Vor einiger Zeit habe ich über eines der kürzesten und dennoch wichtigsten Worte in der Bibel gepredigt: Über das Wort „Tun“. Am Ende der Bergpredigt macht Jesus deutlich, warum dieses Wort so zentral ist: „Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute“ (Mt 7,24 LUT). Und wer nichts tut, also nicht umsetzt, der „gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute“ (Mt 7,26 LUT).

Das Tun – im Sinne von umsetzen und danach handeln – ist auch für die Gemeindearbeit essenziell. Wer als Haupt- oder Ehrenamtlicher, als Leiterin oder Leiter eines Teams oder Hauskreises Frucht sehen will, kommt nicht darum herum: Es muss etwas getan werden. Das gilt insbesondere dann, wenn wir inspiriert und begeistert sind, wie etwa, – das Beispiel liegt nahe  – jetzt nach der Teilnahme am Leitungskongress 2022. Nur wenn wir umsetzen, was wir gehört, gesehen oder erlebt haben, entsteht auch wirklich etwas daraus. Zur Begeisterung muss dann oft auch Durchhaltevermögen kommen. Und ein hilfreiches und weises Vorgehen.

Dieser Artikel soll wesentliche Aspekte beleuchten, wie die Umsetzung von Ideen und Kongress-Impulsen gelingen kann.
In den vergangenen Jahrzehnten bestand eine meiner Aufgaben in der Leitung der weltweiten Beraterarbeit des Instituts für natürliche Gemeindeentwicklung „NCD International“. Ich erinnere mich, wie uns ein Pastor aus den USA mit seinen Erfahrungen konfrontierte: „We did NCD (Natural Church Development), and it didn’t work!“ Frei übersetzt: „Wir haben es mit natürlicher Gemeindeentwicklung versucht, aber es hat nicht funktioniert!“ Beim Nachfragen wurde deutlich, dass er das Gemeindeprofil für seine Gemeinde hat erstellen lassen, also eine Diagnose. Mehr aber wurde nicht unternommen. Keine Schlussfolgerungen, kein Aktionsplan, schon gar keine Umsetzung. Kein Wunder, dass es nicht funktioniert hat. Das wäre ja so, als ob die ärztliche Diagnose „Sie haben eine Blinddarmentzündung!“ den Patienten schon heilen würde.

»Zur Begeisterung muss dann oft auch Durchhalte- vermögen kommen.«

Empowerment: Die Voraussetzung für gelingende Umsetzung

Der Begriff „Empowerment“ (auf Deutsch könnte man ihn mit Befähigung oder Bevollmächtigung übersetzen) hat erst in den letzten Jahren eine größere Bekanntheit erfahren, dabei ist er schon seit über 30 Jahren ein eingeführter Fachbegriff in der Psychologie und auch in der Gemeindeaufbautheologie. Im Bereich Gemeindeaufbau konnte ich durch meine Forschungsarbeit am Institut für natürliche Gemeindeentwicklung zeigen, dass „bevollmächtigende Leitung“ bzw. „Empowering Leadership“ wesentlich zur Gesundheit einer Gemeinde und in der Folge zum Gemeindewachstum beiträgt.
Die psychologische Forschung zum Thema Empowerment (die in Deutschland vor allem vom Wirtschaftspsychologen Prof. Dr. Carsten Schermuly vorangetrieben wird) ist auch für die Gemeindearbeit spannend und hilfreich. Insbesondere für die Frage, wie Umsetzung in der Gemeindearbeit gelingen kann.
Schauen wir uns zunächst an, welche Facetten psychologisches Empowerment von Mitarbeitenden umfasst:

