Vor 30 Jahren ahnte kaum jemand, welche Dynamik drei Vorträge von Bill Hybels beim Gemeindekongress 1993 in Nürnberg entfalten würden. Was damals als mutiger Impuls begann, entwickelte sich zu einer Bewegung, die Gemeinden im gesamten deutschsprachigen Raum prägen sollte: durch neue Visionen für Kirche, durch ermutigende Kongresse und durch den Blick über den Atlantik nach Chicago.
Einer, der diesen Weg fast von Anfang an begleitet hat, ist Karl-Heinz Zimmer. Seit 1998 ist er eng mit der Willow-Arbeit verbunden, 19 Jahre war er Geschäftsführer von Willow Creek Deutschland. Er hat Entwicklungen und Wendepunkte erlebt und gesehen, wie aus ersten Funken eine lebendige Kongress- und Inspirationsbewegung wurde. Zum 30-jährigen Jubiläum von Willow Creek Deutschland blicken wir mit ihm zurück – auf erstaunliche Anfänge, prägende Begegnungen, herausfordernde Jahre und die Frage, was die Bewegung heute und in Zukunft tragen kann.
Uns wurde bewusst, und hier schließe ich die meisten Teilnehmenden mit ein, dass viele Fragen und Probleme nicht strukturell oder methodisch bedingt sind, sondern ihre Wurzeln auf der Leitungsebene haben.
30 Jahre Willow Creek Deutschland – das ist eine ganze Menge Geschichte! Welche Momente oder Projekte sind dir besonders im Gedächtnis geblieben und warum?
Im Jahr 1998 wurde ich in die Arbeit von Willow Creek Deutschland berufen. Im Oktober dieses Jahres wurde ich angestellt und konnte die Arbeit von da an als Leitender Referent mitgestalten. Nach den ersten Kongressen 1996 und 98, die unter dem Motto „Kirche für andere“ eine enorm hohe Aufmerksamkeit fanden, war der erste Meilenstein für mich die Einführung von „Promiseland“, dem Willow-Modell für die Arbeit mit Kindern. Der Dreiklang „Spielstraße zum Ankommen – biblische Geschichte – Vertiefung in Kleingruppe“ war für viele wie eine Erleuchtung, denn in diesem Modell können sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Begabungen einbringen. Mit dem Doppelkongress für die Arbeit mit Jugendlichen und Kindern 1999 in der Ruhrlandhalle und der verbundenen Rundsporthalle Bochum startete auch in Deutschland eine starke Promiseland-Bewegung, die durch die Herausgabe von umfangreichem Arbeitsmaterial und durch eine Vielzahl an Einführungsseminaren durch ein Promiseland-Team aus begeisterten Praktikern verschiedener Gemeinden Deutschlands richtig Fahrt aufnahm.
Ich denke auch an den ersten Leitungskongress „Geistlich leiten“ im November 2000. Wir waren von dem Format des „Leadership Summit“ bei Willow Chicago vollkommen überzeugt. Dennoch blieb unsicher, wie es in unserer Gemeindelandschaft ankommen würde. Wir rechneten mit etwa 2.500 Besuchern. Der Start mit 4.000 Teilnehmenden überraschte uns dann doch. Während des Programmverlaufs wurde sehr schnell deutlich, dass die Themen „Leiten und Führen“ für den Gemeindeaufbau eine zentrale Rolle spielen. Uns wurde bewusst, und hier schließe ich die meisten Teilnehmenden mit ein, dass viele Fragen und Probleme nicht strukturell oder methodisch bedingt sind, sondern ihre Wurzeln auf der Leitungsebene haben. Das führte dazu, dass von da an die Leitungskongresse eine zentrale Rolle in unserer Arbeit spielten. Die Teilnehmenden verdoppelten sich im Jahr 2002 auf 8.100 und stiegen in Stuttgart 2005 auf 11.000 an. Danach gab es einen Rückgang, der weitgehend „hausgemacht“ war. Durch den Erfolg beflügelt, versuchten wir, in kürzerem Abstand Kongresse zu unterschiedlichen Themen anzubieten. Ergebnis war, dass die Besucherzahlen insgesamt gleichblieben, sich aber auf mehrere Kongresse verteilten. Dadurch blieben die Einnahmen konstant, die Ausgaben stiegen aber unverhältnismäßig. Wir mussten gegensteuern und das Kongressangebot auf zweijährige Leitungskongresse fokussieren. Dadurch stiegen die Teilnehmerzahlen seit 2010 wieder und erreichten 2018 mit 12.000 Besuchern ihren Höhepunkt.
