Als ich klein war, wurde ich oft gefragt, was ich werden will, wenn ich groß bin. Meine Antworten haben im Laufe der Zeit gewechselt, aber ein Job in der Gemeinde war nie dabei. Eine Frau, die für mich ein Vorbild war, nahm nach ihrem College-Abschluss eine Stelle in einer Gemeinde an. Ich war schockiert und dachte: »Die Arme. In der echten Welt hat sie es wohl nicht geschafft!«

Meine Meinung war, dass man nur etwas bewegen kann, wenn man dort arbeitet, wo tatsächlich Einfluss ausgeübt wird – in einer dynamischen internationalen Organisation, vielleicht sogar in einer Regierung. Nie hätte ich mir auch nur in meinen Träumen vorgestellt, dass die Gemeinde bei den globalen Veränderungen eine derart tragende Rolle spielen könnte! Aber Gott hat mich wachgerüttelt und mir gezeigt, dass ich mit dieser Meinung total daneben lag ...

Nach dem College arbeitete ich für das Amerikanische Rote Kreuz und musste deswegen an den Ort ihrer Zentrale nach Chicago ziehen. Die Aussicht auf die Mitarbeit in so einer anerkannten Organisation begeisterte mich. Voller Elan stürzte ich mich in die Arbeit. Ich wollte lernen und diesen neuen Lebensabschnitt bewusst gestalten. Als ich in Chicago ankam, traf ich eine gefährliche Entscheidung: Ich besuchte die Gottesdienste von Willow Creek! Zum ersten Mal wurde mir Apostelgeschichte 2 so ausgelegt, dass es mein Herz bewegte. Ich wurde ergriffen von der Vision, dass die Ortsgemeinde die Hoffnung der Welt ist. »Sie blieben in der Lehre der Apostel … Jeder staunte über die Wunder, die geschahen … Jeder verkaufte, was er hatte und teilte es mit denen, die Not hatten … « Diese Worte bekamen eine ganz neue Bedeutung für mich und mir wurde klar: Es könnte tatsächlich möglich sein, dass Gott durch die Ortsgemeinde die Welt verändern und heilen will! 

Niemand kann besser helfen als die Gemeinde

Beim Roten Kreuz arbeitete ich in der Katastrophenhilfe. Nur Stunden nach einem Tornado in Florida traf ich eine Frau vor einem Trümmerhaufen, der einmal ihr Haus gewesen war. Sie hielt ihren Hund auf dem Schoß und schaukelte apathisch immer vor und zurück. Sie tat mir unglaublich leid. Im Laufe des Tages habe ich immer wieder nach ihr geschaut. Irgendwann kam ihre Schwester und sagte: »Heute haben Sie uns die Liebe Jesu gezeigt.« Dabei wusste sie nicht, dass ich Christin bin. Mir kamen die Tränen und ich wusste plötzlich: Ich wollte nicht im Namen des Roten Kreuzes dort sein, sondern im Namen Jesu! Ich schaute mich um und sah alle möglichen Hilfsorganisationen, die sich um die Menschen kümmerten. Aber eine Gruppe fehlte: die Gemeinde. All diese Helfer würden ihre Sachen wieder packen und nach Hause gehen. Ich dachte an Apostelgeschichte 2 und wusste: Es gibt keine bessere Organisation und keine bessere Begleitung. Nur die Gemeinde kann bleibende, tiefgreifende Veränderung schaffen.

Jetzt hatte Gott meine volle Aufmerksamkeit. Einige Wochen später sprach ich zufällig mit einer Frau aus Ruanda. Als sie anfing zu reden, merkte ich schnell, dass sie Pastorin war und sehr engagiert. Beim Völkermord in Ruanda sah sie, wie ihr Land auseinanderfiel. Sie sah, wie Menschen abgeschlachtet wurden und fühlte sich wie in der Hölle. Und sie traf eine Entscheidung: Ihre Gemeinde würde ein Ort der Zuflucht und Sicherheit werden. Ihre Gemeinde blieb, als alles andere zerbrach und konnte so Hunderten von Menschen das Leben retten. Und ich wusste: Das will ich auch! Gott zündete in mir ein Feuer an, das niemand löschen konnte. Von jetzt an wollte ich beim Bau der Ortsgemeinde helfen, wollte dazu beitragen, dass sie leidenden Menschen in der Welt die Liebe Christi bringt. Dabei merkte ich, dass das schon immer Gottes Plan gewesen war! Wer Christus nachfolgt, bekommt so viel Liebe und Barmherzigkeit geschenkt, dass er sich aufmachen und Licht ins Dunkel unserer Welt bringen will.

