Der Pastor und Autor Gordon MacDonald hat durch seine tiefgründigen und seelsorgerlichen Vorträge schon einige Willow-Kongresse maßgeblich mitgeprägt. Unvergessen der bewegende Abschluss seines Vortrags beim Leitungskongress 2005 in Stuttgart. Unzählige Menschen folgten damals seiner Einladung, vor der Bühne in der großen Arena niederzuknien, um so Gott gegenüber ihrem Wunsch nach einem Neuanfang zum Ausdruck zu bringen. Noch heute, fast 15 Jahre später, berichten ihm Menschen, wie entscheidend dieser Moment für ihr Leben war.
Hier erläutert Gordon MacDonald, wie ihm damals vor dem Aufruf Zweifel kamen, ob diese Einladung tatsächlich Gottes Wille sei.
In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts wurde mir die Ehre zuteil, bei mehreren Willow Creek-Leitungskongressen in Deutschland mitwirken zu dürfen. Tausende deutschsprachige Kirchenvertreter kamen zusammen und hörten Bill Hybels und John Ortberg über die Notwendigkeit einer neuen Art von Leiterschaft in der Kirche des 21. Jahrhunderts sprechen. Ich mied in der Regel den Aufenthaltsraum für die Beteiligten und unterhielt mich in der Zeit vor und nach den Veranstaltungen lieber in den Gängen der großen Hallen mit denjenigen Deutschen, die meiner Sprache mächtig waren. Bald fand ich heraus, dass fast jeder eine Frage oder eine Idee hatte, die er gerne teilen wollte. Und es bewegte mich tief, wie die Menschen in Deutschland die Arbeit von Willow schätzten. Der Höhepunkt meiner Vorträge auf den zweijährlich stattfindenden Leitungskongressen war in einem Jahr, als ich, ermutigt von Bill Hybels, beschloss, etwas typisch Amerikanisches zu tun: nämlich meine Rede mit einer Einladung oder einem Aufruf, nach vorne zu kommen, abzuschließen.
Der Erste, dem ich zwei Tage vor dem Kongress von meinem Gedanken erzählte, war mein enger Freund und deutscher Übersetzer Ulrich Eggers. Ich beschrieb ihm, was ich vorhatte. Am Anfang meines Vortrags würde ich dem Publikum mitteilen, dass ich zum Schluss, nach etwa 40 Minuten, alle, die sich von Gott persönlich angesprochen fühlten, bitten würde, aufzustehen, nach vorne zu kommen und niederzuknien. Das Knien, so erklärte ich meinem Freund, sei ein öffentliches Zeugnis dafür, dass sie ihre Beziehung zu Jesus und das Bewusstsein für ihre Berufung erneuern wollten.
Ulrich, dessen Rat ich schon immer vertraut habe, hörte mir aufmerksam zu, als ich ihm diese amerikanische Idee vorstellte, und meinte, dies sei in Deutschland vielleicht nicht so angebracht. Deutsche, so sagte er, seien eher zurückhaltend und würden ihre geistlichen Absichten nicht so gerne durch öffentliches Niederknien ausdrücken. Dann fügte er hinzu: »Dieses Gebäude ist auch nicht so sehr dazu geeignet, dass die Menschen einfach aufstehen und nach vorne kommen können. Wenn sie dies wirklich wollten, müssten die meisten erst nach draußen gehen und durch einen anderen Eingang wieder hereinkommen.«
Ich sah mich in der Arena um und erkannte, dass Ulrich recht hatte. Ein Aufruf nach vorne am Ende meiner Rede war wohl doch keine so gute Idee. Später jedoch kam Ulrich noch einmal auf das Thema zu sprechen. Er sagte, er habe darüber nachgedacht und gebetet. »Wenn Gott von dir möchte, dass du das machst«, meinte er, »dann solltest du es auch tun. Wie auch immer. Wenn es Gottes Wille ist, wird es funktionieren.« Einen ganzen Tag lang war ich hin- und hergerissen. Sollte ich die Zuhörer tatsächlich aufrufen, nach vorne zu kommen und niederzuknien oder lieber nicht?
