Die Kirche ist gerappelt voll. 50 Jugendliche wirken mit an diesem Gottesdienst in ›LUX - Junge Kirche Nürnberg‹ zum Thema ›Gerechtigkeit‹. Sie wollen selbst Kirche sein, selbst zu Akteuren im Gottesdienst, zu Verkündigern werden. An den Pulten der Licht- und Medientechnik der zur Jugendkirche umgebauten ›St. Lukas-Kirche‹ sitzen ausschließlich ehrenamtliche Jugendliche. Obwohl viele von ihnen bis vor kurzem noch nichts mit Kirche am Hut hatten, sind sie jetzt voll bei der Sache.

Der Raum wird abgedunkelt, sie starten das erste Video. Zu sehen ist Bono von der Band U2 mit seinem Song »Where the streets have no name«. Weil die englischen Worte übersetzt werden, können die Gottes­dienstbesucher Bono gut folgen, als er sein Lied Gott widmet. Das Video ist zu Ende. Die LUX-Band setzt ein, spielt den U2-Song live. Die Sehnsucht der Band nach einer Welt der Gerechtigkeit ist spürbar im Raum. Und schon bei den ersten Klängen wird deutlich: Unser Handeln als Christen in dieser Welt wird immer Stückwerk bleiben, wenn nicht die Liebe Gottes die Herzen der Menschen verändert. »Hallo Menschheit« sprechen nun die Mitglieder der Theatergruppe. Das Leid der Welt wird in eindrücklichen Szenen zur Sprache gebracht. Am Ende fragt einer der Jugendlichen aus der Theatergruppe die Besucher: »Was wäre, wenn dein Leid meines wäre? Was wäre dann? Aber so ist es. Dein Hunger ist mein Hunger.« Und plötzlich klingt Jesus durch diese Worte hindurch.

Erfahrungen aus der ersten Jugendkirche der evangelischen Landeskirche in Bayern.

Inspiriert von Willow

Seit November 2009 finden Gottesdienste wie diese regelmäßig in ›LUX – Junge Kirche Nürnberg‹ statt. Eine Reihe der im Gottesdienst eingesetzten Elemente habe ich vom Willow-Leitungskongress in Bremen mitgebracht. Schon vor meinem Theologiestudium faszinierte mich der Ansatz der Willow Creek-Gemeinde, weil die Gottesdienste sich stark an dem Lebensgefühl und der Kultur der Menschen orientierten, die sie mit dem Evangelium erreichen wollte. Dieser Gedanke stand auch Pate bei der Entstehung von ›LUX –Junge Kirche Nürnberg‹.

Alles begann mit dem Traum junger Menschen in der Evangelischen Jugend Nürnberg. Sie wollten in einer der vielen Kirchen Nürnbergs ein regelmäßiges, jugendkulturell geprägtes Gottesdienst- und Veranstaltungsprogramm für junge Menschen zwischen 15 und 27 Jahren entwickeln. Gottesdienste, speziell für Jugendliche, waren eine Ausnahmeerscheinung. 

Die Meinung war verbreitet, dass Jugendliche ohnehin nur drei bis vier Mal im Jahr für einen Jugendgottesdienst zu gewinnen seien. Kirchengebäude waren den altgedienten Kirchenmitgliedern vorbehalten. Jugendliche hatten sich entweder in den traditionellen Gottes­dienst einzufinden oder sollten – wenn überhaupt – ihr eigenes Programm abseits des Kirchenraums bekommen. Die Idee der Jugendkirche stellte dieses Denken auf dem Kopf: In einer Kirche Nürnbergs sollten Jugendliche einen exklusiven Raum bekommen, in der sie ihren Glauben in ihrer Sprache, Musik und Kultur leben und wachsen lassen konnten. Nicht Kirche für Jugendliche, sondern Kirche von Jugendlichen für Jugendliche sollte möglich werden.

Damit begann ein doppelter Prozess: Mit einer Handvoll Kirchen­gemeinden wurden Gespräche geführt mit Blick auf Standort, Nutzungsbedingungen und mögliche Kooperationen. Mit der Kirchengemeinde St. Lukas war eine Gemeinde und Kirche gefunden, die den Vorstellungen entsprach und die auch die Vision von einer Kirche für junge Menschen mit trug. Die Lukas-Gemeinde feierte zu diesem Zeitpunkt im Winterhalbjahr ihre Gottesdienste nicht mehr in der Kirche, sondern im angrenzenden Gemeindehaus, weil die Kirche nicht mehr beheizbar war. Die Kirche war ein Sanierungsfall und die Gemeinde deshalb bereits einige Schritte des ›inneren Abschieds‹ von ihrer Kirche gegangen. Natürlich gab es vor allem bei den älteren Gemeindegliedern auch Verunsicherungen, was aus ihrer Kirche werden würde. Dies änderte sich im Lauf der Zeit und der Kirchenvorstand erkannte die Chance der Jugendkirchenarbeit auch für die eigene Gemeindeentwicklung.