Jesaja 60,1 sagt: »Mache dich auf und werde Licht. Denn dein Licht scheint, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.« Wenn du einmal Gottes Licht erlebt hast, musst du dich einfach aufmachen und es leuchten lassen. Was ist deine Vision für die Gemeinde? Erkennst du ihr Potenzial? Wenn du die Welt in Trümmern liegen siehst, siehst du dann auch die Gemeinde, die sich aufmacht und zum Licht wird?

Junge Erwachsene als Vorreiter

Als mich diese Vision einmal gepackt hatte, gab es kein Zurück mehr. Als man mir bei Willow einen Job anbot, nahm ich ihn begeistert an. Das ist jetzt 16 Jahre her. Ich begann bei AXIS, Willows Gruppe für junge Erwachsene. Wir waren ein bunter Haufen, der den brennenden Wunsch hatte, etwas in der Welt zu bewegen. Jede Woche waren Teams unterwegs: Wir besuchten Gefängnisinsassen, brachten Bauprojekte auf den Weg, kümmerten uns um vernachlässigte Kinder und Obdachlose. Einige Teams waren auch im Ausland unterwegs. Es gab Leute, die gut bezahlte Jobs aufgaben, um mehr Zeit zu haben, Notleidenden zu helfen. In dieser Zeit sah ich, wie es ist, wenn Mitgefühl und Gerechtigkeit (Compassion und Justice) ein Wert für weite Teile der Gemeinde werden und nicht nur in einem Arbeitsbereich, wie der Diakonie, verortet sind. Was wir bei AXIS taten, hat sich ausgewirkt auf unser Beten, unser Planen, unsere Lehre. Es wurde Teil unserer Identität.

Aber was war mit der Gesamtgemeinde? Würden sie sich ebenso engagiert auf diese Werte einlassen? Wir waren die jungen Wilden. Eine ältere Frau hatte mich einmal gefragt, wofür mein Herz schlägt und mir aufmerksam zugehört. Zum Schluss sagte sie: »Das ist wirklich schön. Als ich so alt war wie du, wollte ich auch die Welt retten.« Ich hätte ihr am liebsten eine runtergehauen!

Bill Hybels brachte uns jungen Wilden viel Vertrauen entgegen. Wir wussten, dass er jeden neuen Schritt der Gemeinde nur unter Gottes Führung gehen würde. Und Gott wirkte damals auf eine Weise, die ich mir nicht hatte vorstellen können. Er sprach Bill an – und vor allem seine Frau Lynne. Sie gehörte zu einer Gruppe, die ich die treuen Radikalen nannte: Diese treuen Radikalen träumten von dem Tag, an dem die ganze Gemeinde ihr Herz für die Welt entdeckte und nicht mehr von diesem Weg abwich.

Die Veränderung einer Gemeindekultur an einem bestimmten Punkt festzumachen, ist immer schwer; aber es gab ein Thema, das unsere Gemeinde völlig umkrempelte. Bill und Lynne hatten auf einer Afrikareise hautnah die Auswirkungen der AIDS-Pandemie erlebt. Das Problem war riesig. In einem Gottesdienst berichtete Bill von dieser Reise und sagte, dass Jesus diejenigen besonders am Herzen liegen, die Not leiden; und dass die Gemeinde sich um diese Menschen kümmern muss. Es war so still – man hätte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können. Jeder spürte: Es hat sich etwas verändert.

Wir erlebten anschließend, wie sich diakonische und soziale Projekte von einem bloßen Dienstbereich der Gemeindearbeit zu einem echten Wert entwickelten. Gott hatte nicht nur meine Vision geweitet, sondern die der gesamten Gemeinde! Wir entdeckten, was Gott von uns wollte. Wir haben die internationale Arbeit ausgeweitet und das jährliche »Celebration of Hope« eingeführt, das vor kurzem zum 9. Mal stattfand. Wir haben erlebt, wie Menschen anders mit ihrem Geld und ihrer Zeit umgehen. Die Spenden für unsere diakonischen Aufgaben stiegen enorm – inzwischen arbeiten wir im diakonischen Bereich in zehn Ländern.