  1. Empowerment beinhaltet das Erleben von Kompetenz. Also nicht die tatsächliche Kompetenz von Mitarbeitenden, die natürlich auch wichtig ist, sondern die Selbstwahrnehmung „Ich kann etwas. Ich kenne meine Gaben und Stärken und kann sie einbringen. Ich fühle mich kompetent.“ Dieses Gefühl ist wichtig, weil es das Selbstbewusstsein stärkt und die eigene Motivation steigert. Wenn jemand objektiv gesehen hochkompetent ist, sich selbst aber nicht so erlebt – z.B. weil er oder sie dafür keine Wertschätzung erlebt oder kein positives Feedback erhält –, kommt es oft zu einem schleichenden Rückzug und am Ende zum Ausstieg aus den übernommenen Aufgaben. Viele Gemeinden, die ich als Berater begleitet habe, litten unter Mitarbeitermangel. Oder unter der Erfahrung, dass Mitarbeitende schon nach einer kurzen Zeit wieder aufgehört haben. Eine Analyse der Situation hat dann in vielen Fällen ergeben, dass diese Personen zwar ihre Aufgabe sehr gut gemacht haben, sich selbst aber nicht als kompetent erlebten. Keiner hat es ihnen gesagt oder sie bestätigt. Umsetzung kann nur mit vielen Menschen, die sich engagieren, gelingen. Menschen, die sich ihrer Kompetenz bewusst und deshalb bereit sind, sich auf Dauer einzubringen.

  2. Empowerment beinhaltet das Erleben von Einfluss. Diese zweite Facette bedeutet, dass Mitarbeitende merken, dass ihre Mitarbeit einen Unterschied macht, dass sie etwas bewirkten und positiv verändern können. Wenn sie sich an der Umsetzung beteiligen, dann „ist es nicht für die Katz‘“. Doch genau dieses Gefühl, dass ihre Arbeit vergeblich ist, haben viel zu viele Mitarbeitende. Eine Lobpreisteamleiterin hat mir von ihrem Frust erzählt, als ihr nach langer und mühsamer Teamentwicklung ein tragendes Mitglied von der Gemeindeleitung ohne Absprache abgezogen wurde, weil man die Person anderweitig einsetzen wollte. Ohnmacht statt Einfluss und Empowerment, mit negativen Auswirkungen auf die Motivation.

  3. Empowerment beinhaltet das Erleben von Selbstbestimmung. Natürlich ist Gemeindearbeit keine hemmungslose Selbstverwirklichung. Es gibt Leitungsstrukturen und Vorgaben. Und dennoch brauchen alle Mitarbeitenden auch einen Gestaltungsfreiraum. Innerhalb eines klar definierten Rahmens kann dort eigenverantwortlich entschieden und gestaltet werden. Fehlt diese Möglichkeit, hat auch das eine negative Auswirkung auf die Motivation. Es wird besonders dann kritisch, wenn Mitarbeitende prinzipiell bestimmte Dinge selbst bestimmen können, dann aber regelmäßig „von oben“ reinregiert wird und Entscheidungen korrigiert oder rückgängig gemacht werden. Wer will, dass sich Mitarbeitende an der Umsetzung beteiligen, muss ihnen auf stimmige und konsequente Weise Freiräume und Verantwortung zugestehen.

  4. Empowerment beinhaltet das Erleben von Bedeutsamkeit und Sinn. Dieser Aspekt ist für viele Gemeinden die Rettung, selbst wenn die ersten drei Punkte schwach ausgeprägt sind. Denn immerhin können sich Mitarbeitende sagen: „Ich mache es ja für Gott.“ So gut es ist, dass der Sinn der Mitarbeit auf einer geistlichen Ebene liegt, so kritisch ist dieser Punkt, wenn Gemeinden sich ausschließlich darauf stützen. Dann ist es ein Armutszeugnis, das geistlich verbrämt und entschuldigt wird. Empowerment braucht alle vier Facetten, sonst kommt es über kurz oder lang zu Mangelerscheinungen bei den Mitarbeitenden.

 

 

Positive Wirkung von Empowerment

Mitarbeitende im Hinblick auf ihr Erleben von Kompetenz, Einfluss, Selbstbestimmung und Sinn zu empowern, lohnt sich auf vielfältige Weise. Meine eigene Forschung, vor allem aber auch die wissenschaftliche Arbeit von Prof. Schermuly, zeigt eindeutig, dass Empowerment eine ganze Reihe von positiven Auswirkungen hat:

Die Zufriedenheit und die Motivation von Mitarbeitenden nehmen zu. Gleichzeitig entwickelt sich eine starke Identifikation mit der Organisation, in der man mitarbeitet, egal ob es sich dabei um ein Unternehmen oder die eigene Gemeinde handelt. In der Folge bleibt man loyal in seinen Aufgaben und bringt sich engagiert ein. Menschen, die empowert werden, sind innovativer und haben die besseren Ideen. Sogar die psychische Gesundheit wird durch Empowerment positiv beeinflusst, was man unter anderem an einem niedrigeren Stresslevel feststellen kann.

