Der sechsjährige Emerson hat einen Traum. Der Junge ist  sicher, dass Gott ihn beauftragt hat,  nach Ghana zu gehen um benachteiligten  Kindern zu helfen. Seine Mutter Sarah ist hin- und hergerissen, lässt sich dann aber auf das ›Abenteuer Afrika‹ ein. Sie erzählt von der Leidenschaft des Kindes, ihren eigenen Vorbehalten und von dem heiligen Moment einer Fußwaschung in Afrika. Ein engagiertes Plädoyer für mehr Mut in unseren Gemeinden, den Träumen der Kin­der und den ›Schubsern‹ des Heiligen Geistes neue Beachtung zu schenken.

Emersons Leidenschaft für Ghana

Eines Abends erzählte mir unser sechsjähriger Sohn Emerson, dass er den Kindern in Afrika helfen möchte. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns bereits seit Jahren um die Adoption eines Kindes aus Ghana bemüht. Emerson hatte mitbekommen, wie schwierig das Leben für die Kinder dort sein musste. Besonders berührte ihn, dass viele von ihnen in manchen Teilen des Landes verkauft wurden, um etwa die Netze von Fischern zu säubern. Sie schufteten den ganzen Tag ohne Lohn, durften die Schule nicht besuchen und hatten vor allem keine liebevollen Eltern, die sie abends ins Bett brachten.Unser Sohn berichtete uns: »Im Promiseland (das Kinderprogramm der Willow-Creek-Gemeinde; Red.) haben wir darüber gesprochen, dass Jesus von uns möchte, dass wir uns um die kümmern, denen es schlecht geht. Wenn meine Freunde wüssten, wie schlecht es den Kindern in Ghana geht, würden sie ihnen bestimmt helfen.« Und so wurde Ghana zu seinem Thema!

Weltweite Freundschaften entstanden

Wir beschlossen eine gemeinnützige Organisation zu unterstützen, die sich gegen Kindersklaverei stark macht. Mit einer eigenen Webseite informierten wir unsere Familie und Freunde über die Situation und riefen zur Hilfe auf. In nur zwei Tagen gingen daraufhin zweitausend Dollar an Spenden ein. Die Kinder in Emersons Klasse schrieben ermutigende Briefe an die Kinder, die aus der Sklaverei gerettet worden waren. Nicht nur bei uns, auch weltweit entstanden Freundschaften.

Wir baten Gott uns zu zeigen, was wir mit dem Geld machen sollten, denn die Aktion lief erfolgreich weiter. Dann fanden wir heraus, dass rund zwei Milliarden Menschen an Krankheiten leiden, die durch Parasiten verursacht werden. Das ließ sich durch gute Schuhe eigentlich einfach vermeiden – aber die Kinder hatten vielfach keine. Noch mehr als das Fehlen der Schuhe schockierte uns, dass jedes Jahr mehr als eine Million Kinder an diesen Krankheitsfolgen sterben müssen. Somit war klar: Mit neuen Schuhen für Ghana würden wir nicht nur konkrete Not lindern, sondern auch Gottes Liebe weitergeben.

Selbst nach Afrika reisen? Ein entschiedenes ›Vielleicht!‹

Dann kam jener Moment, der alles veränderte. Emerson erzählte mir von einem Traum, und er war ganz sicher, dass er von Gott kam: Er sollte den Kindern in Ghana die Schuhe überbringen. Ich war überrascht und besorgt, und umgehend begann der Film in meinem Kopf-Kino: Wir brauchten Pässe und Impfungen, von den potenziellen Gefahren in einem Entwicklungsland ganz zu schweigen. Es war ja etwas ganz anderes, Spenden zu sammeln und Menschen dafür zu begeistern, Gottes Liebe nach Ghana zu bringen. Aber selbst dorthin fahren? Mit meinem kleinen Jungen? Auf keinen Fall! Aber Gott hat Geduld mit uns. Er flüsterte mir leise zu: »Sarah, glaubst du, dass ich zu deinem Sohn genau so reden kann wie zu dir? Glaubst du, dass ich auch mit ihm mein Reich bauen kann? Sag nicht vorschnell ›Nein‹, wenn ich eigentlich ein ›Ja‹ von dir hören möchte!«

Ich atmete tief durch und rang mich zu einem entschiedenen ›Vielleicht‹ zur Reise durch. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass diese Sache größer, mutiger und schöner wurde, als ich es mir am Anfang ausgemalt hatte. Gut, Gott. Vielleicht!