Wer Christus nachfolgt, bekommt so viel Liebe und Barmherzigkeit geschenkt, dass er sich aufmachen und Licht ins Dunkel unserer Welt bringen will.

Die Not vor der eigenen Haustür

Allerdings war unser Engagement einseitig, nur auf internationale Projekte ausgerichtet. Ich wünschte mir, dass wir uns genauso engagiert um die Notleidenden vor unserer Haustür kümmerten, wie wir es am anderen Ende der Welt taten. Lokales und globales Engagement gehören zusammen, sorgen für Glaubwürdigkeit! Zwar hatten wir schon eine Lebensmittelausgabestelle, aber die war fünf Kilometer vom Gemeindezentrum entfernt. »Cars Mini­stry«, der Dienstbereich, in dem Autos repariert und alleinerziehenden Müttern kostenlos zur Verfügung gestellt werden, lag zehn Kilometer entfernt. Für Menschen in Not gab es fünf unterschiedliche Dienstbereiche. Einmal um Hilfe zu bitten, ist schon schwer - aber bei fünf Stellen vorstellig werden zu müssen, fast eine Zumutung! Unsere Hilfsangebote lagen zu weit auseinander und hatten nur wenig miteinander zu tun. Das musste sich ändern!

Bill schlug vor, alles unter einem Dach zu vereinen und ein »Care Center« zu errichten – ein sozialdiakonisches Zentrum. Ich war begeistert. Zunächst haben wir mit den Ältesten gesprochen. Dann haben wir die Gäste unserer Lebensmittelausgabe gefragt, wo ihre größten Nöte sind. Mit lokalen Organisationen haben wir überlegt, welche Aufgaben wir übernehmen könnten. Auch mit dem Bürgermeister nahmen wir Kontakt auf. Wir trafen auf großes Erstaunen, dass eine Gemeinde sich um die praktischen Probleme ihres Umfelds kümmern will.

Wir besuchten ein ähnliches Projekt, von dem wir zunächst sehr begeistert waren, weil sich hier gleich mehrere Gemeinden zusammengetan hatten. Am auffälligsten war der Andachtsraum – mit Kirchenbänken und einem Kreuz an der Stirnwand. Hier fanden jeden Sonntag Gottesdienste statt, wurde uns erzählt. Ich war verwirrt und fragte: »Aber hier sind doch mehrere Gemeinden vertreten. Warum gehen die Bedürftigen, die hier versorgt werden, denn nicht in Ihre Gottesdienste?« Die Antwort: »Die Gemeinden sind sehr großzügig. Sie spenden Geld und die Arbeitszeit ihrer Ehrenamtlichen. Aber in ihren Gottesdiensten möchten sie unsere Gäste nicht sehen. Erst sollen sie ihr Leben wieder auf die Reihe bekommen.«

Es machte mich wütend, aber gleichzeitig wusste ich auch: Das ist nicht das Herz von Willow! Bei uns soll jeder willkommen sein, egal womit er zu kämpfen hat, wo er herkommt, zu welcher Volksgruppe er gehört oder wie sein gesellschaftlicher Status ist.

Hilfe, Jobs, Bekehrungen

Wir haben der Gemeinde schließlich unsere Vision vorgestellt. Und noch vor dem ersten Spatenstich war das nötige Geld für den Bau des neuen »Care Centers« eingegangen! Die gesamte Gemeinde war extrem großzügig und mit Leidenschaft bei der Sache. Seit der Eröffnung im vergangenen Frühjahr konnten wir über 15.000 Familien helfen. Wir erleben, wie Menschen wieder Hoffnung schöpfen und sich neue Wege für sie auftun. Menschen hören zum ersten Mal von Gottes Liebe. Und durch das, was wir tun, erfahren sie diese Liebe konkret. In unserem gut sortierten Lebensmittelladen, in dem die Menschen kostenfrei „einkaufen“ können, kommen sie mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Wir haben nun so viel Platz, dass wir als Zentrallager für zehn weitere Tafeln in der Umgebung fungieren.

