Auf Netflix kann man den Abenteurer und Ex-Soldaten Bear Grylls dabei  beobachten, wie er in einer menschenfeindlichen Wildnis überlebt. Dabei betont er Tugenden wie Kraft und Durchhaltevermögen: Bear Grylls kommt immer durch. Deswegen überraschte sein Auftritt beim Global  Leadership Summit, der jährlich auf dem Willow-Campus stattfindet: Er berichtete dort, dass es auch Situationen gab, in denen er gescheitert ist. Und was ihn das gelehrt hat.

Ich freue mich, beim Global Leadership Summit dabei zu sein. Und ich möchte euch gern etwas von dem erzählen, was ich gelernt habe. Nicht bei dem, was gut geklappt hat, sondern vor allem in den Tiefs und den Kämpfen. Es sind Schlüsselmomente, die mich angetrieben und geprägt haben. Einige davon werden euch überraschen. Im Rückblick erkenne ich vier Dinge, die mich durch viele Stürme hindurchgetragen haben.

Fehler und Versagen

Das Erste und wahrscheinlich Wichtigste ist: Fehler und Versagen. Nie werde ich den Tag vergessen, an dem der Auswahlprozess für die britischen Spezialeinheiten begann. Ich stand mit 90 Freiwilligen im strömenden Regen am Fuß eines Berges im Brecon Beacons Nationalpark in Wales – total durchnässt, zitternd und völlig ahnungslos, was in den nächsten elf Monaten auf uns zukommen würde. Ich habe mich noch nie so fehl am Platz gefühlt wie neben dieser Ansammlung von riesigen, muskelbepackten Soldaten. Mir schwante, dass ich mich für etwas gemeldet hatte, was meine Fähigkeiten bei weitem überstieg. Und damit sollte ich Recht behalten. Bereits nach sechs Monaten wurde ich zu meiner Einheit zurückversetzt. Die harte Wahrheit lautete: Ich war nicht schnell genug, nicht schlau genug, nicht gut genug. Es tat weh.

»Im Rückblick erkenne ich, wieviel Kraft im Scheitern steckt.«

Über unsere Fehler und unser Versagen sprechen wir nicht gerne. Viele wissen gar nicht, dass ich den Test beim ersten Mal nicht bestanden habe. Aber die Zahl meiner Fehler und Versagen ist wahrscheinlich höher als die meiner Erfolge: gescheiterte Expeditionen und Projekte und Nahtoderfahrungen, die mir immer noch den Schlaf rauben. All das gehört zu mir. Aber im Laufe der Zeit ist gerade dadurch meine Widerstandsfähigkeit gewachsen. Im Rückblick erkenne ich, wieviel Kraft im Scheitern steckt. Auf dem Weg zum Ziel gibt es keine Abkürzung, mit der sich Fehler vermeiden lassen.

Ich wollte es noch einmal bei den britischen Spezialkräften versuchen. Natürlich hatte ich Angst vor den Blasen, den Schmerzen und der Müdigkeit. Aber klar war auch, dass genau diese Dinge die Türöffner zu diesem besonderen Regiment waren.

Beim zweiten Anlauf fand das Ganze im Winter statt, was das Training noch härter machte. Nacht für Nacht schleppten wir uns mit schwerem Gepäck über die Berge. An dem Punkt, an dem ich beim ersten Mal gescheitert war, waren von den 90 Freiwilligen nur noch 18 übrig.

Ein walisischer Berg ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er markierte den letzten Abschnitt eines Langstreckenmarsches. Wir hatten geschwollene Füße und Rückenschmerzen. Als wir vom Gipfel abstiegen, konnten wir unten die Scheinwerfer der Armeelaster sehen. Sie bedeuteten die lang ersehnte Ruhepause und den Abschluss einer weiteren Phase im Auswahlprozess. Aber als wir unten ankamen, starteten die Laster und fuhren weg. Man sagte uns: Die warten auf der anderen Seite des Gipfels auf euch. Wir waren schweißgebadet, stützten uns auf unsere Gewehre und sahen fassungslos den Lastern hinterher. Niemand sprach. Noch einmal über den Berg? Sechs Rekruten ließen ihr Gepäck fallen und sanken zu Boden. Es war drei Uhr nachts, es regnete in Strömen, und sie gaben auf. Der Clou war aber: Kurz nachdem sie losgefahren waren, kamen die Laster zurück und nahmen uns mit. Die Ausbilder wollten nur unsere Willenskraft testen.

Am Ende war ich einer von vier Freiwilligen, die übrig blieben. Die drei anderen sind bis heute wie Brüder für mich: äußerlich ganz normale Menschen, aber von einer enormen inneren Kraft. Interessant daran ist: Von uns vieren hatten es drei beim ersten Anlauf nicht geschafft. Das erste Scheitern war der Türöffner.