Nach unzähligen Stunden voller Träume, Gebete und Planungen schlossen wir uns mit der gemeinnützigen Organisation ›City of Refuge Ministries‹ in Doryumu/Ghana zusammen, und im Juni 2014 flogen Emerson, einige Freunde und ich nach Afrika, mit 400 Paar Schuhen im Gepäck. Das ›Ja‹ hatte über das ›Vielleicht‹ gesiegt!

Fußwaschung in Ghana

Die Kinder, die bei ›City of Refuge‹ leben, haben Sklaverei und zahlreiche Misshandlungen hinter sich. Wir bewunderten ihren Mut und ihre innere Stärke, mit der sie Vergangenes zu bewältigen versuchten. Vor allem erfuhren wir, wie sich echte Freude äußert: Trotz allem, was sie durchmachen mussten, lachten, spielten und tanzten die Kinder ausgelassen. Im ›City of Refuge‹ haben sie endlich ihre Kindheit zurückerobert.

Vor der Übergabe der Schuhe fragten wir die Mitarbeiter, ob wir den Kindern die Füße waschen dürften. Sie fanden die Idee gut. Was wir danach erlebten, war überwältigend: Ein Kind nach dem anderen kam mit zerfledderten Schuhen zu uns. Sie setzten sich hin, Emerson zog ihnen die alten Schuhe aus und tauchte ihre Füße ganz vorsichtig in die Schüssel mit klarem, kaltem Wasser. Beim Waschen betete er laut. Manche Kinder beteten mit, andere mussten weinen. Zum Schluss nahmen wir jedes Kind in den Arm; danach gingen sie zu ihren Kameraden zurück und platzten fast vor Stolz: Sie hatten brandneue Schuhe bekommen! 

Emerson wusch betend ihre Füße mit klarem, kaltem Wasser

Heilige Momente

Diese heiligen Momente ereigneten sich an einem feuchtheißen afrikanischen Tag. Uns war klar, dass wir Zeuge von etwas wirklich Tiefgreifendem geworden waren – etwas, das größer war als wir. Etwas, das sich menschlich anfühlte, und doch viel mehr als menschlich war. Weil in Emersons Herz ein unüberhörbares Drängen war, sich für diese Kinder einzusetzen, kamen wir alle zutiefst verändert aus Ghana zurück.

Seit einigen Monaten sind wir wieder in Chicago. Ich habe den Eindruck, dass Emerson trotz seines Alters einen reifen Glauben entwickelt hat. Kürzlich betete er mit kindlicher Leidenschaft für neue, liebende Familien für seine Freunde in Ghana. Plötzlich unterbrach er sein Gebet und sagte: »Mama, ein Junge wurde beim Fußballspielen von einem Ball getroffen. Er fing an zu weinen und rief: ›Mama, Mama!‹, und ich wurde ganz traurig – er hat doch keine Mama.« Emerson ist sechs Jahre alt, aber er hat verstanden, dass jedes Kind in einer liebevollen Familie aufwachsen sollte.

Dem Schmerz mit Empathie und Gebet begegnen

Als Eltern befinden wir uns manchmal in einem Dilemma: Wir möchten unsere Kinder vor Schmerz bewahren. Halten wir aber alles Schwierige von ihnen fern, verhindern wir ihr inneres Wachstum. Die Entscheidung, Emerson mit nach Afrika zu nehmen, ist mir nicht leicht gefallen. Ich wusste, er würde dort sehr viel Not sehen, und dies würde ihn für immer verändern. So brach ihm die Not, die er sah – und von der er mir erzählte – das Herz; und damit brach auch meines. Aber es brach für die Kinder Gottes, und seine Empathie war authentisch. Dies zu erleben war wunderschön: Es waren die goldenen Früchte eines Lebens, das vom Heiligen Geist erfüllt ist und das ich mir für meinen Sohn so sehr gewünscht hatte.