Im letzten Monat haben wir im Care Center eine Jobbörse veranstaltet. 35 Unternehmen luden zu Vorstellungsgesprächen ein. Ich beobachtete, wie unsere Gäste von Stand zu Stand gingen und stellte mir vor, wie groß ihre Hoffnung auf eine Anstellung sein musste. Ein Mann erzählte mir später: »Ich war zum ersten Mal bei Willow, weil ich herausfinden wollte, ob das vielleicht eine Gemeinde für mich sein könnte. Von der Jobbörse wusste ich gar nichts. Und tatsächlich habe ich eine Arbeitsstelle gefunden! Ich kann es kaum glauben, dass ich an einem Tag sowohl eine Gemeinde als auch einen Job gefunden habe!«

Viele der neuen Gäste fragen immer wieder, warum eine Gemeinde eine Zahnarztpraxis, einen Shop für Kinderkleidung und Lebensmittel oder auch eine Rechtsberatung anbietet. Als Experiment starteten wir daraufhin vor kurzem das Angebot »Finding Hope« (Hoffnung finden). Freitagmorgens erklären wir dort, was das Evangelium ausmacht sowie unsere Motivation für das Care Center. Erst kürzlich haben sich dort 13 unserer Gäste bekehrt.

Die Zukunft

In unserer Welt ist so viel kaputt. Es gibt so viel Schmerz, Armut und Leid. Viele nehmen das einfach so hin. Aber Gottes Plan ist es nicht, dass Menschen leiden. Wir dienen einem Gott, der global denkt, und der von uns dasselbe erwartet: als Bürger und auch als Christen. Er will, dass die Gemeinde seine Liebe und sein Mitgefühl erlebbar und greifbar weitergibt, so dass sie ein Werkzeug der Veränderung, ein Kanal der Hoffnung ist. Wir stehen noch ganz am Anfang. Noch viele weitere Kapitel mit Geschichten neu gefundener Hoffnung werden geschrieben werden. Viele werden ihre Spuren hinterlassen.

Welche Rolle hat Gott dir zugedacht auf dem Weg? Welche Spuren möchtest du hinterlassen? Wie willst du auf Jesaja 60 reagieren: »Mache dich auf! Werde Licht! Denn dein Licht kommt«?

 

Celebration of Hope

Zum neunten Mal veranstaltete die Willow Creek Gemeinde im April ihre dreiwöchige Aktion Celebration of Hope (Feier der Hoffnung). In der jährlich stattfindenden Aktionszeit richtet die Gemeinde ihren Blick besonders auf die Notlage der Armen –

 vor Ort und weltweit. Heather Larson: »Unser Ziel ist, Christen einen weltweiten Blick für die Problematik der weltweiten Armut in unserer zerbrochenen Welt zu vermitteln. Zugleich sollen die Gemeindeglieder herausgefordert werden, sich zu engagieren, sodass Leben verändert werden und Christus so bekannt wird.« 

Neben den Gottesdiensten, die das Thema aufgriffen, engagierten sich Tausende von Ehrenamtlichen in einer groß angelegten Saattüten-Pack-Aktion. Mit dem besonders ausgewählten Saat­gut können Menschen in Afrika sich einen eigenen Gemüsegarten anlegen. So können sie nicht nur ihre Familie ernähren, sondern Überschüssiges verkaufen und ein Einkommen erzielen. Über eine Million Päckchen wurden gepackt. Eine Ausstellung im Gemeindefoyer erläuterte, welchen Gewinn das Saatgut für ihre Empfänger darstellt. Darüber hinaus wurden Spenden für die Errichtung von Brunnen und Trinkwasseraufbereitungsanlagen zusammengelegt.

Seit vielen Jahren unterhält Willow Creek enge Partnerschaften mit Ortsgemeinden in Afrika, Asien und Lateinamerika und unterstützt sie gezielt in den Bereichen Trinkwasserbereitstellung, Gesundheit und Ernährung, Wohnraumschaffung, Bildung, Kleinstunternehmertum und Gemeindeentwicklung. Laut Heather Larson ist jeder dieser Schwerpunkte ein wichtiges Sprungbrett, damit Menschen von lebensbedrohlicher Armut zu einer gesunden, tragfähigeren Zukunft gelangen.