Sein Vortrag erhielt beim Leitungskongress 2022 Bestnoten von den Kongressbesuchern. Der Schweizer Theologe Thomas Härry sprach darüber, dass Menschen, die geführt werden, nicht nur Seelen haben, sondern Seelen sind – und in ihrer Bedürftigkeit von den Leitenden wahrgenommen werden müssen. Daraus zieht er Konsequenzen für den Führungsalltag: Worauf man achten soll, wenn man Menschen im Sinn von Jesus führt. Hier seine sechs Anregungen:

1. Menschen: bedürftig und begrenzt

Es beginnt alles damit, dass du dich damit versöhnst, dass die Menschen, die du führst, bedürftig und begrenzt sind. Du kannst dich darüber ärgern, wenn gerade wieder etwas schiefläuft. Wenn sich wieder zwei Mitarbeiter in den Haaren liegen. Du kannst es aber auch bejahen. Schon morgen wird wieder irgendwo ein Fehler passieren. Es wird Konflikte geben. Kritik. Schlüsselpersonen, die ausfallen. Auch bei bester Führung wirst du es nicht verhindern können. Was du aber kannst: Du kannst es gnädig und kompetent auffangen. Mit dieser goldenen Mischung aus Menschenkenntnis und Sachkompetenz, die darin den guten Weg nach vorne sucht. Und findet.

2. Regelmäßiges Standortgespräch

Etwas vom Grundlegendsten, was Leitende tun sollten, ist dafür zu sorgen, dass Mitarbeitende jährlich (oder halbjährlich) ein ausführliches Standortgespräch bekommen. Diese grundlegendste Form der Wertschätzung findet traurigerweise in einem Großteil von Organisationen und Kirchen schlicht nicht statt. Leute arbeiten jahrelang mit und bekommen kaum je ein Standortgespräch, wo sie sagen können, wie es ihnen in ihrer Aufgabe geht. Was sie belastet. Was sie beglückt. Wo sie Hilfe brauchen. In diesem Gespräch redest du am besten so wenig wie möglich. Du hörst zu. Auch dort, wo die Person Dinge zu dir sagt, die dir unangenehm sind. Oft habe ich in solchen Gesprächen zu viel geredet. Am Ende dachte ich, damit seien alle Zweifel zerstreut und alles wieder ins Lot gebracht. Um später ernüchtert festzustellen, dass ich mehr verloren als gewonnen hatte.

3. Zuhören

Das bringt uns zu einem der wichtigsten Kennzeichen dienender Leitung: Zuhören, eine der wichtigsten Disziplinen, die Leitende lernen sollten. Studien zeigen, dass Leitende viel zu viel reden. Gut führen kann nur, wer gut zuhören kann. Zuhören gehört zu den wichtigsten geistlichen Disziplinen. In der Bibel heißt es: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. Ich ergänze: »Leiterin und Leiter, höre, was der Geist dir auch durch deine Leute sagen will!« Weise, nachhaltige Führung geschieht durch Leiterinnen und Leiter, die begierig auf Gott und auf ihre Mitarbeitenden hören.

4. Menschen: Wichtiger als Strategien

Seelen führen heißt auch: Menschen sind immer wichtiger als Visionen, Strategien und Programme. Verbringe mehr Zeit mit Menschen als mit Strategien. Wenn es darauf ankommt: Behalte die Menschen und wechsele die Strategie – nicht umgekehrt. Nur selten ist das Gegenteil richtig. Genauso funktioniert übrigens Gottes Geschichte mit den Menschen: An den Menschen hält er fest – die Strategie wechselt er ständig. Und das ist auch nötig, weil wir eben Menschen sind. Nicht-triviale Wesen.

5. Mitarbeiterzufriedenheit

Arbeite nicht nur daran, die kunden- und besucherfreundlichste Organisation zu sein, sondern genauso hart daran, die mitarbeiterfreundlichste zu sein.

6. Mitarbeitende versorgen

Sei doppelt so barmherzig wie fordernd. Mach es wie Gott: Gib, bevor du forderst. Nur Beschenkte können geben. Und fast immer wollen sie es auch. Gut Versorgte können sich aufrichten. Bekommen neuen Mut und neue Kraft. Können mitanpacken. Helfen, Lasten zu tragen. Lebendige Gottesdienst mitgestalten. Kunden beraten. Gäste beherbergen. Sie können die Extrameile gehen, die es manchmal braucht. Und im Notfall auch mal eine Nacht durchmachen. Versorgte Seelen können geben – und wiederum andere versorgen.

VIER PERSÖNLICHE FRAGEN

1. Bin ich damit versöhnt, dass meine Mitarbeitenden (und ich selbst) begrenzte, bedürftige Menschen sind?
2. Wie will ich meinen Mitarbeitenden verstärkt dienen, ihnen zuhören, für sie da sein?
3. Was gefährdet mich mehr: die Erfolgsfalle oder die Lähmungsfalle? Was tue ich dagegen?
4. Was will ich tun, damit mein Leiten nicht meine Nachfolge erstickt?

Live erleben kannst du Thomas Härry beim Leitungskongress 2024 in Karlsruhe.