren Rahmen brauchte als eine WG ihn bieten kann. Da die meisten ohnehin Mitglieder bei ›GreifBar‹ waren, wurde das Projekt im Ostseeviertel 2009 zu einem offiziellen Arbeitszweig. Und mittlerweile ist diese sozialmissionarische Arbeit ein zentraler ›GreifBar‹-Bestandteil. ›GreifBar‹ ist ohne sie nicht mehr denkbar – und die sozialmissionarische Arbeit ist ohne ›GreifBar‹ nicht mehr denkbar.

Leben im Viertel

Es dauerte nicht lange, da wurden weitere WGs im Viertel gegründet oder bestehende für die Arbeit begeistert. Inzwischen gibt es sechs WGs. Das Ziel ist eine dauerhafte Präsenz von Christen im Ostseeviertel, die ihre Wohnungen und Herzen für die Einwohner öffnen. Für ein glaubhaftes Interesse an den Menschen ist entscheidend, nicht nur gelegentlich als Gast zu erscheinen, sondern auch dort zu leben.

Neben der wöchentlichen Kindergruppe wurde außerdem eine Teenagergruppe gestartet. Ein Team von Ehrenamtlichen hat die schulische Nachhilfe ausgebaut. Seit eineinhalb Jahren entwickelt sich das wöchentliche Fußballspielen zu einem regelmäßigen Anlaufpunkt für Kinder, Jugend­liche und junge Erwachsene aus dem Viertel. Und es zieht Kreise zu angrenzenden Plattenbaugebieten und dem Berufsbildungswerk, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet. Für alle Beteiligten ist es inzwischen völlig normal, zu Beginn des Fußballspiels in einer Minipredigt von einem Gott zu hören, den man im Alltag erleben kann. Anschließend beten die Jungs und Mädels und bitten Gott um Bewahrung beim Spiel. Übrigens: Dass sich angesichts der Altersspanne von 11 bis 37 Jahren bisher niemand verletzt hat, ist für sich schon ein kleines Wunder.

Zu den Höhepunkten des Jahres zählt mittlerweile das Krippenspiel an Heiligabend auf dem Aldi-Parkplatz im Ostseeviertel. Rund 100 Gäste feiern dort jedes Jahr gemeinsam das Wunder von Bethlehem. Die Kinder spielen die Weihnachtsgeschichte nach – mit Hirten, echtem Feuer und einem Einkaufswagen als Krippe – und erleben selbst, dass im Stall von Bethlehem ein großes Wunder geschehen ist und dass dieses Kind keins wie jedes andere ist. Das zweite Jahres-Highlight ist das Osterfeuer, das mit rund 300 Gästen am Karsamstag gefeiert wird. Nach einem Open-Air-Gottes­dienst entzündet die Freiwillige Feuerwehr das Feuer. So feiert ›GreifBar‹ gemeinsam mit den Bewohnern des Ostseeviertels den Übergang zum Ostersonntag.

Mutige Zukunftspläne

Im Laufe der Jahre hat die Arbeit im Ostseeviertel sich verändert. Dabei wurde deutlich, dass es für eine nachhaltige Arbeit ein Mehr an Verlässlichkeit und Öffentlichkeit braucht. Die Mitarbeitenden merken: Wir können nicht nur für ein oder zwei Semester dabei sein, weil die Kinder uns schnell in ihr Herz schließen und enge Beziehungen entstehen. Und viele der Studierenden spüren: Jesus überträgt ihnen auf diese Weise eine Verantwortung, lässt seine Leidenschaft und Sehnsucht für die Menschen zu ihrer eigenen Leidenschaft werden. Es gab Abende, an denen Mitarbeitende nach einer intensiven Zeit mit den Teenagern im Gebet weinen mussten, weil sie sich dem Schmerz Gottes über manches Leid und manche Ungerechtigkeit nicht erwehren konnten. Durch ihr Engagement spüren viele Mitarbeitende: Gott hat ein weites Herz, in dem die Menschen des Ostseeviertels einen prominenten Platz haben. Und Gott sucht Menschen, die auch in ihrem Herzen einen Platz für diese Menschen einräumen. 

