Der Global Leadership Summit (GLS) bringt jedes Jahr Sprecherpersönlichkeiten aus Kirche, Unternehmenswelt, Sport, Bildung und Kultur zusammen. Beim diesjährigen Summit im August sprach Life.Church-Pastor und GLS-Gastgeber Craig Groeschel mit dem Modedesigner Jerry Lorenzo (Foto), Gründer des erfolgreichen Streetwear-Labels ›Fear of God‹.

Der Sportartikelriese Adidas hat erst im Dezember 2020 eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Modelabel gestartet. Lorenzo soll den Basketball-Bereich auf ein neues Level heben und die globale Kreativ- und Business-Strategie voranbringen. Groeschel und Lorenzo diskutierten über Instinkte, Werte, kreative Lösungen und Grenzsituationen – in Unternehmen, wie in ­Kirchen.

»Bei Blockaden trete ich einen Schritt zurück und hole mir Input von außen«

Jerry, du bist für deine unorthodoxe Heran­gehensweise in der Modebranche und der Unternehmensführung bekannt. Ein Kreativkopf in vielerlei Hinsicht. Wie tickt so jemand?

Eigentlich mag ich das Wort ›Kreativkopf‹ nicht. Es löst sofort hohe Erwartungen aus: als müsse man in allem, was man tut, bahnbrechend sein. Oder als gehöre man zu einer elitären, abgehobenen Gruppe. Deshalb bezeichne ich mich selbst nicht als ›Kreativkopf‹. Ich arbeite einfach auf einer Grundlage von Überzeugung und von Gehorsam.

Was heißt das?


Ich habe bestimmte Überzeugungen von der Zukunft: wie sie aussieht, wie das Lebensgefühl sein wird, welche Herausforderungen damit einhergehen. Es ist eine Mischung aus Instinkt von dem, was sein wird, und aus Überzeugungen, wie ich diese Zukunft durch mein Wirken mitgestalten möchte.

Wie überträgst du das auf den Modebereich?


Ich frage mich nie: Wie kann meine Mode ­möglichst extravagant sein? Meine Herangehensweise lautet: Wie kann ich – überspitzt formuliert – die Probleme im Kleiderschrank meiner Zielgruppe lösen? Wie kann ich Bekleidungsstücke entwerfen, die die Menschen wirklich gern tragen – nicht nur eine ­Saison lang. Wie sind diese für die unterschiedlichen ­Zwecke wirklich funktional? Wenn man mit dem Problem beginnt, es durch und durch verstanden hat, ist das die wichtigste Voraussetzung, um kreative Lösungsansätze zu finden – ob in der Modebranche, der Unternehmenswelt oder dem kirchlichen Sektor.



Leitungspersonen stehen bisweilen vor Blockaden, finden nicht den Dreh für einen kreativen Lösungsansatz. Was machst du in solchen Fällen?


Solche Momente kenne ich natürlich auch. Ich trete dann einen Schritt zurück und hole mir Input von außen – aber sehr absichtsvoll: schaue mir z.B. einen Film aus den 90er Jahren an, blättere durch Zeitschriften aus der Ära –, um in das Lebensgefühl dieser Zeit einzutauchen, in der Hoffnung, dass daraus ein Funke für ein neues Design entsteht. Ich öffne mich also für frische Eindrücke aus einem anderen Umfeld.

Dein Unternehmen ›Fear of God‹ geht gerade durch die Decke – viele wollen deine Kreativität anzapfen. Zugleich lehnst du die traditionelle Rolle eines CEOs ab. Wie prägen deine Werte deinen Führungsstil?


Vor fünf Jahren habe ich einige einschneidende Entscheidungen für mein Leben getroffen: Seitdem bin ich ›trocken‹, habe mich von Dingen gelöst, die mich gefangen hielten und mein Leben Christus neu hingegeben. Ich möchte ein integres, stimmiges Leben führen und stets und überall dieselbe Person sein. Also nicht: Hier ist Jerry, der Designer. Hier Jerry, der Unternehmer. Oder Jerry, der Vater, der Typ, der in einer bestimmten Gesellschaft verkehrt. Ich möchte in allen Lebensbereichen deckungsgleich sein.

Wie gelingt dir das?


Ausgangspunkt ist eine klare Vision, in welche Richtung ich mich entwickeln möchte: als Ehemann, Vater und Geschäftsmann. Mit dieser Vision sind bestimmte Werte verknüpft, die ich als Grundlage für die großen Entscheidungen im Unternehmen heranziehe, Was mir in der Unternehmenswelt häufig begegnet, sind CEOs, die zwar eine klare Vision für ihr Unternehmen entwickelt haben, aber keine für sich als Leitungsperson, als Mensch. Das führt dazu, dass ihr Leben besonders in Krisen ins Schlingern gerät, der Orientierungspunkt fehlt. Die persönliche Vision kommt für mich darum immer vor der Vision für das Unternehmen.

