»Weder ich selbst, noch die vielen anderen Teilnehmer, die im September 1993 zum Gemeindekongress nach Nürnberg reisten, sollten ahnen, wie nachhaltig uns diese Kongresstage prägen würden! Ein den meisten von uns unbekannter Pastor aus einer ebenso unbekannten Gemeinde aus einem Vorort von Chicago hielt hier drei Vorträge, mit denen er uns schlichtweg faszinierte: Wir hörten von dem jungen Pastor Bill Hybels, dass man seine Vision und Mission kennen sollte und erfuhren von Gottesdiensten, die suchende Menschen im Fokus hatten. Wir Pastoren begannen aber auch zu verstehen, dass wir Willow Creek nicht kopieren sollten. Es ging vielmehr darum, die dahinter liegenden biblischen Prinzipien zu begreifen. Dieser Kongress markierte einen Meilenstein in unserem Gemeindeleben.«

Kellerkirche mit vagen Visionen für die Stadt

Eigentlich war es mir in meiner kleinen evangelisch-freikirchlichen Gemeinde im Düsseldorfer Vorort Erkrath ganz gut ergangen: Immerhin hatte sich die Gemeinde mit ihren gerade einmal 38 Mitgliedern getraut, eine sechsköpfige Pastorenfamilie zu sich zu holen. Die EFG Erkrath ›boomte‹: Der Versammlungsraum, ein Privatkeller mit 50 Sitzplätzen, war meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Programm für Kinder – damals noch unter dem Namen Sonntagschule – fand im Schlafzimmer des Hauseigentümers statt, der praktischerweise unser Gemeindeleiter war.

Es war die Zeit zwischen Liederbuch und Tageslichtprojektor. Wir fühlten uns gesegnet in unseren Gottesdiensten, die rund zwei Stunden dauerten, weil wir auf nichts verzichten wollten – angefangen vom Lobpreis über das Abendmahl und Gebetsgemeinschaften bis hin zur Predigt mit anschließenden Segnungen. Gäste waren uns willkommen, hatten sich aber mit unserem Programm anzufreunden. Als Kellerkirche, so unser inoffizieller Name, fühlten wir auch Verantwortung für unsere Stadt; doch niemand von uns fasste die Träume und Visionen, die wir in uns trugen, in Worte.

Dann kamen wir, ein Mitarbeiter aus der Gemeindeleitung und ich, vom Kongress in Nürnberg zurück. Wir begannen das neue, inspirierende Gedankengut Schritt für Schritt in den Gemeindealltag zu integrieren. Heute, 23 Jahre später, tun wir das immer noch. Aus 38 Mitgliedern sind 340 geworden, aus einer Pastorenstelle wurden vier. Doch eines ist uns ganz wichtig: Wir möchten gerade als ›wachsende‹ Gemeinde eine ›lernende‹ Gemeinde sein und bleiben!

Auftrag und Vision lebendig erhalten

Von Willow habe ich gelernt, dass eine Gemeinde wissen muss, wozu sie da ist und wohin sie unterwegs ist. Doch obwohl dieses Wissen heute fast überall bekannt ist, funktioniert die Umsetzung vielerorts nicht: Im alljährlichen Termintrubel kann man schnell das große Bild aus den Augen verlieren. Statt zu navigieren und auf Kurs zu bleiben, fährt das Gemeindeschiff – gesteuert von zahlreichen Nöten und Bedürfnissen seiner Besatzung – in alle möglichen Richtungen, nur nicht zum eigentlichen Zielhafen. Darum nehmen wir uns seit 2006 immer Anfang des Jahres Zeit für einen Monat der Vision, um den Kurs festzulegen und die Segel neu zu setzen.

»Die Kirche, die ich sehe, ehrt Gott, begeistert Menschen, verändert Leben, fördert Gemeinschaft und nimmt Einfluss in der Region.« Unsere aktuelle Vision buchstabieren wir in den Jahresanfangs-Gottesdiensten immer wieder neu. Erst wenn wir den Monat der Vision mit Gebetsabenden abgeschlossen haben, indem wir uns als Gemeinde mitsamt unserer Region vor Gott hingehalten haben, geht es los ins neue Jahres-Abenteuer.