Weniger ein besonderer Moment oder ein Projekt, sondern eher eine spezielle Befürchtung kleidete sich permanent in die Frage: „Gründen Sie eigene Gemeinden?“ Sie begegnete mir immer und immer wieder. In fast jedem Gespräch mit Kirchen- oder Gemeindeverbandsleitungen kam sie auf den Tisch. Klar, wenn eine Bewegung, von der so viel Dynamik ausgeht, anfängt, eigene Gemeindestrukturen zu bauen, dann ist das schon eine ernst zu nehmende Größe. Der evangelische Stadtsuperintendent einer deutschen Großstadt drückte es einmal so aus: „Man mag dazu stehen, wie man will: Wenn Willow Creek kommt, kann man nicht einfach dran vorbei.“ Diese Frage war natürlich immer im Hintergrund präsent. „Nein, wir gründen keine eigenen Gemeinden, sondern arbeiten mit den bestehenden Kirchen und Gemeinden zusammen“, war meine Antwort. Jedes Mal, ohne Ausnahme, war die Entspannung bei meinem Gesprächsgegenüber deutlich zu spüren, wenn die Frage nach eigener Gemeindegründung in dieser Weise beantwortet war. Natürlich sind aus der Willow-Arbeit neue Gemeinden, auch mindestens ein neuer Gemeindebund hervorgegangen, und wir hatten gute Beziehungen zu ihnen. Manchmal lag es auch nah, selbst eine eigene Gemeindestruktur aufzubauen. Manche hätten es sehr begrüßt und hätten es auch großzügig unterstützt. Dieser Versuchung haben wir jedoch widerstanden. Gott sei Dank, sage ich auch im Nachhinein. So gingen viele Türen auf. Da wir nicht ein „Willow-Gemeindemodell“ implementieren wollten, sondern uns am Beispiel von Willow eher als Lernplattform verstanden, konnten alle von Willow profitieren und das, was ihnen jeweils hilfreich erschien, in so viele Denominationen hinein übertragen. In dieser Grundsatzhaltung, wie in vielen anderen Fragen auch, waren wir uns im gesamten Vorstand in hohem Maße einig. Ja, die Zusammenarbeit in unserm durchaus „hochkarätig“ besetzten Vorstand war eine Frucht der Überzeugung, dass Willow für ganz viele verschiedene Gemeindetraditionen kompatibel ist.
Das kam auch in Kooperationen zum Ausdruck, mit der Allianz und AMD, mit Pro Christ, ERF und Bibel-TV, mit Compassion und World Vision. In Zusammenarbeit mit Gerth Medien entstand ein beachtlicher Sektor von Arbeitsmaterialien und Einführungsseminaren. Schulungskurse, wie z. B. „So wird Ihr Christsein ansteckend“, „D.I.E.N.S.T.“, „Abenteuer Alltag“ und „Lebensverändernde Kleingruppen“ fanden in evangelischen wie in katholischen Kirchen, in Freikirchen wie in der Gemeinschaftsbewegung und in vielen freien Gemeinden und Gruppen Anklang und Anwendung.
Gemeinde verändert sich nicht durch den Austausch von Methoden. Gemeinde verändert sich durch Menschen, die in der Nachfolge Jesu nach Wegen suchen, ihn zu den Menschen ihrer Zeit zu bringen.