Wie sehr setzt dich die Verwirklichung deiner Vision unter Druck?   

Überraschenderweise gar nicht. Das gilt für meine persönliche Vision, wie für die des Unternehmens. Der Grund: Sie sind für mich nichts Menschengemachtes. Sie haben ihren Ursprung in Gott. Er möchte, dass die damit verbundenen Ziele erreicht werden. Ich bin also nicht der Einzige, der sie tragen und umsetzen muss. Gott trägt seinen Teil dazu bei. Das gibt mir – gerade wenn es hart auf hart kommt – großen inneren Frieden.

Was sagst du Leitenden, die sich eingestehen: Mir fehlt dieser Friede, ich bin innerlich wie blockiert, weil mein Inneres und Äußeres nicht übereinstimmen.

Der schnellste Weg, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen – das Scheitern, die Scham –, ist die Zukunft in den Blick zu nehmen: die von Gott geschenkte Bestimmung. Sie ist um ein Vielfaches attraktiver als unsere eigenen Pläne. Ich muss mein Leben und Gottes Vorstellungen einer regelmäßigen Inventur unterziehen.

Fühlst du dich jemals unsicher, der gestiegenen Verantwortung nicht gewachsen?

Klar. Gerade weil das Unternehmen so rasant gewachsen ist, steigen häufig Fragen in mir auf wie: Geht’s mir nur um mich? Führe ich die Welt vielleicht an der Nase herum? Bin ich wirklich der, der in der öffentlichen Wahrnehmung existiert? Das sind ganz menschliche Gefühle. Immer wenn sie aufkeimen, gebe ich sie ab an den, der mich gemacht hat und sage: »Ich möchte dir und deiner Berufung gehorsam sein. Ich möchte der Spiegel deines Lichts, das Echo deiner Stimme sein.« Das ist meine Art, mit den Dingen umzugehen, die mir zu schwer zum Tragen erscheinen. Diese persönliche Beziehung zu Gott zu haben und die Erkenntnis, dass die besten Ideen ohnehin von ihm stammen, nimmt mir die Last, die ich oft auch spüre.

»Wenn jemand Felsenfest von etwas überzeugt ist, setzt das unglaublich Energie frei.«

Zusammenarbeit mit anderen gehört für praktisch jede Organisation, jede Führungskraft dazu. Wie arbeitest du mit Menschen zusammen, die anders sind als du?

Entscheidend ist, dass man eine sehr ähnliche Vorstellung von der Zukunft hat, die man gemeinsam gestalten will. Das ist z.B. bei meiner Zusammenarbeit mit Adidas der Fall. Auch wenn es Unterschiede in Nebensächlichem geben mag, das gemeinsame Ziel ist gleich. Deshalb können wir uns gemeinsam anfeuern. Also: Bevor man eine Beziehung eingeht – ob im Privaten oder mit einem Unternehmen – ist die Frage der gemeinsamen Zukunftsvorstellung eine der wichtigsten.

Wenn du neue Leute in dein Team holst, was sind – neben Kompetenz – die wichtigen Eigenschaften, auf die du schaust?

Ob die Person wirklich an die Vision unseres Unternehmens glaubt. Wenn jemand an etwas felsenfest glaubt und mit seinem ganzen Sein dahintersteht, setzt das unglaublich Energie frei. Oft kommen dann Talente und Stärken zum Vorschein, die man vorher gar nicht gesehen hat. All das kommt in der gemeinsamen Arbeit mit in die Waagschale. Wenn es in Bewerbungsgesprächen nur um Fachkenntnisse geht, ist ein Bewerbungsgespräch sehr eindimensional und unzureichend.

Hast du kürzlich etwas gelernt, das du dem jüngeren Jerry mit auf den Weg geben würdest?

Oh ja! Die Frage: Willst du diesen Job wirklich machen? Mein Job bringt mich nämlich ständig an meine Grenzen. Es ist wie bei einem neuen Schuljahr: Am Anfang ist man schier überwältigt von dem, was man am Ende eines Schuljahrs alles gelernt haben muss. Aber wenn man einfach nur auf die aktuelle Woche schaut und was es da zu lernen gibt, ist das gleich viel machbarer. Die eine Woche bereitet dich auf die nächste Woche vor. Das eine Schuljahr auf das nächste. So ist es auch im Leben: Die heutige Etappe – sei es Erfolg oder Niederlage – bereitet dich auf die nächste vor. Du musst nur die Last von heute tragen. Und das nicht mal allein.

 

Übersetzung: Gotthard Westhoff