Im Oktober feierte die Willow Creek Community Church ihr 41-jähriges Bestehen. Anlässlich des 40. Jubiläums vor einem Jahr schrieb Lynne Hybels ihrem Ehemann einen Brief, den sie später in ihrem Blog veröffentlichte. Er gibt einen ehrlichen Einblick und zeigt, wie eng ihre Beziehung mit dem Aufbau der Gemeinde verflochten ist.

Über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg waren wir zusammen, trennten uns, verlobten uns, lösten unsere Verlobung wieder, gelobten uns, dass wir uns nicht wiedersehen würden, »niemals!« – und kamen dann doch wieder zusammen. Schließlich heirateten wir. Es war das Jahr 1974. Bill war Jugendpastor. Ein Jahr später starteten wir die Willow Creek Community Church in einem angemieteten Kino.

Manchmal kommt es mir so vor, als wäre der 12. Oktober 1975, der Tag, an dem Willow den ersten Gottesdienst im Kino veranstaltete, erst gestern gewesen. Aber manchmal scheint es mir auch eine Ewigkeit her zu sein. Wir waren beide 23 Jahre alt und hatten zwar sehr wenig Weisheit, dafür aber eine Menge Leidenschaft. Bill hatte das Herz eines Evangelisten und war der Überzeugung, dass die Ortsgemeinde diejenigen erreichen sollte, die weit weg von Gott waren. Ich hatte das Herz (und die Ausbildung) einer Sozialpädagogin und vertrat die Ansicht, dass die Ortsgemeinde ein Zufluchtsort für die Randgruppen der Gesellschaft sein sollte. Gemeinsam hatten wir eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie Gemeinde sein könnte und auch sein sollte.

Einen Traum zu haben, ist das eine. Ihn auch tatsächlich Realität werden zu lassen, etwas völlig an­deres. Die kommenden Jahrzehnte waren viel herausfordernder als gedacht; wir machten auch viel mehr Fehler als erwartet. Wieder und wieder blieb uns nichts anderes übrig, als auf die Knie zu fallen und demütig Buße zu tun für unsere Fehler und Schwächen im Dienst. Und Gott war immer gnädig und vergab uns. Auch unsere Gemeinde war geduldig genug, uns beide erwachsen werden zu lassen. 40 Jahre später sind wir immer noch dankbar für jeden Tag, an dem wir unsere Berufung in der Ortsgemeinde leben können.

Diesen Sonntagabend, am 18. Oktober 2015, wird unsere ganze Gemeinde sich im United Center in der Innenstadt Chicagos versammeln, um Gottes Treue und sein Werk unter uns in den vergangenen 40 Jahren zu feiern. Ich werde auch dort sein, die Geschichten aus den vier Jahrzehnten genießen und zweifellos im Laufe des Abends einige Tränen vergießen. Aber bevor die Feierlichkeiten beginnen, möchte ich etwas tun, das nur ich tun kann: nämlich meinem Ehemann öffentlich Danke sagen.

 

Danke Bill, für deine Kühnheit einen Traum zu ergreifen, der in meinem eigenen Herzen widerhallte. Mit 23 Jahren war ich eine Träumerin – so wie du ein Träumer warst –, aber ich war nicht mutig. Ich hatte weder die Fähigkeiten, noch die Persönlichkeit, um den Sprung ins Unbekannte zu wagen und einen neuen Weg zu gehen. Ich wusste aber, dass du das kannst und entschied, mich dir anzuschließen.

Auf unserem gemeinsamen Weg hast du mir geholfen, eine Kühn­heit zu entdecken und zu entwickeln, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie besaß. Und ich war nicht die Einzige! Es gab tausende Frauen bei Willow und darüber hinaus, die von einem Pastor hören mussten: »Du bist im Ebenbild Gottes geschaffen. Du hast Gaben, Träume und Leidenschaften, die von Bedeutung sind. Die Gemeinde und die Welt braucht es, dass du erkennst, wer du bist und die Fülle davon zeigst.« Viele von uns müssen das noch immer von einem Pastor hören. Ich bin so dankbar dafür, dass du nie aufgehört hast, mir dies zu sagen.

 

Danke Bill, dass du immer um unsere Ehe gekämpft hast. Während einer unserer zahlreichen Beziehungspausen sagte meine Mutter einmal zu mir: »Ich verstehe euch zwei nicht. Es scheint, als könntet ihr nicht miteinander leben, aber anscheinend auch nicht ohne einander.« Nur um das klarzustellen: Sie meinte nicht »miteinander leben« im wörtlichen Sinne, wir wohnten nicht zusammen. Aber sie hatte definitiv nicht ganz Unrecht. Obwohl es so schien, als würden wir nicht perfekt zusammenpassen, konnten wir doch nie lange ohne den Anderen. Wir hatten eine Gemeinsamkeit, die uns immer wieder zueinander hinzog. Eine Lebensenergie. Eine Leidenschaft für den tieferen Sinn des Lebens. Ein Traum, der nie alt wurde. Vielleicht lag es auch daran, dass wir beide ziemlich stur sind und uns weigerten aufzugeben, loszulassen und weiterzugehen. Vielleicht sind wir beide auch einfach wahnsinnig hartnäckig. Falls das so ist, bin ich überaus dankbar für diese Beharrlichkeit. Sie hat uns immer wieder gute Dienste geleistet.