Und da ist das nötige Mehr an Öffentlichkeit. Eine wachsende Arbeit in WGs und Privatwohnungen aufzubauen, stellt für viele Gäste eine Hürde dar. Und reduziert die dringend benötigten Angebote. Ein öffen­tlicher Raum ist dringend nötig. ›GreifBar‹ hat darum entschieden, sich noch stärker auf das Viertel zu konzentrieren und als Werk selbst ins Ostseeviertel zu ziehen: Ein Nachbarschaftszentrum soll entstehen, in dem das bisherige Engagement und auch viel Raum für Neues vorhanden ist: eine Familien- und Sozialberatung, ein Café, ein Jugendclub, Raum für Gottesdienste, Glaubenskurse und ›GreifBar‹-Mitarbeitertreffen.

Geeignete Räumlichkeiten gibt es, die Verhandlungen dafür werden geführt. Aber es müssen eine Menge Fragen beantwortet werden. Weil ›GreifBar‹ ein Werk der Landes­kirche und als solches fast ausschließlich spendenfinanziert ist, Greifbar aber auch – trotz umfangreichen Dienstes – niemanden hauptamtlich beschäftigt, müssen die monatliche Miete und die Kosten für Umbaumaßnahmen aus Spenden bestritten werden. Auch alles, was an Planen, Prüfen, Verhandeln ansteht, ist Sache von Ehrenamtlichen. Darum sucht ›GreifBar‹ Partner im Umfeld von Greifswald und in ganz Deutschland. Denn allein wird das umfangreiche Projekt nicht zu schultern sein.

Das neue Nachbarschaftszentrum soll das Ostseeviertel in geistlicher, sozialer und kultureller Hinsicht bereichern. Die Bewohner des Viertels sind dabei auch Partner, die sich in das Projekt mit einbringen; und dadurch – das hat die Vergangenheit oft gezeigt – vielfältige Gotteserfahrungen machen. Das gilt genauso für alle Christen, die im Ostseeviertel-Projekt viele Aspekte des Evangeliums entdecken, die ohne diese Aufgabe verborgen geblieben wären.

Das neue Nachbarschafts-zentrum soll das Ostseeviertel in geistlicher, sozialer und kultureller Hinsicht bereichern.

Was haben wir im Ostseeviertel gelernt?

Als Mitarbeitende haben wir viel in diesen Jahren gelernt. Wenn Gott eine Vision hat, sind große Dinge möglich. Wer sich darauf einlässt, entdeckt, dass nicht an uns liegt, dass sie Wirklichkeit werden. Gott ist entscheidend kreativ, energisch und großzügig.

Um einem Stadtteil wie dem Ostseeviertel zu dienen, bedarf es keiner gigantischen Maschinerie. Es genügen ein paar Menschen, die bereit sind, sich von Gott in die Verantwortung nehmen zu lassen. Der Rest ergibt sich unterwegs und findet sich zur passenden Zeit.

Eine sozialmissionarische Arbeit ist niemals statisch, sondern verändert sich ständig. Sie muss zweierlei beherzigen: sich den wechselnden Bedingungen und Bedürfnissen der Menschen anzupassen; und auch mit den Plänen Gottes Schritt zu halten, der sich oftmals schrittweise offenbart. Das macht die Arbeit spannend und zu einem einmaligen Abenteuer, bei dem die Mitarbeitenden reich beschenkt werden.

Bei allem Wandel, ist eines stets konstant geblieben und gehört zur DNA der Arbeit: Zeit für die Kinder und Jugendlichen zu haben, das eigene Herz für sie zu öffnen und dabei zu erleben, wie Gott durch persönliche Begegnungen das Leben aller Beteiligten verändert.