Kühe vor der Heilig­sprechung schlachten

Ich wollte nie in einer Gemeinde aktiv sein, deren Credo lautet: Hier muss dringend etwas passieren, aber es darf sich nichts ändern. Offenbar kommt bei vielen Christen die Angst vor Veränderung gleich nach der Furcht vor dem Antichristen. In unserer ›Treffpunkt Leben‹-Gemeinde werden darum Kühe geschlachtet, bevor sie irgendjemand heiligspricht; das gilt auch für die Gestaltung der Gottesdienste. Wir achten darauf, dass Gäste hierher mitgenommen werden können und darum beispielsweise die Reiter aus der Offenbarung kein Predigtthema sind.

Alles Neue wird zunächst einmal ausprobiert. Und wir begründen Veränderungen meist damit, dass das Bisherige nicht schlecht ist, aber durch Neues ergänzt werden soll. Die ›War-denn-früher-alles-falsch?‹-­Fraktion kann so aus der Position der Verteidigung in die Entspannung wechseln. Meist finden ihre Vertreter an den Neuerungen nach einiger Zeit auch Gefallen. Doch trotz aller Bemühungen erleben wir, dass manche sich an das Bewährte klammern und nicht bereit sind die neuen Wege mitzugehen.

Sicherheit und Stabilität durch Einheit

Am Ende eines Prozesses, bei dem auch kontrovers diskutiert und konstruktiv gestritten wird, steht unsere Leitung geschlossen hinter Entscheidungen, die Änderungen mit sich bringen. Wir bleiben im Gespräch, lassen keine ›Kampfabstimmungen‹ zu, beten lieber weitere 14 Tage bis zur nächsten Sitzung, statt uns drängen zu lassen. Unser Ziel ist die Einheit, sie gibt der Gemeinde Sicherheit und Stabilität; auf dieser Einheit liegen Gottes Verheißungen. Uneinigkeit in der Leitung breitet sich schnell auf die gesamte Gemeinde aus.

Durch Lebenshilfen und Wiederaufbau Menschen ›zurück ins Spiel‹ bringen

Das Anliegen unserer Gemeinde ist es, Menschen ›zurück ins Spiel‹ zu bringen, Menschen die etwa sagen: »In meiner Gemeinde gibt es niemanden, der sich um mich kümmert«. Nicht auf der Zuschauertribüne, auch nicht auf der Reservebank, sondern auf dem Spielfeld ist der von Gott vorgesehene Platz für den Einzelnen. Meine Frau Liesel hat im Lauf der Jahre Teams aufgebaut, die Menschen beim ›Wiederaufbau‹ ihres Lebens oder ihrer Beziehungen helfen: Etwa kinderlose Ehepaare, zerbrochene Menschen, Paare in einer Krise oder Trennungsphase. Manch einer kommt geheilt, gestärkt, wiederhergestellt an seinen Platz zurück. Dieser Arbeitszweig ist für uns niemals vergebliche Liebesmühe, vielmehr eine Investition in das Reich Gottes und seine Bürger.

Großzügigkeit bewahrt
vor Unzufriedenheit,
führt zu Dank­barkeit und
neuer Leidenschaft.

 

Großzügig denken und handeln

Ob beim Besuch des neuen ›Care Centers‹ bei Willow in Chicago oder bei den Leitungskongressen in Deutschland: Willow Creek war für mich immer das Gegenteil von kleinlich und sparsam. Ich wünsche mir, dass auch meine Gemeinde diese Großzügigkeit wiederspiegelt. Schließlich ist Gott bei allem, was er schafft und bewegt, großzügig. Zu den Inhalten, die wir alljährlich in Monatsthemen aufgreifen, gehört auch dieses wichtige Thema. Denn großzügig spenden, Zeit investieren und Kräfte mobilisieren ist eine Haltung, die in meinem Herzen beginnt. Das bewahrt vor Unzufriedenheit und macht einer großen Dankbarkeit und einer neuen Leidenschaft Raum! So führen wir in unseren Jahresbudgets erhebliche Summen auf, damit sich unsere Mitarbeitenden weiterbilden können. Diese Investitionen sind lohnend und zukunftsgerichtet.