»Wenn Gott von dir möchte, dass du das machst, dann solltest du es auch tun.«
Am nächsten Tag begann der Kongress. Ich war am zweiten Tag der dreitägigen Veranstaltung an der Reihe. Bill Hybels sprach ein paar einleitende Worte und hieß Ulrich und mich auf der Bühne willkommen. Erst als ich mich umdrehte und in die Menge blickte, entschied ich mich dazu, es tatsächlich zu wagen. Mit Ulrich als Übersetzer an meiner Seite erklärte ich, ich würde am Ende meiner vierzigminütigen Rede etwas typisch Amerikanisches tun: Ich würde die Menschen nach vorne rufen. »Wenn Gott in euer Leben hineinspricht«, sagte ich, »lade ich euch ein: Überlegt euch, ob ihr nicht in dieser Arena nach vorne kommen und niederknien möchtet. Lasst euch nicht von eurer zurückhaltenden deutschen Mentalität aufhalten. Wenn es euch hilft, versucht doch mal, nur für einen kleinen Moment Amerikaner zu sein.« Bei dieser letzten Bemerkung hatte ich die Lacher auf meiner Seite. »Viele von euch haben mir von ihrem Wunsch nach Veränderung erzählt«, fuhr ich fort, »Veränderung in Deutschland, Veränderung in ihren Kirchen, Veränderung in ihrem eigenen Leben. Gleich habt ihr die Chance, bewusst einen Schritt in diese Richtung zu tun. Ihr könnt kommen und niederknien, wenn ich euch dazu aufrufe. Das wird an sich schon eine große Veränderung sein. Andere können euch sehen und sich von eurem Mut anstecken lassen.«
Dann begann ich mit meinem Vortrag, aber ich muss gestehen, dass ich mich kaum konzentrieren konnte, da ich tief in meinem Herzen mit Selbstzweifeln kämpfte, mit der Angst, dass niemand meinem Ruf nach vorne folgen könnte. Während meiner Rede überlegte ich sogar ein- oder zweimal, ob ich nicht einen Rückzieher machen und meine Ankündigung vergessen sollte. Ich stellte mir vor, wie peinlich es wäre, wenn ich den Ruf aussprechen und niemand kommen würde. Ungeachtet meiner Zweifel erinnerte ich meine Zuhörer alle paar Minuten daran, dass ich sie nach vorne einladen würde. »In 32 Minuten«, sagte ich einmal, »bitte ich euch nach vorne.« Eine Weile später: »Nicht vergessen, in 21 Minuten rufe ich euch nach vorne ... Hat sich jeder von euch schon die Frage gestellt: ›Spricht Gott persönlich zu mir?‹« Noch später: »Nun hat jeder von euch noch 11 Minuten Zeit, um für sich zu entscheiden: ›Spricht Gott in mein Leben hinein?‹« Ich hörte einige in der Arena nervös lachen. Es war spürbar, dass diese Frage ›Spricht Gott zu mir?‹ die Zuhörer bewegte. Dann war es so weit. Was würde passieren? Würde überhaupt jemand kommen?
Nun zitterte ich beinahe vor Angst. Aber wir hatten uns alle auf diesen Ruf eingelassen: ich, Ulrich, die Zuhörer. »Jetzt ist der Punkt gekommen, den ich angekündigt habe«, sagte ich. »Wenn du Gottes Stimme in deinem Leben hörst und dich neu zu Jesus bekennen willst, wenn du hörst, wie er dich wieder neu in seinen Dienst stellt, rufe ich dich nun auf, aufzustehen, hier nach vorne zu kommen und niederzuknien. Wer ist der Erste?« Zuerst war es einen Moment still, doch plötzlich kam Bewegung in die Arena. Hier und dort erhoben sich Männer und Frauen, bahnten sich an anderen vorbei einen Weg durch ihre Reihe. Manche mussten den Saal erst durch den Ausgang verlassen und durch andere Eingänge wieder hereinkommen. Bald war der ganze vordere Bereich der Arena voll von Menschen auf den Knien. Die Gänge an den Seiten füllten sich mit Christen – deutschen, wohlgemerkt –, die sich still von Jesus erneuern lassen wollten. Manche weinten leise, andere umarmten sich oder beteten innig. Später erfuhr ich, dass die Menschen auch bei einer Übertragung der Veranstaltung an einem anderen Ort der Stadt genauso reagiert hatten.
Wie viele wohl an diesem Tag in der Arena niederknieten? Ich wage keine Schätzung. Aber ich weiß, dass die Zahl jede Erwartung bei Weitem übertraf. Dieser Aufruf ereignete sich vor fast fünfzehn Jahren. Seither kommen jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, Menschen auf mich zu und sagen: »Ich war damals bei deinem Ruf nach vorne dabei.« Oder: »Ich bin deinem Aufruf gefolgt, nach vorne gegangen und bin niedergekniet.« Oder: »An dem Tag, an dem du dazu aufgerufen hast, nach vorne zu kommen, hat Gott mein Leben verändert.«
Wenn ich dies hier aufschreibe, rührt es mich noch immer zu Tränen. Niemals werde ich den Tag vergessen, an dem uns alle der Geist Gottes trieb, der durch diesen Aufruf wirkte. Das ist eine der denkwürdigsten Erfahrungen meines Lebens. Gott hat gesprochen und wir alle haben gehört.
Weitere Lebensschätze seiner geistlichen Reise können Sie in Gordon MacDonalds Buch "Für meine Freunde" (SCM R. Brockhaus) entdecken.