Patrick Knittelfelder hat viel erreicht. Der Salzburger Unternehmer besitzt 15 Firmen mit etwa 15O Mitarbeitern. Das ist aber nicht alles: Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer, Gastronom und Hotelier lebt er mit einem dreiköpfigen Leitungsteam die Vision der ›H.O.M.E. Mission Base‹ – einer Jüngerschaftsschule, die sich zugleich um sozialdiakonische Projekte in Salzburg kümmert. Im Juni 2O16 öffnete die Mission Base erstmals ihre Pforten. Im Interview erzählt der Firmengründer, wie er Gott entdeckte, wie seine Führungserfahrung die Entwicklung von Mission Base fördert und welche Träume die Organisation verfolgt. Knittelfelder zählt zu den Sprechern beim Leitungskongress 2O2O.

Herr Knittelfelder, wie ist die Idee zur ›H.O.M.E. Mission Base‹ entstanden?

Ich bin Unternehmer und hatte viele schlaflose Nächte, in denen ich mich gefragt habe: Ist das, was ich mache, wirklich das Richtige? Die Firmen laufen zwar alle sehr erfolgreich – aber ist das alles? Dann war da auch der Gedanke: Man sollte von dem, was man bekommen hat, auch etwas zurückgeben. Schließlich ist diese irre Idee entstanden: Ich könnte mich doch um Obdachlose kümmern, einen Ort schaffen, in der sie mit Essen versorgt werden – etwas sozialromantisch gedacht.

Und dann?

Dann habe ich mich bei den Barmherzigen Schwestern erkundigt, die gleich nebenan die Vinzenzstube führen, in der Bedürftige eine warme Mahlzeit erhalten. Dieser Kontakt war der erste Strang, der zur ›Mission Base‹ geführt hat. Der zweite ist die ›Loretto‹-Bewegung, in der ich mich engagiere. In der Bewegung werden übers Jahr immer ein, zwei Praktikanten begleitet. Ich dachte mir: Warum nehmen wir nicht gleich 10 oder 20 junge Menschen über einen gewissen Zeitraum auf und bieten ihnen eine Art Lebensschule? Damit war die Idee geboren.

Aber es fehlte noch ein Haus für Ihr Projekt – die Base, sozusagen.

Das erhielten wir unter Mithilfe der Barmherzigen Schwestern. Nach drei Jahren Bangen und Verhandeln bekamen wir ein Haus für einen Euro, mittels Baurechtzins, für die nächsten 20 Jahre. Schnell hat sich ein tolles Team zusammengefunden, das unsere Vision teilt. Allerdings mussten wir das Haus noch umbauen. Hätte ich gewusst, was dieser Umbau kostet, hätte ich mich nie zu starten getraut. Drei Millionen Euro haben wir dort hineingesteckt. Die Summe wurde fast vollständig durch unseren Freundeskreis aufgebracht. Ich fürchte, jetzt will niemand mehr mein Freund sein! (lacht)

Was ist die wichtigste Aufgabe der ›Mission Base‹?

Das Herzstück ist die Jüngerschaftsschule. Wir bieten verschiedene Programme an, vor allem für junge Leute, die bis zu neun Monate hier im Haus leben. Es ist letztlich eine Art Lebensschule – mit einem christlich-abendländischen Menschenbild. Ich zitiere gern die Studie einer australischen Krankenschwester, die mehr als 1.000 Menschen interviewt hat, bevor diese gestorben sind. Im Angesicht des Todes sagen Sterbende fünf signifikante Dinge. Ganz oben auf der Liste: »Ich habe eigentlich mein Leben nicht gelebt. Nicht in dem Sinn, dass mein Leben schlecht war, mit all seinen Höhen und Tiefen. Aber wenn ich daran denke, was meine Jugendträume waren – meine Sehnsüchte, meine Charismen und Talente –, wollte ich eigentlich etwas ganz anderes machen.« Wenn Menschen auf ihr Leben zurückschauen, erkennen sie, wie kleine Entscheidungen am Beginn des Lebens am Ende immense Auswirkungen haben. Wie viele Dinge lassen wir einfach so laufen – Dinge, die uns nicht glücklich machen –, aber sie zu ändern, wäre vielleicht mühsam. Also ändern wir nichts und schauen später mit Bedauern zurück.

Und da kommt die Jüngerschaftsschule ins Spiel?

Genau. Es ist ein Zeitpunkt, an dem die Menschen die Chance haben, einen totalen Cut im Leben zu machen. Sie können für eine Zeit aus dem System aussteigen und »Stopp!« sagen, sich fragen: »Wer bin ich, was ist meine Identität?«

Wie funktioniert diese Lebensschule konkret?

