Im Rahmen des Leitungskongresses in Leipzig hatte Willow Creek Deutschland zu einem Empfang mit kirchlichen Leitungspersonen eingeladen. Zu den Gästen gehörte der sächsische Landesbischof Tobias Bilz. Er sprach über Mut, Individualisierung und Gewissheit in der Gemeinde-Mitarbeit.
1. Ermutigung empfangen
Ich erinnere mich an den Willow-Kongress in Erfurt vor gut 20 Jahren. Besonders haften geblieben ist mir Folgendes: Bill Hybels stand an einem Flipchart und malte Strichmännchen neben Nikolaushäuser, fügte dann ein paar Pfeile hinzu. Es ging darum, eine Gemeinde zu mobilisieren. Ich habe damals gedacht: So einfach kann es sein, die komplexen Aufgaben kirchlichen Lebens so zu vermitteln, dass sie von anderen verstanden werden. Mir wurde neu bewusst: Die grundlegenden Wahrheiten sind meist sehr einfach.
Ich bin damals ermutigt nach Hause gefahren. Und genau diese Ermutigung ist entscheidend. In meinem Dienst habe ich es häufig mit entmutigten Menschen und entmutigten Leitenden zu tun. Denn ich bin auch als Seelsorger für die Pfarrer und Pfarrerinnen unserer Landeskirche verantwortlich. Der Grund für die Entmutigung ist, dass Hauptamtliche oft nicht die Wirksamkeit dessen sehen, was sie tun oder sich von ihrer Berufung erhofft haben. Dann türmen sich Fragen auf: Bin ich noch am richtigen Platz? Besitze ich überhaupt die nötigen Gaben? Habe ich etwas verkehrt gemacht? Ober bei Konflikten stellt sich die bohrende Frage: Wer liegt jetzt schief – der andere oder ich?
Viele Hauptamtliche stehen mittlerweile in der Gefahr, ihren Platz zu verlassen, weil sie entmutigt sind. Vor 20 Jahren war es in unserer Landeskirche die große Ausnahme, wenn Hauptamtliche ihren kirchlichen Dienst verlassen haben. Heute kommt das sehr viel häufiger vor. Und meistens hat es mit einer Entmutigung im Dienst zu tun.
»Die grundlegenden Wahrheiten sind meist sehr einfach.«
Zu einer Zeit, als ich noch Gemeindepfarrer war und gerade eine große Last mit mir herumschleppte, traf ich einen Amtsbruder, der schaute mich an – ich strahle manchmal aus, was ich so in mir habe – und sagte nur einen Satz: »Entmutigung kommt nicht von Gott!« Und er hatte recht: Von Gott kommt Ermutigung. Das bedeutet manchmal Neues zu wagen, manchmal aber auch in seiner Berufung zu bleiben – und sich nicht zu sehr davon beeindrucken zu lassen, wenn die subjektiv wahrgenommene Wirksamkeit des Dienstes nicht so positiv ausfällt, wie wir uns das vorstellen. Als Leitende erleben wir manchmal starke Phasen, in denen es mühelos vorangeht. Und manchmal ist vieles mühsam, da gilt es einfach treu zu sein und die Aufgaben mit Zuversicht zu erfüllen. Ich wünsche dem Leitungskongress, dass er so eine Ermutigung an die Teilnehmenden vermittelt.
2. Vereinzelung überwinden
Wir leben in einer Zeit der Individualisierung. Jeder hat seine eigene kleine Welt, die er gestaltet. Vor einiger Zeit nahm ich an Einkehrtagen teil. In dem Haus steht eine Elia-Ikone. Sie stellt dar, wie der Prophet von Raben versorgt wird. Nachdem Elia eine Phase des Erfolgs erlebt hatte, verfiel er in eine Depression. Womöglich hatte er sich etwas übernommen. Dann spricht er mit Gott und sagt: »Ich bin der Einzige, der übrig geblieben ist.« Irrtum! Denn Gott antwortet: »Es gibt noch 7.000 andere.« Ich finde es interessant, dass die sogenannten ›Rest-gläubigen‹ manchmal das Gefühl haben – und auch vermitteln: »Ich bin der Einzige, der mit Gott unterwegs ist und der weiß, wie es geht.« Sorry: So ist es nicht!