 

Danke Bill, dass du unsere Kinder genug liebst, um ihnen zuzuhören und erschüttert zu sein, wenn eine Dreijährige dich fragt: »Papa, warum bist du so oft weg?« Damals entschieden wir uns gemeinsam, dass wir (falls nötig) lieber Menschen in unserer Gemeinde enttäuschen würden statt unsere Kinder. Trotz deiner zunehmenden Verpflichtungen bei Willow und deinem zunehmenden Maß an Verantwortung hast du an unserer damaligen Entscheidung festgehalten. Unsere Kinder sind nicht mit einem Papa aufgewachsen, der nie zu Hause war. Du warst anwesend, du warst liebevoll und du hast nie eine Gelegenheit verpasst, um »Ich liebe euch« zu sagen. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb wir am Sonntagabend, wenn die öffentlichen Feierlichkeiten vorbei sind, mit unseren Kindern nach Hause fahren werden zu einer privaten Familienfeier, inklusive der Umarmungen und »Ich liebe euch«, die jedes Familientreffen prägen.

Der größte Segen ist, dass diese Tradition jetzt mit unseren Enkelkindern weiterlebt. »Wir lieben dich, Henry! Wir lieben dich, Mac!« Ich weiß, dass du mir zustimmst, dass ›Oma‹ und ›Opa‹ die besten Rollen sind, die wir je hatten.

 

»Der Glaube meiner Kindheit war den Ansprüchen meines Erwachsenen­lebens nicht gewachsen.«

Danke, Bill, dass du dich mit weisen Leuten umgibst und dich unter die Autorität einer Ältestenschaft stellst, die aus gottesfürchtigen Männern und Frauen besteht – denen sowohl die Gemeinde, als auch wir persönlich wichtig sind. Die Pluralität, die es in der Leitungsverantwortung bei Willow stets gegeben hat, konnte ein breites Spektrum an Verantwortungsbewusstsein und gesunder Rechenschaft gewährleisten. Die Geduld, die eine Leitungsperson bei Willow – mit seinem manchmal mühseligen System der Autoritätsaufteilung – aufbringen muss, ist dir nicht einfach zugefallen. Dennoch hast du sie befolgt und wertgeschätzt, wodurch du unserer Familie und der erweiterten Gemeinschaft von Willow gedient hast. Dies hat uns vor finanzieller Misswirtschaft, Leitungskrisen und Skandalen aufgrund charakterlicher Fehltritte bewahrt, durch die bereits viele gute Organisationen untergraben worden sind. Und du hast jungen Leitenden in dieser Zeit ermöglicht, ihre Gaben einzubringen, Erfahrungen zu sammeln und immer mehr zu reifen. Während wir jetzt dankbar auf die Vergangenheit zurückblicken, sind wir zugleich auch dankbar für viele junge Nachwuchsleiter, die die Gaben, Leidenschaft und Weisheit besitzen, Willow in die Zukunft zu führen – auf derselben festen Basis einer reifen und umsichtigen Ältestenschaft, wie wir sie damals hatten.

 

Danke, Bill, dass du das Chaos meiner geistlichen Reise wohlwollend akzeptiert hast, obwohl sie sich so stark von deiner eigenen unterschieden hat. Wir sind auf so viele Arten das genaue Gegenteil voneinander; man hätte erwarten können, dass sich unsere geistlichen Pfade auseinander entwickeln. Doch in Wirklichkeit war ich zu Beginn meiner Vierziger drauf und dran, meinen Glauben zu verlieren (ohne Übertreibung!). Und wir beide standen währenddessen als öffentliche Personen im Dienst. Ganz offensichtlich war der Glaube meiner Kindheit den Ansprüchen meines Erwachsenenlebens nicht gewachsen, doch der Weg aus meinem kindlichen Glauben heraus war nicht einfach. Er führte mich durch viele Unsicherheiten, Zweifel und Fragen. Es war beängstigend. Und habe ich schon erwähnt, dass es sehr chaotisch zuging?

Ich habe diesen Weg im Stillen zurückgelegt, doch du wusstest immer, was in mir vorging. Dennoch hast du mich nie gedrängt: »Komm langsam mal darüber hinweg, Lynne! Auf geht’s, weiter! Ich kann es mir nicht leisten, eine Frau mit geistlichen Problemen zu haben.« Im Gegenteil, du hast mich immer ermutigt: »Seit du siebzehn warst, habe ich gesehen, wie der Heilige Geist an dir gearbeitet hat. Ich glaube, wir können ihm auch in dieser Krise vertrauen. Versuch nicht, den Weg abzukürzen! Geh nicht zurück zu dem Punkt, an dem du dich geistlich sicher fühlst! Sondern geh weiter auf deiner authentischen Suche nach Gott!«

Du hast sogar dem Ältestenkreis erklärt, dass ich für eine Weile nicht mehr bei Willow anwesend sein würde und dass dies völlig in Ordnung sei. »Sie lässt sich von einem weisen, geistlichen Mentor helfen«, hast du ihnen erklärt, »und sie braucht einfach ein bisschen Abstand.« Diese Freiheit erlaubte es mir, authentisch auf die Worte und das Leben Jesu zuzugehen – und einen christlichen Glauben zu finden, an den ich wirklich glauben konnte. Oft erzähle ich diese Geschichte anderen Pastoren und ihren Frauen, und sie sind immer völlig schockiert. Doch deine Reaktion auf mein geistliches Chaos war so mutig und so liebevoll. Dafür werde ich dir immer dankbar sein.

