Leitungsaufgabe ist „Seelenversorgungsgeschäft“

Theologe Thomas Härry wirbt für barmherzigen Umgang und Kultur der Wertschätzung

„Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Mit einem Gotteslob geht der Willow-Creek-Leitungskongress am Samstagmorgen in die Schlussrunde. Eine Schauspielszene mit Nicu Bachmann aus einer „Backstube“ und ein Vortragslied sprechen von dem Segen und der Gnade, die in Regen, harten Nächten und Tränen versteckt sind („mercies in disguise“).

Der Schweizer Theologe Thomas Härry spricht dann in seinem Vortrag einfühlsam über „die Seele“ des Leitens. Wer leitet, hat es mit Seelen-Menschen zu tun, die Sehnsüchte haben und begrenzt sind. Und weil es kein „Schema F“ gibt, sind Menschen nicht leicht zu leiten. Menschen und Organisationen „sind keine trivialen Systeme, sondern äußerst komplex“. Leiten heißt Seelen leiten, keine zweibeinigen Geräte.
Auch für Kirchen und Gemeinden ist wichtig zu verstehen: Menschen sind keine Erfüllungsgehilfen. Bei Jesus wird sichtbar, wie er sich bedürftigen Menschen zuwendet und die Seelen mit dem versorgt, was sie brauchen. Und dieser „Leiter aller Leiter“ beteiligt uns an seinem „Seelenversorgungsgeschäft“, sagt Härry. Darum: Wer leitet, sollte Unvollkommenheit ertragen, gnädig mit Menschen umgehen und eine Kultur der Wertschätzung pflegen.

Härry gibt Anregungen, wie das geschehen kann. Dazu gehört, sich damit „zu versöhnen“, dass Menschen bedürftig und begrenzt sind. Ein jährliches Standortgespräch mit Mitarbeitenden ist hilfreich, denn „das geschieht zu selten“. Leitungspersonen rät er, auf das zu hören, „was der Geist Gottes durch die Gemeinde sagt“. Verbringe mehr Zeit mit Menschen als mit Strategien! Arbeite daran, die mitarbeiterfreundlichste Organisation zu werden. Mach‘s wie Gott: Gib, bevor du forderst! „Jesus sagt, wir sollen seine Schafe weiden, nicht uns an seinen Schafen weiden.“

Auf der anderen Seite mahnt Härry: Alle Leitenden sind ebenfalls Seelen-Menschen und damit gefährdet. Sie müssten aufpassen, weder in die Erfolgsfalle zu tappen, sich von äußerlichen Erfolgen abhängig machen, und sich auch nicht innerlich lähmen zu lassen. Mit seelsorgerlichem Blick empfiehlt er: „Nicht nur Schafe brauchen Schlaf, Hirten auch“, und einen „Urlaub, in dem du nicht erreichbar bist, das sollten auch alle wissen und akzeptieren“. Schließlich, sagt Härry, ist Leiten auch eine Identitätsfrage: „Nicht mein Leiten stillt meine Seele, sondern meine Nachfolge. Jesus fordert uns nirgendwo zum Leiten auf, sondern zum Nachfolgen“, zitiert Härry den theologischen Autor Eugene Peterson. „Die Nachfolgespiritualität ist entscheidend als Versorgungsquelle für meine Seele. Das Leiten darf nicht meine Nachfolge ersticken.“

Dave Dummitt: Sind wir Vollzeitpastor – und Teilzeit-Christ?

Seit zwei Jahren ist Dave Dummitt Leitender Pastor der Willow-Creek-Community in South Barrington bei Chicago. In Leipzig ist er erstmals bei einem Willow-Creek-Leitungskongress in Deutschland. Ausgehend von der Geschichte Nehemias und des Volkes Israel im Exil entfaltet er Gedanken zur Kraft eines Neuanfangs nach einer Krise.

„Ist das Wissen um unseren Auftrag Kopf- oder Herzenssache?“, fragt Dummitt. Menschen könnten die Liebe Gottes und seine Kraft in ihrer Ortsgemeinde erfahren. Leitungspersonen sollten sich „nicht zu viel beschäftigen mit Budgets, Mitarbeitern und Personalschlüsseln, sondern die Menschen im Blick behalten“. Es wäre zu wenig, wenn sie zwar Vollzeitpastoren, aber nur Teilzeit-Christen wären. Weil Menschen Gott wichtig sind, müssten Leitende eine neue Leidenschaft für die Menschen entfachen.

Dabei wirkt der Gedanke befreiend, dass „meine Gemeinde“ nicht meine Gemeinde ist. Nicht ich sitze am Gemeinde-Steuer, sondern Gott. Dummitt rät, „Träume zu träumen, die auf Gottes ‚Bankkonto‘ basieren“. Denn, sagt er, „Gott ist viel leidenschaftlicher an unserer Gemeinde interessiert als wir“. Natürlich: Wer leitet, wird auch Gegenwind erfahren. Aber es kann sein, dass diese „Widerstände eine Bestätigung dafür sind, dass wir auf dem richtigen Kurs sind“. Laut einer US-Umfrage denken 38% der Pastoren infolge der Pandemie über Rückzug nach. „Wer etwas (richtig) tut, wird müde; aber Vorsicht, wenn du amtsmüde wirst!“, sagt Dummitt. Zeitweise ist es zwar möglich, im „roten Bereich“ zu fahren. Für eine gesunde Leiterschaft braucht man aber gute Beziehungen – alle Leiter brauchen Freunde, und ein Team, das einem den Rücken stärkt - und muss sich vernünftig um die körperliche, mentale und spirituelle Gesundheit kümmern. Gemeinde-Strategien müssten von Zeit zu Zeit angepasst werden, aber die Mission bleibt unverändert.

Spenden-Unterstützung: 137.000 Euro

Zum Finale erklärte der deutsche Willow-Vorsitzende: „Unser Eindruck ist, dass Gott Segen gibt.“ Er dankte „für die enorme Welle der Unterstützung“. WCD-Geschäftsführer Thomas Fremdt gab das vorläufige Ergebnis bekannt: Laut aktuellem Spendenbalken seien 137.000 Euro an Online- und Geldspenden in einem halben Tag zusammengekommen. Nach Aussage des 2. Vorsitzenden Stefan Pahl wolle man nun mit Blick auf die Zukunftsplanung „hören, suchen und abwarten“. Gegenwärtig gebe es Überlegungen für einen weiteren Leitungskongress im Februar 2024. Eggers ergänzte: „Jesus ist der Chef all dessen, was wir tun“. Mit dem vielstimmigen Segenslied „Der Herr segne dich und behüte dich. Er ist für dich. Amen“ ging der Leitungskongress 2022 zu Ende.