Nach mehr als 40 Jahren ist Rick Warren, Gründer und Pastor von Saddleback, einer der größten und international bekannten Gemeinden in den USA, im September 2022 in den Ruhestand getreten. Als einer der einflussreichsten christlichen Leitungspersönlichkeiten des Landes prägte er über Jahrzehnte die Gemeinde-Szene: vom Kleidungsstil der Pastoren, wie sie ihre Gemeinden organisieren, bis zu der Frage, wie Gemeinden gegründet werden. Zahlreichen Staatschefs und US-Präsidenten stand er als beratender Gesprächspartner und Seelsorger zur Seite.

Ihm folgt nun der 41-jährige Andy Wood, der gemeinsam mit seiner Frau Stacie die Megachurch leitet. Im Interview spricht er über seine ersten Erfahrungen als Leitungsperson einer weltbekannten Gemeinde, was er als erstes verändert hat und weshalb seine Frau ihn aus seinem eigenen Twitter-Account ausschloss.

Andy, beginnen wir mit der naheliegenden Frage: Weshalb hast du die Nachfolge von Rick Warren angetreten? Ist man da nicht automatisch zum Scheitern verurteilt?

Andy Wood: Ehrlich gesagt, habe ich das anfangs auch gedacht. Als Rick im Juni 2021 in einem YouTube-Video ankündigte, dass er in absehbarer Zeit sein Amt abgeben werde, habe ich den Link einem Freund geschickt und geschrieben: Wer wird wohl der Idiot sein, der diesen Job übernimmt und sich traut, einer Legende zu folgen!?

Ein knappes Jahr später stellte sich heraus: Du bist dieser »Idiot«. Was hat dich also dazu bewogen?

Es hat mit Gottes Berufung zu tun. Er hat im Laufe der Monate deutlich gemacht, dass wir – meine Frau Stacie und ich – diese Aufgabe übernehmen sollen.

Wie kam es dazu?

Stacie und ich haben 2009 die Echo Church in San Francisco gegründet. Inspiriert wurden wir unter anderem durch Rick Warrens Bestseller »The Purpose Driven Church« (deutsch: Kirche mit Vision). Eigentlich wollten wir den Rest unseres Lebens in dieser Gemeinde verbringen. Anfang 2021 verspürte ich aber eine innere Unruhe. Als ich mit Stacie darüber sprach, sagte sie, ich müsse vielleicht mehr Zeit mit Jesus verbringen, um zufriedener zu werden.
In dieser Phase wurde ich von Saddleback als Gastprediger eingeladen. Nach dem Gottesdienst führte uns Rick durch seine legendäre Bibliothek, die einem Museum gleicht. Drei Stunden nahm er sich für uns Zeit. Als wir uns verabschiedeten, sagte Rick: Wie ihr wisst, werde ich aus gesundheitlichen Gründen die Leitung von Saddleback abgeben. Würdet ihr bitte dafür beten, dass wir den richtigen Nachfolger finden? Dann betete er für uns, blickte mir zum Schluss in die Augen und sagte: Gott wird durch dich etwas Großes tun – sei darauf vorbereitet!

»Gott wird durch dich etwas Großes tun – sei darauf vorbereitet!«

Was hat diese Begegnung in euch ausgelöst?

Wir spürten, dass Gott etwas in Bewegung gesetzt hatte. Stacie hat das auch körperlich zugesetzt: Auf dem Weg zum Flughafen musste sie sich fast übergeben. In den Wochen und Monaten darauf folgten mehrere intensive Gespräche.

Hatte die Offenheit für eine neue Aufgabe auch etwas mit einer fehlenden Vision für eure bisherige Gemeinde zu tun?

Überhaupt nicht! 90 % der Menschen im Einzugsgebiet von San Francisco gehören keiner Kirche an. Wenn das einen Pastor nicht packt, ist der kirchliche Dienst kein gutes Betätigungsfeld. Auch nicht bei Saddleback in Orange County.

Gab es Dinge, die dich eingeschüchtert haben – abgesehen davon, dass du in Rick Warrens Fußstapfen treten musstest?

Natürlich: die schiere Komplexität dieser Megachurch. Meine bisherige Gemeinde hatte 3.000 Gottesdienstbesucher – Saddleback hat zehn Mal so viele. Wir hatten 45 Angestellte – Saddleback etwa 450. Hinzu kommt: Wenn man eine Gemeinde gegründet hat, entwickelt man im Lauf der Jahre eine Intuition, wie man in bestimmten Situationen reagiert. Man kennt die Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden. Das Umfeld ist einem vertraut. Sprich: Man kann Entscheidungen intuitiv und trotzdem zielsicher treffen. Bei Saddleback fehlte mir dieser wichtige Kontext. Wenn ich heute Entscheidungen treffe, tue ich das immer noch mit einem nicht unerheblichen Unsicherheitsfaktor.

Was waren die besonderen Stresspunkte in deinem neuen Arbeitsumfeld?

Ich würde es anders formulieren: Was sind die Stresspunkte? Ich übe das Amt des Leitenden Pastors gerade mal ein Jahr aus. Neben der Komplexität ist es das Thema Veränderung: Was sollten wir sofort anpacken, und wo macht es Sinn, noch zu warten?