Der Umbau der Kirche war von wichtigen konzeptionellen Überlegungen geprägt: Die Kirche sollte weiterhin klar als Kirche erkennbar und der gesamte Sakralbereich erhalten bleiben. Ergänzt wurde der Kirchenraum vor allem durch flexible Bestuhlung, Licht-, Ton- und Medientechnik und eine neue Heizungsanlage. Die Verbindung aus traditioneller kirchlicher Bauweise und modernen Elementen war ein Bild dafür, wie Kirche zu verstehen ist: Eine junge Kirche ist nicht denkbar ohne eine Kirche mit gewachsenen Traditionen. Der Glaube der älteren Generation und der Glaube der Jüngeren gehören zusammen.

Lernen in der Diskothek

Während der Bauphase fand ein weiterer wichtiger Prozess statt: Wir mieteten eine Nürnberger Diskothek, um dort mit den Jugendlichen Gottesdienste, Konzerte und andere Veranstaltungen zu entwickeln, die dann in der umgebauten Jugendkirche fortgesetzt werden sollten. Manch kirchlich sozialisierter Jugendlicher tat sich schwer, in einem derart säkularen Umfeld einen Gottesdienst zu feiern. Gleichzeitig war es eine wichtige Lernerfahrung: Kirchendistanzierte Jugendliche, die für einen Jugendgottesdienst eine Kirche betreten sollen, haben das gleiche Fremdheitsgefühl, wie kirchliche Jugendliche in einer Diskothek. Diese konstruktive Spannung nutzten wir, um mit den Jugendlichen darüber nachzudenken, wie das Evangelium für kirchendistanzierte Jugendliche so zur Sprache kommt, dass es gehört und aufgenommen werden kann.

Spannend war, dass sich von Anfang an Jugendliche, die nicht primär aus ›Glaubensgründen‹ dabei waren, zu unserer ›Jugendkirchenbaustelle‹ gesellten. Manche ließen sich von der Licht- und Tontechnik begeistern, die wir nach und nach anschafften. Andere waren von den Gedanken begeistert, dass Jugendliche hier ihr Ding machten oder wollten Teil der entstehenden Theatergruppe werden. Für die Jugendlichen ergab sich so ein spannender Mix aus unterschiedlichen Motivationen. Unsere Aufgabe als Hauptberufliche bestand darin, in einer Atmosphäre der Wertschätzung alle mit einzubeziehen und die Jugendlichen mit ihren unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Glauben miteinander ins Gespräch zu bringen. Bei den Gottesdiensten waren dann alle dabei. Dabei konnten die Jugendlichen die Erfahrung machen, dass sie sich mit ihren Gaben und Fähigkeiten schnell einbringen konnten, ohne dass ein bestimmtes ›Glaubensbekenntnis‹ von ihnen verlangt wurde. In dieser Atmosphäre entstand bei vielen eine Offenheit, sich ernsthaft mit dem Glauben an Jesus Christus auseinanderzusetzen.

In der Bauphase gründeten sich immer mehr ›Aktivteams‹, die die zukünftige Jugendkirche mit Leben füllen sollten: Ein Gospelchor entstand, eine Band wurde ›gecastet‹, das Technikteam fand sich zusammen, ein Programmteam entwickelte Ideen, ein Bauteam legte beim Umbau der Kirche mit Hand an. Auch in Schulen sprachen wir Jugendliche an. So wuchs die Gruppe der mitarbeitenden Jugendlichen innerhalb eines Jahres von 10 auf 80, mit ganz verschiedenen Hintergründen.

Am ersten Advent 2009 konnten wir in die umgebaute St. Lukas-­Kirche einziehen. Viele Jugendliche waren an dem von der bayerischen Landeskirche bezahlten Umbau beteiligt. 

Bei vielen entstand deswegen das Gefühl: Das ist ›meine‹ Kirche. Das Gebäude wurde zu einem Symbol der Wertschätzung für die Jugendlichen und verband sich mit dem Gefühl, der richtige Ort für eine wachsende ›Community‹ zu sein. Community ist dabei ein schillernder Begriff zwischen ›Gemeinde‹ und ›Gemeinschaft‹. Genauso erlebten viele Jugendliche LUX: Für die einen war sie eine Gemeinde im theologischen Sinne, in der sie eine Heimat gefunden hatten. Für andere war LUX ein Netzwerk aus krea­-

tiven Akteuren in einer Art offenem Jugendkirchen-Kulturzentrum. Wir gestalteten die Grenzen zwischen beiden Polen bewusst fließend, damit Jugendliche über ihre Mitwirkung immer auch die Chance hatten, sich in Gottesdiensten oder Glaubenskursen tiefergehend mit dem Glauben zu befassen.

