Seit April läuft das neue Video- Format ›LET’S TALK ABOUT THE TALK‹ von Willow Creek Deutschland auf YouTube und Instagram. Rund 170.000 mal wurden die neun bisher erschienenen Folgen aufgerufen. In den 15-Minuten-Videos diskutieren Jana Highholder, Anna Kaufmann, Henok Worku und Gunnar Engel ­jeweils über einen Ausschnitt aus einem Vortrag der Willow-­Leitungskongresse. Die Frage dabei ist: Wie können die Inhalte in unser eigenes Leben sowie unseren Gemeindekontext übertragen werden?

Im Interview mit dem WILLOW CREEK MAGAZIN spricht das Quartett über sehr persönliche Erfahrungen und ihre Hoffnungen für die Zukunft von Kirche. Beim Leitungskongress im Februar 2022 in Leipzig wird ›LET'S TALK ABOUT THE TALK‹ ebenfalls zu erleben sein.

Mit Blick auf eure Leitungsaufgaben: was hat euch selbst geprägt? Henok, beginnen wir mit dir.

Henok Worku: Definitiv die vier Jahre, die ich nach meinem Abitur in New York als Missionar bei Metro World Child verbracht habe. Ich war in einem völlig fremden Land und auf mich allein gestellt. Da musste ich erst mal lernen, mich selbst zu leiten.

Was waren deine Aufgaben bei 
Metro World Child?

Henok: Die von Bill Wilson gegründete Organisation erreicht jede Woche bis zu 200.000 Kinder. Ich war zuständig für einen Bezirk in der Bronx und musste ein Mitarbeiterteam leiten. Am Anfang war ich damit völlig überfordert. Hinzu kam, dass man nahezu wöchentlich erlebt, wie Menschen sterben – durch Drogen, Gangs, Selbstmord … Da lastet ein enormer Druck auf den Schultern der Mitarbeitenden.

»Die Erwartung, dass junge Menschen sich nur in eine fertige Gemeinschaft einzufügen haben, wird kaum funktio­nieren.«

Wie bist du damit umgegangen?

Henok: Ich habe in dieser Zeit viel über das Leben nachgedacht. Und über mich selbst. Dabei habe ich auch meine Stärken und meine Grenzen besser kennengelernt. Es war wie ein Bootcamp fürs Leben.

Was hat dich geprägt, Gunnar?

Gunnar Engel: Bei mir war es – neben den US-Vorbildern wie Willow Creek und Rick Warren – vor allem mein Vater. Das habe ich aber erst in letzter Zeit so richtig realisiert.

Inwiefern hat er dich geprägt?

Gunnar: Er war sein Leben lang auf der Leitstelle bei der Bundespolizei und hat mir oft von den Aufgaben erzählt, die er dort zu meistern hatte. Seine ruhige, aber bestimmte Art hat mich immer fasziniert. Heute frage ich mich in Situa­tionen oft, wie er wohl reagieren würde.

Jana Highholder: Für mich waren meine Eltern auch sehr prägend. Ich würde sogar sagen, dass sie für mich Helden sind. Nicht, weil sie ein großes Unternehmen, eine Gemeinde oder sonst irgendetwas Anerkanntes leiten. Sondern weil sie mir durch ihr Leben gezeigt haben, dass Hingabe, Wille und Gebet wirklich Berge versetzen können. Und dass es letztlich um Jesus geht.

Anna Kaufmann: Mir fallen meine frühere Jugendleiterin Steffi und mein ehemaliger Pastor Frieder ein. Beide haben mehr in mir gesehen als ich selbst. Ich bekam von ihnen in einem geschützten Rahmen die Möglichkeit, mich auszuprobieren und erste Leitungserfahrungen zu sammeln. Das ist sicher ein Grund, weshalb ich mich heute besonders für die Leitungsentwicklung von jungen Menschen einsetze.

Was ist nötig, damit junge Menschen sich in ihrer Gemeinde engagieren, Verantwortung übernehmen?

Jana: Zunächst mal müssen sie ihre Gemeinde als relevant für ihr Leben einstufen. Wenn das der Fall ist, entsteht auch eine Bindung. Denn niemand würde sich desinteressiert von etwas abwenden, was er als wichtig und lebensnotwendig erfahren hat.