Ist ein solcher Umgang mit dem Schmerz nicht eine unvergessliche Lektion für einen Sechsjährigen? Ich habe mich gefragt, ob ich mit schwierigen oder traurigen Dingen ebenso umgehen kann. Meine Antwort darauf sollte ein klares Ja sein: Ich möchte Schmerz mit Empathie begegnen; ich möchte auf Schweres mit Gebet antworten – so wie es mir mein Sohn in Ghana vorgelebt hat.

Doch welche Werkzeuge geben wir unseren Kindern mit auf den Weg, wenn sie mit Leid konfrontiert werden? Ich habe darauf keine abschließende Antwort, aber eines weiß ich: Ich möchte meine Kinder so ›ausstatten‹, dass sie schwierige Situationen mit Mitgefühl und Glauben meistern können. Der Schmerz, den sie sehen, soll sie zur Liebe befähigen: Liebe und Schmerz sind immer nahe beieinander. 

Wenn mich Berichte über Kriege, Hass und Gräueltaten erschrecken, achte ich jetzt vor allem auf jene Menschen, die sich mutig dem Geschehen stellen: Sie haben keine Angst davor, ihre Stimmen zu erheben, sich mutig für die Opfer zu engagieren, nach Frieden zu rufen – und für die zu bitten, die nicht wissen, was sie tun. Mitgefühl und Gebet sollten stets unsere erste Reaktion auf Kummer und Leid sein. 

Mitgefühl und Gebet sollten unsere erste Reaktion auf Kummer und Leid sein

Liebe konkret: Schuhe und Fußwaschung 

Bei unserer Reise nach Ghana ging es überhaupt nicht um uns, sondern vielmehr um konkret erfahrbare Liebe. Diese Liebe hatte die Gestalt von Schuhpaaren und sie manifestierte sich in den Händen meines Sohnes, die die Füße der tapferen Überlebenden wuschen. Mit dieser gelebten Menschlichkeit befanden wir uns auf heiligem Boden. 

Was würde wohl passieren, wenn wir solche ›Schubser‹ des Heiligen Geistes besser beachten würden? Wenn wir Gott bäten, uns zu zeigen, was seine Schöpfung braucht? Unsere Kinder leisten mit ihren Träumen und ihrer Gottesbeziehung ihren ganz eigenen Beitrag zum Bau seines Reiches. Es ist eine überraschende und gleichzeitig demütigende Erfahrung zu sehen, dass der Gott, der zu uns spricht, auch zu ihnen spricht. Im Promiseland werden Emerson und andere offen mit solchen Fragen konfrontiert; jetzt stellen wir sie auch bei uns zu Hause.

Kinder bauen aktiv am Reich Gottes

Erziehung ist nichts für Verzagte, vor allem dann nicht, wenn man zu einer Gemeinde gehört, die es auch den Kleinsten zutraut, aktiv am Reich Gottes mitzubauen, weil sie Hoffnung und Veränderung in Gottes kostbare Welt bringen können. 

Als mir mein Sohn von seinem Traum für Afrika erzählte, hatte ich die Wahl: Sollte ich das Flüstern des Heiligen Geistes ersticken oder mich darauf einlassen? Lassen Sie uns doch mutiger werden, denn Gott schreibt auch mit dem Leben unserer Kinder seine Geschichte. Wenn der Augenblick kommt, in dem sie uns mit ihren unschuldigen Augen hoffnungsvoll anschauen, wenn sie uns von den Träumen erzählen, die Gott in ihr Herz gelegt hat, dann lassen Sie uns über unseren Schatten springen und zumindest mit einem ›Vielleicht‹ antworten. Denn in seiner Erlösungsgeschichte für die Welt hat Gott jedem eine Rolle zugedacht – den Großen und den Kleinen.