Sechs Monate hat sich das neunköpfige Ältestenteam der Willow Creek Community Church, das im Januar 2019 sein Amt antrat, Zeit genommen, um mit den Menschen zu sprechen, die in die Anschuldigungen gegen Bill Hybels involviert waren. Am 23. Juli fand ein Versöhnungsgottesdienst in der Gemeinde statt, der von den Ältesten geleitet wurde. Er sollte dazu dienen, die aus der Kontroverse um den ehemaligen Willow­-Gründer und -Pastor entstandenen Wunden zu heilen und Gräben zu überwinden.

Das neue Leitungsgremium sprach in dem Gottesdienst offen die Geschehnisse aus der Vergangenheit an, blickte zugleich aber auch in die Zukunft. Der Älteste Steve Kang berichtete zu Beginn, dass man sich nicht nur für Bill Hybels und den Umgang der damaligen Gemeindeleitung mit den Anschuldigungen gegen ihren ehemaligen Pastor entschuldigen, sondern sich auch mit Gott und untereinander versöhnen wolle. »Gott ruft uns dazu auf, zum Evangelium der Versöhnung zurückzukehren und die Hauptsache wieder zur Hauptsache zu machen«, so Kang.
Infolge der Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens gegen Bill Hybels waren im August 2018 der gesamte Ältestenkreis und auch die beiden Pastoren zurückgetreten, die mit der Gemeindeleitung beauftragt waren, nachdem Hybels vorzeitig in den Ruhestand getreten war. Nachdem die damalige Gemeindeleitung die Vorwürfe bestritten hatte, kam ein unabhängiges Untersuchungsgremium zu dem Schluss, dass die Vorwürfe von Fehlverhalten, zu denen auch Machtmissbrauch gehörte, glaubwürdig seien. Hybels hat die Anschuldigungen, so wie sie dargestellt wurden, als unzutreffend zurückgewiesen.
Im Juli 2019 schrieben die Ältesten in einer E-Mail an die Gemeindemitglieder: »Wir möchten nach einer solch traumatischen Erfahrung in eine auf das Evangelium fokussierte Zeit der Versöhnung eintreten«. Das Leitungsgremium hatte – neben den ausführlichen Gesprächen mit allen Betroffenen – auch das Gespräch mit Hybels selbst gesucht. »Aber er hat entschieden, sich zu diesem Zeitpunkt nicht in den Dialog einzubringen«, so die Ältesten in der E-Mail.
Die Älteste Shoji Boldt erläuterte in dem Gottesdienst, dass das neue Leitungsgremium bisher zwei der vier Schritte des Wahrheits- und Versöhnungsprozesses abgeschlossen habe, den der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika entworfen hat. Dieser Prozess wurde der Gemeinde von dem unabhängigen Untersuchungsgremium empfohlen. Er beinhaltet, die Geschichte zu erzählen, die Verletzungen zu benennen, Vergebung zu gewähren und die Beziehung zu erneuern oder aber zu lösen, erklärte Boldt.

»Weltweit haben Kirchen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen; wir haben die Möglichkeit, diese nun angemessen zu lösen.«

»Wir sind tief traurig über den persönlichen Tribut, den die beteiligten Menschen und ihre Familien gezahlt haben«, so Boldt. »Aber es ist eine Trauer, die zur Reue führt.« Auch wenn die Gemeinde den Versöhnungsprozess weiter durchlaufen wird, werde die Gemeinde nicht durch dieses Trauma definiert: »Gott wird nicht zulassen, dass wir unsere Gemeinde bauen, wenn sie von Macht, Missbrauch, sexueller Sünde und Götzendienst gezeichnet ist«, sagte die Älteste. »Weltweit haben Kirchen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen; wir haben die Möglichkeit, diese nun angemessen zu lösen.«
Die Vision der Gemeinde bleibt auch künftig dieselbe wie in der Vergangenheit, erläuterte das Leitungsgremium. Bis zum Jahresende soll ein neuer Leitender Pastor berufen werden. Versöhnung sei ein Prozess, der nicht über Nacht stattfinde, erklärte die Älteste Mary Square. »Wir werden mit der Spannung leben müssen, dass Gott auf der einen Seite die Willow-Gemeinde dazu gebrauchte, erstaunliche Dinge zu tun, während auf der anderen Seite Menschen verletzt wurden.«
Der Geschäftsführer von Willow Creek Schweiz, Stefan Gerber, hat an dem Versöhnungsgottesdienst teilgenommen. Seine Einschätzung danach: »Eindrücklich war, dass dieser Gottesdienst von den Ältesten einberufen und auch geleitet wurde: in sehr schlichter Form, auch auf Live-Musik wurde bewusst verzichtet. Es war spürbar, dass die Ältesten nun gemeinsam mit der Gemeinde in Demut ein neues Kapitel aufschlagen wollen.«