Leiterinnen und Leiter, die wollen, dass ihre Gemeinden nicht bei Ideen, Inspiration und Vision stehenbleiben, sondern zur Umsetzung gelangen, brauchen ein Umfeld, in dem Empowerment vorherrscht. Nur so kann Motivation kultiviert werden, nur so bleiben alle mit Ausdauer an ihren Aufgaben dran. Nur so kann verhindert werden, dass Mitarbeitende frustriert aufgeben und am Ende nichts passiert.

Leitungsaufgabe Empowerment

Empowerment ist deshalb eine zentrale Leitungsaufgabe. Leitung heißt weder alles selbst zu machen noch anderen die Arbeit zu überlassen. Leitung heißt, Orientierung zu geben und dann die Mitarbeitenden – im vereinbarten Rahmen – zu empowern. Sie also Kompetenz, Einfluss, Selbstbestimmung und Sinn im Prozess der Umsetzung von Plänen erleben zu lassen. Leitende, die andere empowern wollen, müssen folgende Punkte beachten:

  1. Sie müssen zunächst für ihr eigenes Empowerment sorgen. Nur wer selbst empowert ist, kann andere empowern. Ich habe kürzlich die Verantwortliche für das Layout des Gemeindebriefs einer süddeutschen Gemeinde gecoacht. Dabei erzählte sie mir, dass ein Teammitglied mit Detailfragen bei der Auswahl von Fotos zu ihr kam. Ihr war klar, dass ihr Vorgänger – der Pastor selbst! – das Team an der „kurzen Leine“ geführt und alles selbst entschieden hatte. Sie wollte nun bewusst empowern und fragte deshalb zurück: „Wie würdest du denn selbst entscheiden?“ Das Teammitglied aber drückte sich vor der Antwort und fragte hinter ihrem Rücken den Pastor. Der gab nur zu gerne Antwort und sagte dem Teammitglied, ohne die eigentlich Verantwortliche einzubeziehen, was zu tun ist. So kann Empowerment zunichte gemacht werden! Jetzt arbeiten wir im Coaching daran, wie sie das gut mit ihrem Pastor besprechen und für sich selbst Empowerment einfordern kann.

  2. Leitende müssen mit ihren Mitarbeitenden den Rahmen absprechen, innerhalb dessen sie eigenverantwortlich handeln können und sollen. Diese Klarheit ist die Grundlage für die Aspekte Einfluss und Selbstbestimmung. In diesen Rahmen wird dann von den Leitenden nicht „hineingefunkt“. Die Mitarbeitenden werden bei Themen, die innerhalb dieses Rahmens liegen, nur coachend unterstützt, entscheiden aber selbst und setzen auch selbst um.

  3. Empowerment ist eine Haltungssache: Menschen kommen vor Strukturen, Regeln und Prinzipien. Mitarbeitenden wird kontinuierlich Wertschätzung ausgedrückt – wohlwissend, dass Menschen unterschiedliche Arten von Wertschätzung brauchen. Vertrauen der Leitenden in die Mitarbeitenden bestimmt die Zusammenarbeit, Micromanagement und Kontrolle hat keinen Platz.

  4. In Mitarbeitergesprächen werden die vier Facetten des Empowerments thematisiert. Die Leitenden holen sich ehrliches Feedback ein, ob bei einer oder mehreren Facetten ein Defizit besteht. Gemeinsam wird dann an Lösungen gearbeitet, um das Empowerment wieder zu „komplettieren“.

  5. Im Rahmen von coachenden Gesprächen behalten alle Beteiligten die angestrebten und vereinbarten Ziele im Auge. Dabei stehen Coachingfragen im Vordergrund: „Was hast du dir vorgenommen, um die Ziele zu erreichen und die nächsten Schritte umzusetzen? Wo stehst du bereits? Was gelingt dir gut? Welche deiner Stärken kannst du hier einsetzen? Wo brauchst du Unterstützung? Welche Ideen hast du selbst? Was könntest du als nächstes tun?“

Gemeinden, die vom Hören zum Tun kommen wollen, brauchen eine Kultur des Empowerments. Nur so bekommen und behalten sie motivierte Mitarbeitende. Nur so gelingt die Umsetzung von frischen Ideen und begeisternden Impulsen – wie jene vom Leitungskongress 2022 in Leipzig.