Wir beschäftigen uns intensiv mit Themen wie: Wer bin ich, was sind meine Veranlagungen und Talente? Wie sieht meine Familiengeschichte aus? Was macht mich als Person aus? Im Zuge dessen können sich die Leute in ganz vielen Dingen ausprobieren, die sie sich vorher vielleicht nie zugetraut haben. Und natürlich ist das Hauptthema, Gott besser kennenzulernen. Es ist eines der Hauptprobleme, dass viele Gott nicht mehr richtig kennen. Sie haben komische Gottesbilder, die mit der Bibel wenig zu tun haben. Sie wurden ihnen durch die Gesellschaft – manchmal leider auch durch die Kirche – vermittelt. Es ist schwer, diese falschen Vorstellungen aus den Köpfen zu bringen. Die Kirche – und ich schließe mich darin selbst ein – hat hier vieles falsch gemacht.

Wie zeitgemäß ist die Kirche nach Ihrer Wahrnehmung?

Wir müssen unterscheiden: Die Message der Kirche ist immer zeitgemäß – auch wenn sie schon 2.000 Jahre alt ist. Aber das System der Kirche krankt. Es ist ein System, mit dem der normale Mensch so gut wie nichts zu tun hat. Mich hat die Kirche früher nicht interessiert – das System war für mich ein Albtraum!

Wie haben Sie dann Gott für sich entdeckt?

Ich hatte zwei Erlebnisse mit Gott, eines indirekt und eines direkt. Mit 17 Jahren habe ich ein Mädchen kennengelernt, das für einige Wochen für ein Hilfsprojekt nach Medjugorje in Bosnien - Herzegowina gefahren ist. Da bin ich einfach mitgefahren. Das Interesse an ihr ist wieder abgeflaut, aber damals habe ich mir angewöhnt, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich erinnere mich, wie ich Hunderte Male im Gottesdienst saß und gedacht habe: Was tue ich hier? Das ist die totale Sinnlosigkeit! Bis ich eines Tages gesagt hab: So, jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich mit dem Gottesdienstbesuch aufhöre – es sei denn, es passiert irgendetwas! Genau zu der Zeit habe ich durch einen Freund von einer charismatischen Messe erfahren. Ich habe eine dieser Messen besucht und dabei Rotz und Wasser geheult! Dort hatte ich das Gefühl: Jetzt ist es passiert, jetzt habe ich Gott gefunden. Es war genau, wie er es verspricht: »Suchet mich, und ich lasse mich finden!« Man braucht gar nicht viel tun, kann einfach sagen: »Du komischer Gott, wenn es dich echt gibt, dann zeig dich in meinem Leben!« Und dann zeigt er sich – manchmal spektakulär, manchmal leise. Unser Haus ist heute voll von Menschen, die Gott suchen und denen Gott sich zeigt. Und es werden ständig mehr.

Eine enorme Wandlung: Vom geistlich desinteressierten Unternehmer zum leidenschaftlichen Evangelisten ...

Ja, eigentlich habe ich mir mein Leben ganz anders vorgestellt. ›Mission Base‹ zu gründen, war nie meine Absicht. Ich habe in Kroatien ein tolles Ferienhaus und ein Boot. Dort wollte ich eigentlich meine Sommer verbringen. Aber eines Tages gehe ich hier in Salzburg durch unsere berühmte Einkaufsstraße, und sehe die große Leere in den Augen vieler Menschen. Menschen, die scheinbar alles erreicht haben: Garagen voller Autos, kostspielige Urlaube ... Dennoch ist da diese große Sehnsucht, dass das nicht alles sein kann. Ich hatte das starke Gefühl: Diese Menschen müssen wir mit Gott bekanntmachen, wir müssen mit falschen Gottesvorstellungen aufräumen und ihnen Gott so nahebringen, wie er sich uns in der Bibel offenbart.

Gelingt es, diesen missionarischen Drive auch in Ihre Unternehmen hineinzutragen?

Es ist schon verblüffend: Immer wieder erlebe ich, wie sich meine Geschäftspartner mir gegenüber Schritt für Schritt öffnen, mir erzählen, wie es ihnen eigentlich geht. Man darf sich da nicht täuschen lassen: Trotz beruflichen Erfolgs tragen viele eine tiefe Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit in sich, die oftmals geradezu schreit. Gott in Unternehmenskreise hineinbringen zu können, ist für mich ein riesiges Privileg.

15 Firmen führen und zusätzlich noch die ›Mission Base‹ leiten – wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Ich unterteile das in zwei Halbtagsjobs. Mit der ersten ›halben‹ Stelle führe ich in 40 Stunden pro Woche meine Unternehmen. Und mit der zweiten ›halben‹ Stelle habe ich das Privileg, die ›Mission Base‹ zu leiten – gemeinsam mit einem fantastischen Team. Offiziell bin ich einer der Geschäftsführer, meine eigentliche Rolle ist aber, Innovationen ins Haus zu holen, Projekte voranzubringen und Menschen zu fördern.

