„Das Bildungsziel Jesu: Mündiger Glaube“

Theologe Herbst: Wer leitet, braucht jemanden, der ihm die Wahrheit sagt

Messehalle dm-arena Karlsruhe. Der Countdown zählt von Minute 3:58 herunter. Auf der Leinwand ist ein Hund zu sehen, der sich bei heruntergelassenem Fenster die wehenden Ohren durchpusten lässt. Dazu tönt der alte Schlager aus den Lautsprechern: „Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen, Sonnenschein …“ Zum Auftakt des zweiten Leitungskongress-Tages übernimmt die Willow-Band mit schwungvollem Morgen-Lobpreis: „Du machst alles neu, Schönheit fällt wie der Regen. In dir blüht alles auf, du bist pulsierendes Leben“.
Der Künstler Nick Benoit konfrontiert die Zuhörenden mit abwechselnden Überlegungen, auch mit Zweifeln: Gott wirkt Übernatürliches in Menschen. Aber glauben wir tatsächlich, dass Gott handelt? Folgen wir mutig unserer Berufung als Gottes Bauarbeiter? Mutig können wir durch Gottes Kraft neue Geschichten schreiben, beschließt er seinen Impuls.


Der Greifswalder Theologe Michael Herbst packt dann ein heikles Thema in der Gesellschaft wie in Gemeinden an: den Umgang mit Macht. Der Blick darauf schwankt zwischen den Polen „Macht ist Durchsetzungskraft“, die aus einer Position oder einer Persönlichkeit herrührt, und der kritischen Einschätzung: „Macht korrumpiert“. Aber auch der Gegenpol, die hilflose Ohnmacht, die nicht gestalten kann, ist „keine christliche Tugend“, erklärt Herbst, der in dem Zusammenhang den SPD-Politiker Franz Müntefering zitiert: „Opposition ist Mist.“
Wer aber Macht hat, muss um ihre verführerische Kraft wissen. „Macht ist ein gefährlicher Rohstoff: wie Braunkohle – sie wärmt, ist aber dreckig“, sagt Herbst, darum brauchen Macht-Menschen Begrenzung und Kontrolle: „Einsam an der Spitze machen wir Fehler und unterliegen Versuchungen.“ Herbst ruft darum die Teilnehmenden in Karlsruhe und an den Übertragungsorten auf: „Wenn ihr leitet, dann sorgt dafür, dass es immer einen gibt, der euch die Wahrheit sagen darf. Ihr müsst das wollen, auch wenn ihr es nicht mögt.“ Die knifflige Situation liegt darin: „Macht in Gemeinden kann sich elegant verstecken, sie ist aber da.“

„Toxisches Macht-Dreieck“

Demgegenüber steht „das Ziel Jesu für uns: ein mündiger Glaube, der auf eigenen Beinen steht.“ Es ist sozusagen „das Bildungsziel Jesu“, sagt Herbst: die „Ermächtigung zu einem reifen, erwachsenen Glauben“. Wer im Glauben reifer wird, muss nicht „von einem himmlischen GPS an jeder Weggabelung dirigiert“ werden, sagt Herbst. „Gottes Art der Führung“ ist vielmehr die mit einem „inneren Kompass. Es gibt nicht für jede Lage die eine richtige geistliche Haltung – aber wir können gute Entscheidungen treffen.“
Trotzdem gibt es religiösen Machtmissbrauch, der sich in einem „toxischen Dreieck“ abspielt, erläutert Herbst: „Gefährliche Leiter“ treffen auf „verletzliche Follower“ – in einem Umfeld, das den Missbrauch duldet. Dann wird Macht übergriffig, arbeitet mit Druck und will Kontrolle über das gesamte Leben. Gott will aber keine unreifen, unmündigen Kinder. Darum brauchen Menschen Gemeinden, die ein sicherer Ort sind, die keine „Wölfe im Schafspelz“ dulden. Herbst mahnt aber auch, nicht hochmütig auf die zu zeigen, die durch Macht gefährdet sind – „weil ich weiß, dass das auch für mich eine Möglichkeit sein kann.“
Jesus stellt „alle Dinge vom Kopf auf die Füße und richtet unseren Kompass aus“, sagt der Theologe. Er gebraucht seine Macht, um Menschen zu „ermächtigen“: „In seinem Einflussbereich werden Menschen stärker, größer, mutiger, zuversichtlicher, erwachsener, Männer wie Frauen gleichermaßen“, sagt Herbst. „Wer Macht hat, soll dienen.“ Und er fragt: „Wann schlägt dein Herz höher – wenn du Applaus bekommst oder wenn du siehst, wie andere aufblühen und Gemeinde auch ohne dich weitergeht?“ Seelsorgerlich schließt er: Wenn das „Monster“ Macht im Herzen auftaucht, dann gibt es einen Ort, an dem das heilsam kuriert wird – am Kreuz.