 

Danke Bill, für deine tiefe Freundlichkeit gegenüber meinen Eltern. Es ist kein Geheimnis, dass du und mein Vater während der ersten Jahre durch eine holprige Phase gegangen seid. Du warst ein leicht(!) großspuriger 17-Jähriger und er war ein leicht(!) überfürsorglicher Vater. Großartig! Zwischen euch beiden hin- und hergerissen zu sein, war für mich nicht einfach; es dauerte mehr als nur ein paar Jahre, bis ihr eure Differenzen beigelegt hattet. Aber die E-Mails, die ihr euch jetzt schickt – ob es ein lockeres Gespräch über Autos und Boote oder eine bohrende Glaubensfrage ist – sind ein klares Zeichen von tatsächlicher Liebe und Respekt. Und was könnte ich nicht alles darüber sagen, wie du meine Mama geliebt hast?! Du hast immer erwähnt: Nachdem du sie getroffen hattest, konntest du keine Schwiegermutter-Witze mehr machen. Genauso wenig fand sie jemals etwas Schlechtes über dich zu sagen. Ihr zwei habt euren ganz eigenen Bewunderungsclub gegründet! Wann auch immer einer meiner beiden Eltern krank war, hast du es mir leicht gemacht, nach Michigan zu reisen, um bei ihnen zu sein. Als meine Mutter letztes Jahr gestorben ist, war ich so dankbar für all die Tage, Wochen und Monate, die ich in den letzten Jahren mit ihr verbracht habe. Danke, dass du mich von ganzen Herzen darin unterstützt hast!

 

Danke Bill, dass du mein wachsendes, weltweites Engagement unterstützt. Du hast eine introvertierte Stubenhockerin geheiratet und endest letztlich mit einer die Welt bereisenden Aktivistin mit Leidenschaft für teure (globale Armut) und kontroverse Probleme (Frieden stiften). Immer wieder hast du mich gegenüber Kritikern verteidigt, die dachten, ich würde dich und Willow Creek zu tief in die komplizierten Nöte dieser Welt führen. Darüber hinaus hast du meine Aktivitäten immer großzügig abgesichert. Dadurch, dass ich mich dazu entschieden habe, ehrenamtlich zu arbeiten, ist meine Hilfe zwar oft erwünscht, grundsätzlich allerdings unbezahlt. Mein Bedürfnis nach Absicherung wird sich wohl nicht so schnell ändern; tatsächlich wird es wohl eher noch zunehmen. Je weiter ich reise (Kongo, Jordanien, Irak), desto teurer werden die Flugtickets und desto mehr Organisationen lerne ich kennen, die wir »einfach unterstützen müssen«. Was damals, als wir 23 waren, wahr gewesen ist, gilt heute, mit 64, immer noch: Ich kann meine Träume dann am meisten verwirklichen, wenn ich auf die unterstützende Hilfe deiner Talente, Fähigkeiten und Erfahrungen zählen kann.

In der Anfangszeit von Willow gab es viele in der Christenwelt, die uns als die schwarzen Schafe der Familie Gottes ansahen. Kluge und fromme Menschen fragten sich, ob irgendetwas Gutes von einem Haufen junger Leute kommen konnte, die ein Schlagzeug auf der Bühne hatten und die Liedtexte vom Overhead-Projektor mitsangen. Einige Jahre später veränderte sich diese Haltung: Sozusagen über Nacht wurden wir schwarzen Schafe zu den Lieblingen. Wir lernten, dass weder die Bezeichnung ›schwarze Schafe‹ noch ›Lieblinge‹ andauert. In den Augen der Öffentlichkeit hatten wir einen wechselnden Stellen­wert: Mal kamen wir gut weg, mal schlecht, mal wurden wir imitiert, dann wieder ignoriert, mal wurden wir übertrieben gelobt, dann wieder zu Unrecht kritisiert.

Ich komme jedoch immer wieder auf Folgendes zurück: Nach all diesen Jahren, nach allen Höhen und Tiefen ziehen wir immer noch am selben Strang. Und ich liebe unseren Traum und respektiere deine Leiterschaft genauso, wie ich es am 12. Oktober 1975 schon getan habe.

Alles Gute zum 40. Geburtstag von Willow, Bill! Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie dieses Abenteuer in den nächsten Jahren weitergehen wird.

 

Übersetzung: Anna Dengler