Am Beispiel ›FÜREINANDER‹: Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt

Was würde unserer Stadt fehlen, wenn die ›Treffpunkt Leben‹-Gemeinde von heute auf morgen ihre Pforten schließen würde? Für viele Jahre war die ernüchternde Antwort auf diese Frage: Gar nichts – die Menschen in der Stadt würden es wohl noch nicht einmal bemerken. Doch zunehmend wird sichtbar, dass wir tatsächlich Einfluss in unserer Region nehmen.

Pastor Marc Stosberg und Ehrenamtliche haben längere Zeit in einem sozialen Brennpunkt sonntagnachmittags mit Kindern von Migranten gespielt. Das war die Grundlage für unseren Verein ›FÜREINANDER‹, durch den nun wöchentlich mehr als 80 Kinder in einer großen Wohnung betreut werden können. Mitarbeiter konnten angestellt werden, und im Dezember 2015 kam es zu einem nie dagewesenen Zusammenschluss von Stadt, Wirtschaft und Freikirche, um weitere Projekte in Erkrath anzustoßen: Nun wird ein großes Café entstehen, eine Anlaufstelle für junge Migranten, Flüchtlinge und alte, vereinsamte Menschen.

Für uns bleibt die Herausforderung, bestehende gemeindeinterne Arbeiten zugunsten der neuen Aufgaben neu zu bewerten, zurückzufahren oder auszusetzen, um weitere Mitarbeiter entsenden zu können.

Menschen in Nischen nicht aus dem Blick verlieren

Bevor wir mit einer neuen Arbeit für Nischengruppen – also für Menschen mit anderen Zugangswegen zu Gott – beginnen, fragen wir uns, ob sie überhaupt zu unserem Auftrag passt und wer hierbei die Leitung übernehmen wird. Eine Nischengruppe sind etwa Männer, die über Natur und Abenteuer angesprochen werden können (bei uns über einen Motorradclub.

Und so wurde durch Treue im Kleinen und den langen Atem von Mitarbeitern und Helfern aus einer unscheinbaren Saat eine ansehnliche Pflanze. Das macht Hoffnung für die vielen Meilen, die noch vor uns liegen, um als Ortsgemeinde wirklich einen Unterschied in der Region zu machen.

Was haben wir noch von Willow gelernt? Etwas sehr Wichtiges: Für Gott immer nur das Beste! Das gilt aber auch für Dinge, die wir an Bedürftige weitergeben, also: Kein Schrott für Gott. Bei allem, was wir anbieten und weitergeben, setzen wir auf Qualität; so ist auch unsere Gemeindezeitung ›ECHT‹ ein hochwertiges und im besten Sinn des Wortes ›echtes‹ Magazin. Vieles hat uns bei Willow so begeistert, dass wir es aufgegriffen und übernommen haben, natürlich angepasst an unsere Bedürfnisse und Situation.

Herausforderungen bleiben

Wir sind auf dem Weg. Viele Fragen und Herausforderungen beschäftigen uns heute, etwa diese: Wie sollen wir die Leitungsstrukturen bei derzeit bis zu 1.000 Besuchern anpassen? Wie gelingt eine gute Staffelübergabe an die nächste Generation, bei der sich auch die Älteren noch wohl und wertgeschätzt fühlen? Wir wissen, dass wir weiter planen, träumen und auch Fehler machen dürfen. Denn bei allem was wir tun, wissen wir uns als ›Schafe‹ in der totalen Abhängigkeit von unserem großen Hirten, der seine Gemeinde über alle Maßen liebt.