Es nützt nichts, Fehlern und Versagen auszuweichen. Vielmehr müssen wir verstehen, was sie uns sagen wollen. Sie sind wie Wegweiser, an deren Ende die Erfüllung unserer Träume steht; Türen, durch die wir hindurchgehen müssen, wenn wir Erfolg haben wollen.

Bear Grylls ist ein zäher Typ. Über Jahre diente der Nordire in einer britischen Spezialeinheit. Später wurde er bekannt durch Survival-Shows, in denen er mit giftigen Schlangen ringt, Spinnen isst und sich von Wasserfällen hinabstürzt. 2015 schlug Grylls sich mit dem damals amtierenden US-Präsidenten Barack Obama durch Alaska.

Angst und Feuer

Der zweite Aspekt ist die Angst. Jeder hat seine eigenen Kämpfe auszutragen. Vielleicht einen Kampf um Vertrauen, einen Kampf mit schwachen Nerven, mit großen und kleinen Problemen. Manchmal macht uns das Leben Angst. Eines steht fest: Das Leben wird jede und jeden vor körperliche, mentale und emotionale Herausforderungen stellen. Und alles hängt davon ab, wie wir darauf reagieren. Das Leben hält nämlich nicht permanente Belohnungen für die Brillanten und Begabten bereit. Das Leben ist nicht interessiert an Prüfungsergebnissen, gutem Aussehen, dem guten Namen. Nein, das Leben belohnt die Hartnäckigen, die Entschlossenen, diejenigen, die sich ihrer Angst stellen, die auch vor großen Problemen nicht zurückschrecken.

Nach drei Jahren beim Militär hatte ich einen Unfall, der mein Leben komplett veränderte. Ein Routine-Fallschirmsprung in Afrika ging schief: Es ist schon fast Abend. Ich springe aus 1.000 Metern Höhe. Trotz geöffnetem Schirm falle ich viel zu schnell. Für den Reserveschirm ist es bereits zu spät. Ich rechne mit dem Aufschlag. Dann wird alles dunkel. Ich lebe, kann mich aber nicht mehr bewegen. Nach einem Krankenhausaufenthalt werde ich nach Hause geflogen. Ich habe Schmerzen, muss einen Rückenstützgurt tragen. Es folgen Monate der Rehabilitation und schlimme Nächte, in denen ich immer wieder den Absturz erlebe.

Aber - und das ist der Punkt - ich springe heute immer noch. Gerade weil ich Angst davor habe. Sie gehört zu meinem Leben dazu. Die Nächte vor einem Fallschirmsprung sind immer furchtbar. Aber ich weiß, dass der beste Umgang mit Angst der ist, sich ihr zu stellen. Ich habe gelernt, dass Angst sich auflöst, wenn wir ihr ins Gesicht sehen.

Die einzige Möglichkeit, Angst zu überwinden, ist, mitten durch sie hindurch zu gehen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Unsere Ängste gehören zu unserem Leben. Das Leben verlangt keine Perfektion. Es sagt nur: Mach weiter. Nutze die Angst wie einen Steuermann, eine Emotion, die dich prägt. Narben und Falten stehen für unsere Geschichte. Sie machen uns erst aus.

Versagen und Angst müssen in Kraft verwandelt werden. Dafür braucht man Feuer. Ein Feuer, das dich vorwärtstreibt, das dich durchhalten lässt - auch wenn es noch so schwierig wird. Niemand kann permanent brillant, mutig oder überdurchschnittlich sein. Wichtig ist jedoch, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort das kleine, aber entscheidende Extra zu liefern. Wer hartnäckig sein will, muss das Feuer in sich finden. Manchmal ist es vielleicht nur noch ein schwaches Glühen. Aber es ist ein Gottesgeschenk und kann alles verändern.

Ich denke zurück an meine Besteigung des Mount Everest. Vier Menschen waren bereits gestorben: zwei waren erfroren, zwei abgestürzt. Fast zwei Monate waren wir bis dahin unterwegs gewesen und bereits auf 8.500 Metern. Bei 40 Grad Minus ragen die letzten 300 Meter vor uns auf – und ich bekomme Panik. Nach so langer Zeit in so großer Höhe bin ich körperlich und geistig total erschöpft. Ich stecke bis zur Brust im Pulverschnee und denke, dass diese Tortur niemals enden wird. Ich komme keinen Meter voran, rutsche immer wieder zurück. Und eine Stimme in mir flüstert: „Hier gehörst du nicht hin. Nach deinem Unfall erwartet doch eh niemand solche Leistungen. Gib einfach auf!“ Und fast tue ich es. Aber das Feuer glimmt noch, und ich mache weiter, nach dem Motto: „GNA“ - Gib niemals auf!

Dieses Feuer ist meine wertvollste Waffe gewesen. Nicht meine Begabung, meine Fähigkeiten oder mein Wissen, sondern mein Durchhaltevermögen. Dunkle Nächte müssen ausgehalten werden. Wir müssen beharrlich auf das Licht warten, und das Licht wird immer gewinnen.