 

Mit LUX entwickelten sich fünf programmatische Standbeine:

Gottesdienst

Jeden Sonntagabend in der Schulzeit findet um 18 Uhr ein Gottesdienst statt, der fast ausnahmslos von Jugendlichen vorbereitet und durchgeführt wird. Die Hauptberuflichen begleiten Band, Verkündigungsteam, Moderationsteam, Technikteam und andere Beteiligte in der Vorbereitung. Ein- bis zweimal im Monat finden sogenannte ›Highlight-Gottesdienste‹ statt, die von rund 150 Jugendlichen besucht werden. Dazwischen findet sich eine weniger aufwändige Gottesdienstform, der ›Lichtring‹, die etwa 40 Jugendliche besuchen. Die Gottesdienst-­Themen orientieren sich an der Lebenswelt der Jugendlichen. In den Gottesdiensten gibt es einen festen Kern von 50 bis 60 LUX-Jugendlichen, daneben gibt es einen bunten Mix aus Jugendlichen, die in ihren Gemeinden keine ›passenden‹ Gottesdienste finden, Konfirmanden und interessierte Externe. Die Gottesdienste werden flankiert von Glaubenskursen, einem Hauskreis und Abenden zu unterschiedlichen Glaubensthemen.

Kulturveranstaltungen

Zwei- bis dreimal im Monat findet eine Kulturveranstaltung statt. Bei den Konzerten, Theateraufführungen oder Workshops sind Jugendliche wieder in hohem Maß bei der Vorbereitung und Durchführung beteiligt. Die Veranstaltungen ermöglichen es Jugendlichen, in einen niederschwelligen Kontakt mit LUX zu kommen. Dieser Arbeits­bereich ist ein Symbol für die Bereitschaft der Kirche, sich der Jugendkultur zu öffnen, weil sie selbst darauf angewiesen ist, die Kultur der nachwachsenden Generation zu verstehen und in die Verkündigung zu integrieren. Immer wieder tauchen Jugendliche und junge Erwachsene in anderen Bereichen auf, die LUX durch die Kulturarbeit kennengelernt haben.

Aktivteams

In den Aktivteams finden Jugendliche einen Platz, an dem sie sich beteiligen können. Die Teams funktionieren wie kleine Communities, in denen Fähigkeiten vermittelt werden und Gemeinschaft eine große Rolle spielt. Jugendliche sollen sich ausprobieren und das Erlernte in Gottesdienste und das Programm der Jugendkirche einbringen können. Allen Aktivteams liegt das ›In-Up-Out‹-Model zugrunde: In – Gemeinschaft erleben; Out – Etwas gestalten und weitergeben; UP – Glauben entdecken. Etwa 100 Jugendliche und junge Erwachsene sind Teil der verschiedenen Aktivteams: im Gospelchor, drei Bands, im Gastro- oder Moderations-Team, Programm- und Technik-Team, Multimedia-Team, LUXplus-Team, LUX@home (Hauskreis), Security- oder Theater-Team.

Schulbezogene Jugendarbeit

In der Schulbezogenen Jugendarbeit besuchen Schul­klassen im Rahmen ihres Unterrichts die Jugendkirche. Sie nehmen teil an thematischen Unterrichtsmodulen zu Themen wie ›Jugendkultur & Kirche‹, ›Einfach klasse – Teamtraining für die Klasse‹ oder ›Stille – Auftanken im Alltag‹. Daneben unterstützen Ehrenamtliche aus der Jugendkirche Lehrkräfte bei Schulgottesdiensten in der LUX-Kirche. Viele Jugendliche kommen dabei zum ersten Mal seit langem mit Kirche in Berührung und erleben, wie andere Jugendliche ›ihre Kirche‹ mit Leben füllen. Immer wieder kommen Schüler dann auf Teammitglieder zu und fragen, ob sie auch Teil der Jugendkirche sein und mitmachen dürfen.

›Haltestelle LUX‹

Dieser Arbeitsbereich hat sozial-diakonischen Charakter und ist eine Querschnittsaufgabe durch sämtliche andere Bereiche. Jugendliche mit sozial schwächerem Hintergrund bekommen im Rahmen der ›Haltestelle LUX‹ besondere Begleitung. Durch Praktika, Ausbildungsvermittlung, Lebenshilfe und Seelsorge wird den Jugendlichen geholfen, ihren Platz im Leben und in der Community zu finden. Über die Jahre haben sich hier Jugendliche von Außenseitern zu Kandidaten für das Leitende Team in LUX entwickelt. Die gottgegebenen Potenziale mit den Jugendlichen zu entdecken und zu entwickeln, gehört zu den besonders schönen Möglichkeiten in der Jugendkirche.

In den vergangenen Jahren ist LUX für viele Jugendliche zu einer Heimat, ja Kirche zu einem ›Wohnzimmer‹ geworden. Ein Großteil ihrer Freizeit spielt sich unter dem Kreuz ab. Kirche, Glaube und Alltag bildet für viele Jugendliche eine Einheit, die sie in anderen kirchlichen Kontexten so nicht erleben. An vielen Stellen erfindet LUX das Rad der kirchlichen Jugendarbeit nicht neu. Wir staunen selbst, welche Anziehungskraft die gute Nachricht von der Liebe Gottes zu jedem Einzelnen haben kann, wenn Jugendliche in ihren Potenzialen ernst genommen und sie ihren Glauben in einem eigens für sie angepassten Kirchenraum entfalten können.