Dazu gibt es ja ganz unterschiedliche Meinungen. Einige sagen: Ändere im ersten Jahr bewusst nichts. Andere sagen: Gerade im ersten Jahr kann man als neuer Leitender am leichtesten etwas verändern. Wie siehst du das?

Pauschal kann man das nicht beantworten. Die Frage ist: Wer war die bisherige Leitungsperson und wie ist sie mit dem Thema Veränderung umgegangen? Die zweite Frage: Wie bist du als Leitender gestrickt, womit fühlst du dich wohl? Und schließlich: Welche Haltung hat die Gemeinde gegenüber Veränderungen – ist sie diese gewohnt oder sind sie etwas Ungewohntes? In einer Gemeinde, die sich in den letzten zwanzig Jahren kaum verändert hat, würde ich im ersten Jahr wohl wenig ändern.
Übrigens: Den Rat, im ersten Jahr bloß nichts zu verändern, hat auch mir jemand mit auf den Weg gegeben. Daraufhin habe ich direkt Rick angerufen und ihn gefragt, was er von dieser Aussage hält.

Was hat er geantwortet?

Er meinte lachend: »Das käme bei Saddleback überhaupt nicht gut an!« Die Gemeinde verlangt sogar danach, dass sich Dinge stets ändern. Das erste Jahr ohne Veränderungen verstreichen zu lassen, würde bedeuten, dass wir die junge Generation verlieren sowie die Motoren in der älteren Generation, die die Gemeinde voranbringen wollen. Wo wir gerade von Stresspunkten reden: Einige, die von außen betrachtet vielleicht als solche eingestuft werden, sind gar keine.

Zum Beispiel?

Oft höre ich: Es muss schwer sein, in die Fußstapfen eines überlebensgroßen Pastors wie Rick Warren zu treten. Das empfinde ich gar nicht so. Im Gegenteil: Ich spüre, dass die Mitarbeitenden, ja, die gesamte Gemeinde, bereit waren für eine neue Phase. Das hat sicher auch mit der Gesundheit von Rick zu tun, um die es in den letzten Jahren nicht gut bestellt war.

Häufig wollen die ehemaligen Leitenden nach der Amtsübergabe immer noch ein Wörtchen mitreden. Wie erlebst du das?

Natürlich gibt es Entscheidungen, bei denen ich Ricks Meinung einhole. Bei anderen informiere ich ihn lediglich. Bei wiederum anderen bleibt er völlig außen vor.

Kannst du ein Beispiel nennen?

In den ersten Monaten nach meiner Amtsübernahme haben wir das Leitbild der Gemeinde geändert.

Das ist mutig.

Ich weiß. Aber das bisherige Leitbild-Statement bezog sich auf die fünf Aufträge, die die Saddleback-Gemeinde vor langer Zeit für sich erkannt hatte. Es lautete: Als Gemeinde sehen wir unseren Auftrag darin, Menschen zu Jesus und in seine Familie zu führen, ihnen zu helfen, zu immer größerer Christusähnlichkeit heranzureifen, und sie für ihren Dienst in der Gemeinde und für das Zeugnis ihres Lebens in der Welt auszurüsten, um Gottes Namen zu verherrlichen.

»Welche junge Leitungsperson hätte Rick Warren nicht gerne als Mentor?«

Darin ist ja alles enthalten.

Das ist der Punkt: Alles wichtige Inhalte, aber ein prägnanter, merkbarer Satz ist das nicht. Kein Wunder also, dass mir keiner der Saddleback-Mitarbeiter dieses Statement aufsagen konnte, als ich während meiner Berufungsphase danach fragte. Es musste eine neue Formulierung her, die diese Inhalte besser auf den Punkt bringt.

Wie lautet sie jetzt?

We exist to urgently lead people to say yes to Jesus and his purposes for their lives. Zu deutsch: Wir sind dazu da, Menschen mit großer Dringlichkeit zu einem Ja zu Jesus und seiner Absicht für ihr Leben zu führen. Die Neuformulierung des Leitbilds war ein Fall, bei dem ich Rick vorher informiert habe.

Wenn Rick also tatsächlich loslassen kann – ist seine fortwährende Präsenz in der Gemeinde nicht doch hinderlich?

Man kann die Sache auch andersherum sehen: Welche junge Leitungsperson hätte Rick Warren nicht gerne als Mentor? Ich habe diese Gelegenheit. Da wäre ich doch dumm, wenn ich ihn »abschieben« oder einen Bogen um ihn machen würde.

Wie hältst du das Verhältnis zu ihm intakt?

Zum Beispiel, indem ich niemals öffentlich oder im privaten Setting negativ über Rick und Kay rede. Ich weiß, dass das auch andersherum gilt. Abgesehen davon, dass es unbiblisch ist, gibt es keinen Grund, dass man das, was jemand aufgebaut hat, herabwürdigt oder verbal einreißt. Wenn es etwas gibt, wo ich Fragen habe, rufe ich ihn einfach an. Der Vorteil: Weder Rick noch ich sind so gestrickt, dass wir erst gemeinsam Kumbaya singen müssen, um ein wohliges Gefühl für ein offenes Gespräch zu erzeugen. Wir können immer direkt zur Sache kommen.