Wie sieht dann der nächste Schritt aus, das persönliche Engagieren?

Gunnar: Wenn die Erwartung ist, dass junge Menschen sich nur in eine „fertige“ Gemeinschaft einzufügen haben, wird das kaum funktionieren. Sie brauchen Freiraum und Möglichkeiten, sich auszuprobieren. In meinem Umfeld erlebe ich die junge Generation als sehr individualistisch und selbstbestimmt.

Henok: Was du im landeskirchlichen Kontext erlebst, Gunnar, erlebe ich genauso im freikirchlichen: Viele Junge Leute wollen in den Entwicklungsprozess einer 
Gemeinde mit hineingenommen werden. Wenn ihre Stimme gehört wird und sie Zugehörigkeit spüren, entwickelt sich die Leidenschaft für ihre Kirche fast von ganz alleine.

Viele Gemeinden suchen hände-
ringend nach Mitarbeitenden. Da müssten der jungen Generation doch Tür und Tor offenstehen.

Henok: Die entscheidende Frage ist die des Motivs: Werden sie gesucht, um die Kirche der Erwachsenen ›am Laufen‹ zu halten oder geht’s auch um den Bau von Kirche, die die Heranwachsenden benötigen? Zu viele Kirchen sehen junge Menschen nur als Mittel zu ihrem Zweck.

Ziemlich ernüchternd.

Henok: Dabei würden sie gleich mehrfach profitieren: Wenn junge Leute eingeladen werden, sich am Aufbau ihrer Kirche zu beteiligen, entwickeln sie zugleich ihren Glauben und ihre Begabungen. Das geschieht ja nicht im luftleeren Raum.

Anna: Genau! Es geht nicht um das Delegieren und Abarbeiten irgendwelcher Jobs. Heranwachsende brauchen erfahrene Leitungspersonen an ihrer Seite – geistliche Väter und Mütter –, die an sie glauben, die an ihrer Seite sind, wenn sie Schritt für Schritt in ihre neuen Aufgaben hineinwachsen.

Das heißt, dass Leitende hier eine entscheidende Rolle haben?

Anna: Definitiv. Diese Rolle darf man nicht unterschätzen. Es geht hier immerhin um die Zukunft der Kirche. Im Hinblick auf den Leitungsnachwuchs empfinde ich auch eine persönliche Verantwortung: Ich möchte dazu beitragen, dass diese junge Generation mutig neue Wege geht. Durch meine Lehrtätigkeit am Momentum College und bei God ­Encounter erlebe ich täglich, dass viele junge Leute genau dazu bereit sind. ­Deshalb bin ich sehr zuversichtlich. Es 
ist so viel Potenzial vorhanden.

Henok: Richtig. Unsere Generation braucht Menschen, die unser Potenzial sehen und dies in Existenz sprechen.

Was heißt das: Potenzial in Existenz sprechen?

Henok: Ganz einfach: Worte haben enorme Kraft und können eine noch nicht vorhandene Wirklichkeit wecken. Ich begegne vielen jungen Leuten, die sich selbst sehr kritisch sehen und oft nur ihre Fehler wahrnehmen. Die sehen sich überhaupt nicht als künftige Leitungsperson. Aber in dem Moment, in dem erfahrenere Menschen die guten Ansätze benennen, ihnen Mut zusprechen, entsteht eine explosive Kraft. Dadurch ändert sich ihr Mindset: wie sie über sich selbst denken.

Jana: Dazu gehört auch, sich verletzlich zu machen. Auch das hat Potenzial, Stärken, Selbstsicherheit und Zusammenhalt hervorzubringen.

»Worte haben enorme Kraft und können eine noch nicht vorhandene Wirklichkeit wecken«

Kannst du ein Beispiel nennen?

Jana: Am Abend nach dem ersten Drehtag von LET’S TALK ABOUT THE TALK sind wir vier in Frankfurt noch am Main spazieren gegangen. Henok hat dort etwas Persönliches aus seiner eigenen Geschichte erzählt – das war echt stark. Dann haben sich Anna, Henok und Gunnar noch Zeit genommen, um für mich zu beten, weil ich zu der Zeit durch einige Stürme gegangen bin. Dieses gemeinsame Erlebnis hat uns sofort näher zueinander gebracht, obwohl wir uns bei Drehbeginn ja kaum persönlich kannten. Ich empfand das als großen Segen.