Leitungskongress, Gemeindekongress, Kinderplus-Kongress, Jugendpluskongress, TechArts und Youngster-Kongress – all diese Veranstaltungen haben viele Menschen inspiriert. Welche Impulse von diesen Kongressen sind für dich am nachhaltigsten gewesen – wo siehst du echte Veränderungen vor Ort?
Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Jedes dieser Kongressformate hat seine jeweils eigenen Spuren hinterlassen und ich kann gar nicht recht unterscheiden, was nachhaltiger war und was weniger. Ich denke, Kongressimpulse wirken manchmal temporär und sind gerade in einer speziellen Situation bedeutsam. Hier denke ich zum Beispiel an junge Leute, die durch die Jugendkongresse persönliche Glaubensstärkung und Berufung in ihren Dienst erlebten, bis hin zur Gründung einer heute großen und impulsgebenden Gemeinde. Andere Kongressimpulse wirkten initiativ und bildeten die Grundlage für Weiterentwicklungen, die ohne diese Anstöße nicht möglich gewesen wären. Ich denke da an die Inhalte der ersten Gemeindekongresse, die ich ja nur vom Hörensagen kenne. Welche Bewegung und Faszination haben damals die Vorträge über die „7 Schritte“, die „5 Gs“ oder die „10 Werte“ der Willow Creek Community Church in Deutschland ausgelöst? Unvorstellbar, dass die Willow-Bewegung ohne sie so viel Fahrt aufgenommen hätte. Heute spielen sie thematisch keine Rolle mehr, haben aber auf das Nachdenken über missionarisch-missionalen Gemeindeaufbau und über Gemeindekultur ihren maßgeblichen Einfluss ausgeübt. Oder wie oft wurde ich hier in Deutschland auf die legendären „Seeker Services“, also die Gottesdienste für Suchende in der Willow-Gemeinde, angesprochen. Das war ein starkes Gottesdienstformat, das von vielen Gemeinden in unserem Land übernommen wurde und noch virulent war, lange nachdem es die Willow-Gemeinde selbst als solches abgeschafft bzw. „überarbeitet“ hatte. Weil sich die Zeit geändert hatte und mit ihr auch der Mensch, musste sich auch das Format ändern. Dennoch war das vorhergehende Format nachhaltig, weil es zu seiner Zeit zielführend war. So sehe ich jeden Kongress mit seinem jeweils eigenen Wert, den sicherlich die bestätigen können, die als Besucher daran teilgenommen haben.
Ich sehe viele Auswirkungen der Kongresse, z.B. gewachsene oder wachsende Gemeinden, ein veränderter Fokus auf Leiten und Führen, ganz nach dem Motto „Everyone wins when the leader gets better“. Ich sehe eine Veränderung der Lobpreiskultur in vielen Gemeinden, das Bewusstsein, wie wichtig der gekonnte Einsatz von Technik und Multimedia ist, und nicht selten begegnen mir statt der früheren „Kinderstunde“ das „Abenteuerland, die Kinder-Oase, der Flohzirkus“. Ein Impuls, der sich von Anfang an durch die Kongresse durchzog, scheint zentral: Gemeinde verändert sich nicht durch den Austausch von Methoden. Gemeinde verändert sich durch Menschen, die in der Nachfolge Jesu nach Wegen suchen, ihn zu den Menschen ihrer Zeit zu bringen.
Die Reisen nach Chicago mit dem Blick „hinter die Kulissen“, den Begegnungen vor Ort und dem Global Leadership Summit waren für viele ein beeindruckendes Erlebnis. Welche Eindrücke von dort haben die Arbeit in Deutschland am stärksten geprägt?