Welche Punkte haben zur erfolgreichen Staffelübergabe beigetragen?

Zuallererst die klare Entscheidung der Saddleback-Ältesten und von Rick: Es ist tatsächlich an der Zeit, dass er die Leitung der Gemeinde abgibt. Zweitens: die Klarheit über das Profil des Nachfolgers – einschließlich seines Alters. Gesucht wurde ein etwa 40-Jähriger.

Weshalb 40?

Weil eine Person in diesem Alter bereits einige Erfahrungen gesammelt, aber noch viele Dienstjahre vor sich hat. Ein 50-Jähriger wäre wohl erfahrener – hätte aber deutlich weniger Zeit, die Gemeinde langfristig zu gestalten. Voraussetzung war auch, als Senior Pastor in einem post-christlichen Kontext gearbeitet zu haben. Sprich: Sie wollten niemanden, der aus dem Biblebelt der USA, also aus einer frommen Blase stammt. Als Pastor einer traditionellen Gemeinde in einem konservativen Umfeld ist man als Leitungsperson einfach anders geprägt.

Damit passtest du genau ins Profil: Die Echo Church liegt nur einen Steinwurf entfernt von den Zentralen der Tech-Giganten Facebook, Google und Apple.

Genau: Das gesamte Umfeld ist von einer sehr progressiven Kultur geprägt, mit der man als Gemeinde lernen muss umzugehen – und die tragfähige Antworten fordert.

Was hat die Staffelübergabe außerdem erleichtert?

Die unmissverständliche Art, mit der Rick mir und Stacie den Staffelstab übergeben hat. Der Wechsel hätte niemals funktioniert, wenn Rick gesagt hätte: Wir leiten die Gemeinde in den nächsten ein, zwei Jahren erst mal gemeinsam – dann könnt ihr mir über die Schulter schauen, und die Gemeinde kann sich an euch gewöhnen. Das hätte aufgrund seines enormen Charismas nie funktioniert. Die Verantwortung musste in vollem Umfang auf uns übertragen werden.

Du leitest jetzt eine Gemeinde mit 30.000 Gottesdienstbesuchern – bei Echo waren es 3.000. Wie macht sich der Unterschied bemerkbar?

Es klingt vielleicht überraschend, aber im Grunde macht es keinen großen Unterschied, ob man eine Gemeinde mit 3.000, 13.000 oder ein paar Tausend mehr leitet. Ein größerer Unterschied besteht darin, wenn man eine Gemeinde mit 1.000 oder 3.000 Menschen leitet. Ab 3.000 aufwärts sind die Dynamiken nämlich recht ähnlich: Man muss die Fähigkeit besitzen, zu vielen Menschen sprechen zu können, eine Gemeinde mit verschiedenen Standorten im Blick behalten, durch Teams leiten können und in der Lage sein, global zu denken. Genau das musste ich bei Echo tun.

Was war bei deinem Saddleback-Einstieg schwerer als gedacht?

Die weltweite Aufmerksamkeit, die diese Gemeinde hat. Und die Medien, die ständig ein Auge auf uns werfen. Damit umzugehen, ist nicht einfach. Stacie hat mich aus meinem Twitter-Account für eine Zeit »ausgesperrt«, damit ich nicht ständig all das lese, was über mich und meine vermeintlichen Motive dort geschrieben wird. In San Francisco konnten wir einfach unserer Arbeit nachgehen – hier werden wir ständig von außen analysiert.

Wie reagierst du auf den Wunsch der Medien nach mehr Aufmerksamkeit?

Es wird sicher die Zeit kommen, in der ich mich der Presse und einer größeren Öffentlichkeit mehr widmen kann. Aktuell sind das nicht meine Prioritäten, und ich halte ich mich bewusst zurück.

Neben der Leitung von Saddleback haben Rick und Kay Warren verschiedene Initiativen auf den Weg gebracht: den PEACE-Plan, mit dem den großen weltweiten Herausforderungen wie Armut, Krankheit, Analphabetismus und spirituelle Leere entgegengetreten wird, sowie die Purpose Driven-Konferenzen auf dem Gemeinde-Campus, um nur einige der vielen Aktivitäten zu nennen. Wirst du diese Verantwortungsbereiche ebenfalls übernehmen?

Diese Entscheidungen sind noch nicht gefallen. Fest steht, dass Rick auch künftig die weltweite Gemeinde auf dem Herzen haben und Saddleback auch weiterhin einen Einfluss auf die Entwicklung der weltweiten Gemeinden haben wird. Dieses Anliegen teile ich mit ihm. Klar ist aber auch: Zunächst muss ich hier vor Ort einen guten Job machen. Andernfalls interessiert es die Menschen in Nah und Fern wenig, was ich ihnen erzähle.

Live erleben kannst du Andy & Stacie Wood beim Leitungskongress 2024 in Karlsruhe.