25 Theologiestudierende mehrerer deutscher Universitäten und Hochschulen nahmen im August an einer Studienreise zur Willow Creek Community Church in Chicago teil. Be­gleitet wurden sie von Michael Herbst (Universität Greifswald), Achim Härtner (Theologische Hochschule Reutlingen) dem Willow-Vorstandsmitglied und Initiator der Reise, Stefan Pahl (mc² – Marburger Kreis/crossover) sowie Axel Ebert, Leiter der Abteilung Missionarische Dienste in der Badischen Landeskirche. Neben dem Global Leader­ship Summit erhielten die Teilnehmenden Einblick in die verschiedenen Arbeitsbereiche der Willow-Creek-Gemeinde, trafen in Gesprächsrunden auf Leitungspersonen der Gemeinde und besuchten Kirchen und theologische Ausbildungsstätten im Großraum Chicago. Axel Ebert schildert hier seine Eindrücke:

Am Fremden Lernen

Kann man von amerikanischen Kirchen überhaupt etwas lernen, was für unsere deutschen Kirchen und Gemeinden Relevanz hat? Schließlich sind wir das Mutterland der Reformation (2017 werden wir es wieder stolz zelebrieren). Wir schauen auf eine Jahrhunderte lange Kirchen- und Theologiegeschichte zurück, sind stolz auf unsere reichen Traditionen – was soll uns eine Fastfood-Nation kirchlich schon beibringen können? Zugegeben: In anderen Bereichen haben wir längst von Amerika gelernt oder gar manches übernommen: Burger, Google und Apple sind Teil unserer Kultur geworden. Aber Kirche können wir doch selbst. Oder?

Es ist wirklich so: Einiges auf der Reise ist uns fremd erschienen und fremd geblieben. Willow Creek ist eine Megachurch, kaum vergleichbar mit unseren Kirchengemeinden, die flächendeckend in jeder Stadt und jedem noch so kleinen Ort zu finden sind. Willow Creek ist gerade 40 Jahre alt geworden.

Da fehlt jeder Reichtum (und Ballast) von Traditionen oder denkmalgeschützten Gebäuden. Willow finanziert sich durch Spenden, ein Kirchensteuersystem ist unbekannt. Und: Willow ist Teil einer amerikanischen Kultur, in der das Religiöse im Gegensatz zu uns weithin salonfähig und selbstverständlich ist. Die für unser Land typische Peinlichkeit, die sich einstellt, wenn jemand anfängt über seinen Glauben zu sprechen, ist unseren amerikanischen Geschwistern fremd. Und so haben die Theologiestudierenden durchaus eine ›fremde‹ Kirche erlebt. Doch gerade am Fremden, Widerständigen, manchmal Irritierenden, kann man lernen und wachsen. Die Begegnung mit dem Fremden lässt das Eigene schärfer sehen: auch die eigene Kirche. So führte die Studienreise nach Chicago nicht nur in eine fremde kirchliche Kultur, die zu manchen theologischen Diskussionen führte, sondern auch zu überraschenden und herausfordernden Erkenntnissen.

Menschen zählen

Es hat beeindruckt, in welch kompromissloser Liebe sich die Willow-Gemeinde Menschen zuwendet. ›People matter‹ – Menschen sind wichtig. Das ist nicht nur das Credo von Willow, hinter dem jeder steht, dem man begegnet. Es wird auch gelebt. Menschen zählen: Darum hat Willow eine beeindruckende sozialdiakonische Arbeit aufgebaut, die Menschen in Not hilft. Menschen zählen: Darum existieren unzählige Kleingruppen, in denen Menschen seelsorgerlich einander begleiten und tragen. Menschen zählen: Darum sucht Willow ständig nach neuen Wegen, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen, die davon noch nicht berührt sind. Menschen zählen bei Willow, weil sie für Gott zählen. Jeder Einzelne. Alle Traditionen, Formen, Gebäude und Strukturen sollen dem Ziel dienen, Menschen mit diesem Gott bekannt zu machen. Und falls sie nicht dem Ziel dienen, muss man sie ändern. Das ist der Grund, warum Willow sich nie mit dem Bestehenden zufrieden gibt, sondern eine lernende und sich ständig verändernde Gemeinde ist.

Bleibender Eindruck

Von Willow lernen? Durchaus. Wenn wir als Mutterland der Reformation lernbereit sind und nicht überheblich meinen, wir ›könnten‹ schon Kirche. Und das besser als andere. Die immer leerer werdenden Kirchen im deutschsprachigen Europa, die fortschreitende Belanglosigkeit kirchlicher Verkündigung und der rasant fallende geistliche Grundwasserspiegel lassen es dringend geboten scheinen, von Willow zu lernen. Vielleicht mehr die Haltung, in der Willow seine Arbeit tut und nicht so sehr einzelne Methoden. Die Theologiestudierenden jedenfalls haben sich herausfordern lassen. Sie haben diskutiert, gelernt, verstanden. Sie werden anders weiterstudieren als zuvor. Und sie haben gesagt, dass sie sich jetzt, mehr als bisher, auf ihren künftigen Dienst freuen.

Axel Ebert ist Leiter der Abteilung Missionarische Dienste in der Badischen Landeskirche, aus der vier der 25 Theologiestudierenden an der Studienreise teilnahmen.