Glaube

Wir haben jetzt über Fehler und Versagen, Angst und Feuer gesprochen. Der nächste Punkt ist: Glaube. 300 Meter unter dem Gipfel des Mount Everest hörte ich zum ersten Mal die andere Stimme in mir. Sie sagte: „Ich bin bei dir. Stütz dich auf mich! Mach weiter! Wenn du hinfällst, steh wieder auf! Du schaffst es bis zum Gipfel.“

Jeder von uns steht vor seinem persönlichen Mount Everest. Ob es ein Krankenhausaufenthalt, die tägliche Routine bei der Arbeit oder der Familienalltag ist.

»Narben und Falten stehen für unsere Geschichte. Sie machen uns erst aus.«

Ich habe den Gipfel dann doch noch erreicht. Ich konnte die Krümmung der Erdachse sehen, und merkte: Ich bin an einem ganz besonderen Ort. Der Wind ließ nach, ich fiel auf die Knie und erlebte, wie die Stimme verstummte, die immer nur Zweifel säen wollte. Sie wurde von etwas viel Besserem übertönt, von einer Präsenz, die sich nur schwer beschreiben lässt. In den dunkelsten Momenten meines Lebens habe ich mich an meinen Glauben geklammert. Fast wie eine geheime Kraft. Mein Glaube ist wie ein Rückgrat, das mich durch jeden Tag trägt.

Ich habe schon oft versucht, ohne den Glauben zu leben und bin auch eine Weile zurechtgekommen. Aber mit der Zeit und durch viele Abenteuer habe ich gelernt, dass man alleine nie mit voller Kraft vorankommen kann. Um mich ganz lebendig zu fühlen, brauche ich diese Leben spendende Präsenz, die Christus mir gibt.

Es wird immer Leute geben, die behaupten, der Glaube sei nur eine Krücke. Doch was ist eine Krücke? Sie hilft Menschen gerade zu stehen und ist gleichzeitig als Waffe zu gebrauchen. Das gefällt mir.

Ich merke, dass ich diese Kraft immer mehr brauche, um die großen Schlachten zu schlagen und die hohen Berge zu bezwingen. Dabei darf man nicht vergessen, dass Glaube und Religion zwei ganz verschiedene Dinge sind. Es gibt doch keinen Menschen, der nur Religion will. Der Glaube ist eine Reise. Man braucht Mut, um ihn jeden Tag zu leben, und oft ist der Weg des Glaubens nicht einfach.

Aber ich habe gelernt, dass der schwierigste Teil häufig der erfüllendste ist. Denn oft erreichen wir dabei den Punkt, an dem wir Jesus auf Knien um das bitten, was er den Menschen immer gegeben hat: Frieden und Kraft. Ich war mir immer sicher, dass ich durch den Glauben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen habe.

Eigentlich will ich nur folgendes sagen: Ich bin kein Held. Auch ich kenne Angst und Zweifel. Aber ich kenne auch die Waffen, die dagegen einzusetzen sind.

Es geht um mehr

Ein letzter Punkt: Das Erreichen des Gipfels sollte nie die ganze Geschichte sein.

Es geht darum, echten Reichtum zu finden, dankbar zu sein und freundlich. Ich war mit Männern klettern, die im Krieg ihre Beine verloren haben, und die doch immer ein Lächeln auf den Lippen trugen.

Dankbarkeit macht reich. Wir stehen alle auf den Schultern von Riesen, für mich sind das mein Vater, meine Freunde vom Militär, meine Begleiter am Mount Everest und bei allen anderen Expeditionen. Ich habe in den vielen Episoden von „Ausgesetzt in der Wildnis“ und anderen Fernsehformaten mehrmals dem Tod direkt ins Auge geblickt. Ich wurde von Schlangen gebissen, bin in Bergspalten gestürzt, habe in Wasserfällen und Lawinen festgesteckt.

Bei all diesen Vorfällen habe ich eine ganz einfache Lektion gelernt. Erstens: Sei kein Idiot – und vergiss nie, was für ein Glück du hast, am Leben zu sein! Zweitens: Sei freundlich! Freundlichkeit ist wichtig. Sie verändert Menschen. Kleine Taten erweisen sich als pures Gold. Begegne deiner Familie und deinen Freunden mit Wertschätzung. Betrachte das Leben nicht als Selbstverständlichkeit. Unser wahrer Reichtum wird immer in unseren Beziehungen liegen.

Ich hoffe, dass du in all dem, was ich gesagt habe, etwas findest, was für dich passt. Denn die einfachen Dinge sind wichtig. Die, die uns durch die dunklen Nächte tragen, und uns an hellen Tagen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Denk dran: Du bist ein wunderbares Geschöpf Gottes.

 

Übersetzung: Antje Gerner