Gunnar: Ich kann auch ein Beispiel beisteuern: In einer der aufgezeichneten Folgen geht es darum, wie Leitungspersonen sich um ihre Seele kümmern. Henok erzählt da, wie er aufgrund eines persönlichen Tiefs gelernt hat, seiner Seele mehr Beachtung zu schenken. Das hat mich persönlich sehr angesprochen. Seitdem arbeite ich gezielt an diesem Punkt. Das hat diese Verletzbarkeit hervorgerufen, von der Jana sprach.

Henok: Hey das freut mich, Gunnar. Ich habe von dir auch einen Satz mitgenommen, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: »Wir müssen mehr miteinander als übereinander reden.« Ich bin ja Pastor in einer charismatischen Freikirche und du bist Pastor in einer lutherischen Landeskirche. Beim Dreh wurde immer wieder deutlich, dass wir einander brauchen – trotz unterschiedlicher Herkunft. Besser gesagt: gerade wegen unserer Unterschiede. So können wir voneinander profitieren, wenn es darum geht, die Zukunft von Kirche in unserem Land zu gestalten.

Wie seht ihr als junge Leitungs­personen die Zukunft der Kirche?

Jana: Kirche, das ist ein weites Feld. Ehrlich gesagt, kann ich oft nur sprachlos den Kopf schütteln, wenn ich mir einige Kirchen anschaue: Wie kann man so darum bemüht sein, am sogenannten ›Puls der Zeit‹ zu sein und nicht merken, dass man sich damit immer weiter ins Abseits befördert?

Was verlieren diese Kirchen denn 
deiner Meinung nach aus dem Blick?

Jana: Ein klares Bekenntnis zur Wahrheit. Viele sogenannte moderne Neuinter­pre­tation kirchlichen Lebens, die angeblich mehrheits- und gesellschaftsfähiger sind, kommen für mich oft recht kraftlos daher.

Anna: Unsere Gemeinden brauchen Menschen, die sich zuallererst Jesus verschrieben haben – nicht der Agenda ihrer Kirche. Danach gilt es, sich mit ganzem Herzen um die Aufgaben zu kümmern.

Ihr seid alle in den sozialen Medien sehr aktiv. Kann es sich ein Pastor oder eine Pastorin heute noch leisten, nicht bei Instagram und Co. präsent zu sein?

Jana: Klar. Wer sagt denn, dass jeder eine digitale Präsenz braucht? Uns geht es doch immer sehr um Authentizität. Dann sollten auch nur die Leute dort aktiv sein, denen das liegt und die auf diesen Kanälen gerne berichten. Alle anderen dürfen mit gutem Gewissen offline sein.

Gunnar: Ich finde, spätestens seit Corona sind die sozialen Medien nicht mehr wegzudenken. Auch für die Kirche nicht. Gerade in den vergangenen Monaten konnten wir so bei Menschen sein, die sonst sehr alleine gewesen wären.

Was müssen Hauptamtliche 
besonders beachten, wenn sie soziale Medien nutzen?

Gunnar: Eine Regelmäßigkeit. Menschen stellen sich auf eine Beziehung ein, auch wenn sie nur online stattfindet. Und ein gewisses Maß an persönlicher Offenheit ist wichtig – wie bei einer persönlichen Begegnung auch. Jetzt das Aber: Soziale Medien sind keine Kopie des Gemeindebriefs. Man lädt dort nicht einfach alle vorhandenen Informationen ab. Diese Plattformen sind für den Austausch gedacht. Und: Nicht einfach kopieren, was bei anderen funktioniert. Man muss schon die eigene Stimme finden.

Gotthard Westhoff stellte die Fragen

›Let’s talk about the talk‹ ­erscheint auf dem ­Willow YouTube-Kanal, bei Instagram, ­Facebook und auf willowcreek.de/letstalk.

Auf der ­Webseite können die PDFs mit Impulsen zum Weiterdenken kostenfrei abonniert werden.