Damit wir eine objektivere Perspektive erhalten, müssen wir uns vor einer falschen Vorstellung von Vereinzelung schützen, auch einer konfessionellen Vereinzelung: »Wir sind die einzige Konfession, die einzige Gemeinde, die einzige Bewegung, die mit dem Herrn unterwegs ist, ...« Irrtum! Ich stelle fest, dass dort, wo Menschen konfessionsübergreifend zusammenarbeiten, viel Segen freigesetzt wird. Ich bin Teil des Initiativ-Teams ›Deutschland betet‹, eine bunte Gruppe von Menschen aus ganz unterschiedlichen Kirchen und Bewegungen. Wenn wir zusammenkommen, ist da so viel Energie, die niemals entstehen würde, wenn jeder nur auf sich selbst fixiert wäre! Auch das wünsche ich dem Leitungskongress: dass er Begegnungsplattform für Menschen aus unterschiedlichen Kirchen und Bewegungen ist, die das Ziel eint, sich gemeinsam für wirkungsvolle Gemeinden stark zu machen.
3. Gewissheit erhalten
Wir müssen zurzeit mit vielen ungelösten Fragen leben und streiten obendrein über die richtige Deutung: in der Coronafrage, beim Klimawandel, dem Krieg in Europa, den Teuerungen und vielem mehr. Manche meinen: Wir gehen auf apokalyptische Verhältnisse zu oder befinden uns bereits mittendrin. Andere sagen: Wir müssen in Europa endlich begreifen, in welch privilegierter Lage wir uns eigentlich befinden und dankbar sein. All das macht auch vor der Kirche nicht halt: Viele Gläubige und ganze Gemeinden werden gerade heftig durchgeschüttelt. Wenn ich mich mit Leitenden treffe, taucht stets die Frage auf: »Und wie deutest du die Lage? Was will uns Gott sagen, deiner Meinung nach?« Dann schildere ich meine Sicht der Dinge und höre anschließend die Meinung meines Gegenübers. Manchmal hat man einen Erkenntnisgewinn, manchmal auch nicht. Meines Erachtens können wir die derzeitige Lage nur dann richtig deuten, wenn wir Matthäus 28 im Herzen tragen. Christus sagt dort: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.« Das heißt, es passiert nichts außerhalb der Gewalt Gottes. Nichts. Null. Mit dieser inneren Gewissheit können wir unbesorgt fragen: »Herr, was willst du uns durch diese Situation sagen?«
Einen Schlüsselmoment erlebte ich im Frühjahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie. Für Wochen haben wir alles angehalten und zugeschlossen. Damals dachte ich: Das ist doch unmöglich! Wir müssen irgendwie ausbrechen aus dieser Situation! Im Gebet wurde mir dann deutlich, dass dieser Zustand – dass einmal alles anhält, was wir tun – auch die Chance ist, ehrlich zu fragen: Was tun wir hier eigentlich? Aus welchen Motiven?
Nie wäre es sonst möglich gewesen, aus vollem Galopp eine ganze Kirche anzuhalten oder ein Gemeindeleben so gründlich zu hinterfragen und um zu krempeln. Im Krisenmodus ist das plötzlich möglich – und wir sind ja immer noch nicht über den Berg. Wir haben also immer noch die besondere Chance zu fragen, ob das, was wir tun, auch das ist, was Gott wirklich will.
Es gibt in Deutschland ein extrem ausgeprägtes Leistungsdenken, auch im geistlichen Bereich. Dahinter steckt der Gedanke: Wir müssen es eigentlich nur richtig machen, dann wird der Herr es schon segnen! Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt: Der Heilige Geist segnet, damit wir es ›richtig‹ oder wirkungsvoll machen können. Ich wünsche dem Leitungskongress darum auch dies, dass viele diese Inspiration empfangen: die Gewissheit erhalten, dass letztlich alles in Gottes Hand ist, dass er ihnen eine neue geistliche Perspektive für ihren Dienst und ihr Leben schenkt.