Welche Eigenschaften konnten Sie aus der Unternehmenswelt in die Leitung einer christlichen Organisation einbringen?

Oh, eine ganze Menge! Als Unternehmer lernt man, vorausschauend zu denken und zu handeln; Optionen und Alternativen zu entdecken; prozesshaft zu arbeiten; zu begreifen, dass immer alles mit allem zusammenhängt. Offen gestanden, vermisse ich diese Denke in vielen Non-Profit-Organisationen. Ohne meine Erfahrungen aus der Geschäftswelt könnte ich das, was wir mit der ›Mission Base‹ machen, gar nicht tun.

Manche haben ein mulmiges Gefühl, wenn Prinzipien aus der Geschäftswelt von der Kirche übernommen werden.

Nach meiner Erfahrung agieren viele Kirchen heute wie NGOs. Aber nicht, weil sie Führungsprinzipien aus der Wirtschaft übernommen haben, sondern weil der Glaube fehlt – wie bei vielen gemeinnützen Organisationen. Sie kümmern sich wunderbar um bedürftige Menschen. Aber ihnen fehlt der Glaube, dass Gott heute noch eingreift, dass er scheinbar Unmögliches ändern kann, dass er heute noch redet. Das scheint mir eher das Hauptproblem – auch das manch ›frommer‹ Kirchen – zu sein.

Auch die ›Mission Base‹ hat einen stark sozialdiakonischen Schwerpunkt.

Ja, ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist das Restaurant ›La Cantina‹. Wir haben festgestellt, dass es in Salzburg viel verdeckte Armut gibt. Viele leben an der Armutsgrenze. Im ›La Cantina‹ muss zwar jeder für seine Mahlzeit zahlen, aber nur so viel, wie er kann. Das Restaurant ist ein Ort, in dem Menschen eine gute Zeit verbringen können. In erster Linie geht es uns nicht um Essen und Trinken, sondern um die Würde, die wir vermitteln: Auch wenn du knapp bei Kasse bist – hier kannst du es dir leisten, ein Restaurant oder Café zu besuchen. Und: Hier hast du Menschen um dich, du bist nicht allein. Das Besondere ist auch das große Spektrum der Gäste: Menschen, die eigentlich qualifiziert sind, ihre Mahlzeiten von einer Suppenküche zu erhalten, essen hier gemeinsam mit Unternehmern und Bankern.

Und direkt nebenan das ›House of Prayer‹.

Richtig. Hier kann jeder kommen, um die Nähe Gottes zu suchen. Täglich erreichen uns Fürbitten aus aller Welt: Viele schicken ihre Sorgen per E-Mail, mit der Bitte, dass wir für sie beten. Wir beten prophetisch, das bedeutet, ich schaue rauf zum Vater, und über den Blick des Vaters wieder herunter. Die Eindrücke und Gedanken, die dabei entstehen, schicken wir an die Menschen zurück. Und schließlich ist das ›Media House‹ ein wichtiger Teil der ›Mission Base‹, wo Videos, Podcasts und alles Graphische produziert werden.

Sie agieren sehr weltoffen und unkonventionell. Stößt das innerhalb der katholischen Kirche auf Widerstand?

Nein. Der Weihbischof und die Diözese unterstützen uns sehr. Viele Treffen der Diözese finden sogar bei uns im Haus statt, worauf ich ein bisschen stolz bin. Wir haben häufig Besuch von Priestern und Bischöfen, die sich das Projekt anschauen und davon lernen wollen. Ich staune, wie hoch der Zuspruch ist. Aber das ist auch Teil der ›Loretto‹-Philosopie, die besagt: Ja, wir machen viele Dinge neu und unkonventionell, aber wir stehen mit beiden Beinen in der Kirche. Wir rebellieren nicht, aber wir machen die Dinge ein bisschen anders.

Was sind die nächsten Ziele?

Wir sehnen uns danach, in den nächsten Jahren Tausenden von Menschen eine Begegnung mit diesem unglaublichen Gott zu ermöglichen. Wir träumen von einem neuen, zeitgemäßen, komfortablen Kirchengebäude für mehrere Tausend Menschen – mit Restaurant, Café, Bookstore, Kinderkirche – und vor allem mit einer Heizung und bequemen Sitzen (lacht).Wir wollen eine Sprache sprechen, die die Menschen verstehen – besonders die, die keinen kirchlichen Hintergrund haben. Und: Bei allem, was wir tun, versuchen wir es so gut wie möglich zu tun. Exzellenz ist uns wichtig. Das sieht man in der Kirche leider oft zu wenig.