Neben den Kongressen gehörten die Studienreisen zur Willow Creek Community Church und zum Global Leadership Summit ohne Zweifel mit zu den wirkungsvollsten Instrumenten. Während meiner ersten Reise fragte ich einen Teilnehmer, was ihn zu der Reise bewogen habe. Seine Antwort: „Ich bin hier, weil ich wissen will, ob das, was uns die Amerikaner in Deutschland von der Bühne herab erzählen, in der Praxis auch wirklich funktioniert.“ Das in der Gemeindepraxis der Willow-Gemeinde vor Ort mit Leben gefüllt zu sehen, hat die Reiseteilnehmer immer und immer wieder berührt. In den Begegnungen mit Verantwortlichen der Willow-Gemeinde konnten sie in eine faszinierende Gemeindepraxis eintauchen, konnten „hinter den Kulissen“ dem „Warum funktioniert das so, wie es funktioniert“ auf die Spur kommen, konnten Gemeindegliedern begegnen, sie befragen und sich von ihrer Motivation anstecken lassen. Besonders die Angebote für Menschen in persönlichen Krisen und die soziale Arbeit im Care Center gehörten zu den tief bewegenden Momenten einer Reise. Unvergessen sind auch die BBQ-Abende im Garten des Ehepaars Ryberg mit deutschen Reiseteilnehmern und Willow-Gemeindegliedern. Neben den regulären Studienreisen, zu denen sich jeder anmelden konnte, organisierten wir immer wieder auch Reisen, zu denen wir speziell einluden. Ich denke da an eine Einladung an alle Bischöfe der Evangelischen Landeskirchen der EKD. Sie delegierten Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, der neben allem, was er im Kirchenverständnis auch kritisch sah, doch tief ergriffen war. Er schickte im Jahr darauf 10 Personen seiner Landeskirche auf Reisen, um unterschiedliche Impulse aufzunehmen, in einer Arbeitsgruppe zu verarbeiten und für den Dienst der Landeskirche nutzbar zu machen. Ich denke an Reisen für Leiterinnen und Leiter von christlichen Werken und Gemeindeverbänden sowie christliche Unternehmer. Aus dem Büro des Präsidenten des diakonischen Werkes erreichte uns die Bitte, mit einer Delegation der Diakonie eine Reise durchzuführen. Seit 2013 kamen im Zweijahres-Rhythmus Reisen für Theologiestudierende dazu, die von Prof. Dr. Michael Herbst und von Prof. Achim Härtner MA fachlich begleitet wurden. Unsere Absicht war, dass wir jungen Theologinnen und Theologen, noch bevor sie als Pfarrerinnen oder Pastoren in den Gemeindedienst gingen, eine Vorstellung von Gemeinde vermitteln wollten, bei der missionarische Offenheit und gemeindenahe soziale Verantwortung Hand in Hand gehen.
Dann war natürlich der Global Leadership Summit ein Highlight für alle Reiseteilnehmer. Mit seinem Stil und den Inhalten hat er die deutschen Leitungskongresse von Willow bereichert und ganz stark geprägt, wobei wir in Deutschland immer auch mehr auf den Gemeindebezug und geistliche Inhalte geachtet haben. Wer einmal bei einer Studienreise dabei war, der kam, was die Sicht auf Gemeinde und ihren Dienst anbelangte, als veränderter Mensch zurück.
Alles geriet ins Wanken.
Willow hat in den letzten Jahrzehnten viel bewegt, aber es gab auch Krisen und schwierige Momente. An welche Situationen erinnerst du dich besonders – und wie ist es gelungen, diese Herausforderungen zu meistern?
Die gab es wirklich – und in ganz unterschiedlicher Art. Da gab es zuerst eine Schwierigkeit in der Zusammenarbeit zwischen Willow Amerika und Willow Deutschland. Das war keine Krise in dem Sinne, eher eine Klärung unterschiedlicher Verständnisse und Erwartungen. Auch unsere Zusammenarbeit blieb nicht vor den allgemein bekannten Kulturunterschieden zwischen beiden Ländern verschont. Das äußerte sich zum Beispiel bei den frühen Kongressen darin, dass das US-Team davon ausging, dass sie einen Kongress in Deutschland machen und die Deutschen dabei organisatorisch helfen. Dementsprechend wurde die Programm- und Entscheidungshoheit beim US-Team gesehen. Wir Deutschen gingen davon aus, dass wir Veranstalter sind. Klar, dass das zu Frustrationen führte, sicherlich auf beiden Seiten. Das führte dazu, dass unser Vorstand an Bill Hybels schrieb und auch Gary Schwammlein einschaltete. In der Folge veränderte sich die Verständigung sehr positiv und wir konnten zunehmend mehr in großer Freiheit agieren, wobei Gary als Deutsch-Amerikaner bis zum Schluss eine wichtige vermittelnde Rolle spielte.
Einen tiefen Einschnitt erlebte die Arbeit im Jahr 2003. Geschäftsführer Wilfried Bohlen und Vorsitzender Lou Hueneke, die beiden mutigen Pioniere der ersten Jahre, fielen etwa zur gleichen Zeit aus. Die deutsche Willow-Bewegung hatte nun ohne ihre führenden Gesichter den größten Promisland-Kongress, den Willow Deutschland je durchgeführt hatte, direkt „vor der Nase“. Da hieß es für mich, die Zügel einfach in die Hand zu nehmen und mit unserem großartigen Team sowie richtig tollen Ehrenamtlichen die Veranstaltung durchzuziehen. Der Vorstand hat dann Ulrich Eggers als neuen Vorsitzenden gewählt und mir auch offiziell die Geschäftsführung übertragen. Die Verbindung zu Wilfried und Lou blieb. Das war für mich echt wertvoll.
Auch von finanziellen Problemen kann ich ein Lied singen. Wir haben ja keine Zuschüsse bekommen, sondern mussten durch unsere Arbeit aufbringen, was wir für unsere Arbeit brauchten. Die Leitungskongress-Jahre haben immer gute Überschüsse erbracht, aber die Jahre, in denen Jugend- bzw. Kinderkongresse stattfanden, waren finanziell echt herausfordernd und haben die Überschüsse „aufgefressen“. Ein befreundetes Werk hat uns ein paar Mal Liquiditätsüberbrückungen gewährt und auch die Willow Creek Association sowie Willow Schweiz haben geholfen, zu überbrücken. Außerdem bin ich für unsere Spender dankbar, die ich in solchen Situationen anrufen oder anschreiben konnte.
Die wohl schwerste Krise erlitt die Arbeit jedoch 2018. Wir hatten im Februar unseren größten Leitungskongress mit 12.000 Teilnehmenden erfolgreich durchgeführt und nur kurze Zeit später platzte die Bombe: Vorzeitiger Rücktritt von Bill Hybels wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung und unlauterer Machtausübung im Umgang mit Mitarbeitenden, Rücktritt seiner Nachfolger, Rücktritt der gesamten Ältesten der Willow-Gemeinde wegen des Vorwurfs mangelnder Wahrnehmung ihrer Führungsverantwortung … Alles geriet ins Wanken. Es folgte eine gewaltige und durchaus kontroverse Diskussion rund um den Globus in den Ländern, die mit der Willow Creek Association beim Global Leadership Summit zusammenarbeiteten. Im deutschen Vorstand waren wir uns einig, dass wir transparent agieren, nicht abwiegeln, nicht beschönigen, aber auch nicht verdammen. In der Frage: „Was ist dran an den Anschuldigungen?“ waren wir ja immer auch angewiesen auf die offiziellen Verlautbarungen aus den USA, vor allem vom Global Leadership Network (vorher Willow Creek Association). Mehrfach haben wir in persönlicher Korrespondenz Anfragen und Anklagen beantwortet und haben uns offiziell dazu geäußert. Vor allem unser Vorsitzender Ulrich Eggers hat da meines Erachtens einen guten Ton getroffen. Wir hofften sehr auf Annäherung, Aufarbeitung und Vergebung von Schuld sowie Versöhnung. Bei aller Schwere der Vorwürfe war und bleibt Bill ein wesentlicher Teil unserer deutschen Geschichte, der starke Impulse gegeben hat. Uns war jedoch klar, dass wir künftig ohne das Gesicht von Willow die deutsche Arbeit in die Zukunft führen mussten.
Der Leitungskongress 2020 in Karlsruhe war eine Art Nagelprobe dafür, ob es uns gelingen würde. Wir hatten ein starkes Programm, der Kongress lief gut. Ein namhafter Teilnehmer beglückwünschte mich zu diesem Kongress mit den Worten: „Es ist euch wieder einmal voll gelungen.“ Dann schlug am zweiten Kongresstag Corona zu. Plötzlich fanden wir uns als geschäftsführender Vorstand mit etlichen Referenten und Mitarbeitenden im Quarantäne-Raum wieder. Natürlich hatten wir vorher den Fall, dass wir Corona auf dem Kongress haben würden, durchdacht und ein Szenario für die Kommunikation festgelegt. Keiner konnte sich vorstellen, dass wir nun selbst zum Coronafall wurden und plötzlich aus dem Verkehr gezogen wurden. Ich sehe es noch vor mir, wie wir als geschäftsführender Vorstand um einen Tisch herumsaßen und in einer vollkommen unübersichtlichen Gesamtlage mit unzureichenden Informationen unsere weiteren Möglichkeiten abwogen. Um uns herum herrschte Fassungslosigkeit und helle Aufregung. Wir selbst waren ebenso aufgewühlt. Es war die wohl schwerste Entscheidung meiner Geschäftsführerlaufbahn, dem Vorstand den Abbruch des Kongresses vorzuschlagen, denn mir war in diesem Moment voll bewusst, welches ideelle und wirtschaftliche Risiko ich damit auf mich nehmen würde. Aber ebenso war mir klar: Die Sicherheit von Menschen geht vor wirtschaftlichen Interessen. Für alle war es zuerst ein Schock, aber dann trug uns eine Welle von Sympathie und Verständnis bei Teilnehmern und Ausstellern. Dass unser Team die fehlenden Programmeinheiten nachproduzierte und als Videos zur Verfügung stellte, trug dazu wesentlich bei. Manche spiegelten uns: „Wir haben den Segen von drei Tagen in eineinhalb bekommen.“
In 30 Jahren hat sich viel verändert. Was wünschst du der Arbeit von Willow Creek in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die kommenden Jahre – und wo siehst du das größte Potenzial von Willow, um Menschen und Gemeinden zu dienen?
Bei Willow habe ich gelernt: Das einzig Beständige ist die Veränderung. Wenn der Inhalt klar ist, kann und muss sich die Verpackung ändern. So wünsche ich der Arbeit in D-A-CH zuerst eine tiefe Klarheit über ihre Berufung: Beizutragen, dass wirkungsvolle Gemeinden vor Ort zur Hoffnung für die Welt werden, oder, wie andere es ausdrückten: dass Gemeinden die Hoffnung, Jesus Christus, in ihre Umgebung tragen. Alles andere – die Kongresse, die Reisen, das Material – waren Instrumente, die das Verlangen danach wecken und das Anliegen unterstützen und voranbringen sollten. So kann mein weiterer Wunsch nur sein, dass eine neue Generation geeignete Instrumente findet, um Gemeinden fit zu machen für ihre Zeit und Welt. Dazu möchte ich, trotz aller Kontroverse um seine Person, mit einem Tipp von Bill Hybels enden: „Konzentriert euch auf die Leitungsebene. Dort könnt ihr alle Themen am wirkungsvollsten ansprechen, denn alles beginnt mit guter Leitung.“