Die Krise, die auf den Namen ›Corona‹ hört, hat uns in diesem Jahr alle vor eine große Herausforderung gestellt, auch die Kirche: Gottesdienste mit Besuchern durften auf einmal nicht mehr stattfinden. Gruppentreffen auch nicht. Die Altenheimseelsorge war aus Sicherheitsgründen teilweise ausgesetzt, Beerdigungen nur mit wenigen Teilnehmern möglich. Kurz: Die Kirche wurde durch die Pandemie mitten im Herz getroffen.

Dabei war es absolut beeindruckend, wie schnell viele Gemeinden reagiert haben: Gottesdienste online, verschiedene Andachts-›to-go‹-Konzepte, Seelsorge-Hotline, Einkaufsservice ... In Krisen-Situationen kreativ zu werden statt zu resignieren, ist eine große Kompetenz! Und als  Lockerungen möglich waren, wurde wieder prompt reagiert: Gottesdienste im Freien, im Autokino, Konfikurs als Stationenlauf outdoor, Seelsorge-Hotline einstellen, weil niemand angerufen hat ...
Egal, ob analog oder digital – die Kirche hat sich bewegt, sich angepasst und neue Formate der Verkündigung entwickelt. Sie ist damit ihrem Auftrag nachgekommen. Und teilweise auch an die Grenzen der eigenen Kraft gelangt, bei denjenigen, die mutig waren und innovative Schritte gewagt haben.
Da schmerzt es natürlich, wenn man auf  seine ersten digitalen Gehversuche zurückgemeldet bekommt: »Aua, so peinlich war mir meine Kirche noch nie. Seit Jahren schreibe ich über die schräge Kommunikationskultur der Kirche für kirchliches Publikum. Ich bekomme dabei viel Zuspruch, aber es ändert sich nichts. Jetzt bekommen aber zum ersten Mal alle meine außerkirchlichen Freunde zu Gesicht, was die kirchliche  Basis so treibt, und sind fassungslos. (…) Pastoralteams mit Gitarre vor der Kamera, drei Priester, die in Gewändern wie Abba zu dritt eine Prozession durch die Innenstadt machen, und Leute, die nicht predigen können, stellen weltöffentlich zur Verfügung, was schon bisher keiner hören wollte. Priester halten Handpuppen in die Kamera. Aua, es tut weh!«1

»Der unschlagbare Vorteil
digitaler Verkündigung ist, dass
sie Geh-Struktur besitzt, die jeden
genau dort und dann erreicht,
wann er oder sie es braucht.«

Der unschlagbare Vorteil digitaler Kirche

Deutlicher kann man nicht gesagt bekommen, dass Kirche Nachholbedarf hat in Sachen moderner Kommunikation. Doch das ist aus meiner Sicht kein Grund, beleidigt zu sein und den Kopf in den Sand zu stecken, sondern schlicht eine Problemanzeige, die man als Herausforderung annehmen kann. Ja, sogar als Auftrag!

Laut der ad-hoc-Studie der EKD zu digitalen Verkündigungsformaten in der Corona-Krise haben 81% der teilnehmenden Gemeinden digitale Formate angeboten. 78% davon zum ersten Mal.2 Meine Oma hat immer gesagt: Noch nirgends ist ein Meister vom Himmel gefallen! Daher: Es ist gut, dass Kirche sich überhaupt endlich auf dieses Terrain traut.

Denn – Erik Flügge hin oder her: Vergleicht man die Zahl derjenigen, die digital erreicht wurden, mit der Zahl normaler Gottesdienstbesuche, schnellte die Reichweite um 287% nach oben.3

Ob das so bleiben wird, je mehr sich unser Leben ›normalisiert‹ und es durch einen Impfstoff möglich wird, am Sonntag wieder den gewohnten Freizeitaktivitäten wie Familienausflug oder Brunch mit Freunden nachzugehen, ist fraglich. Trotzdem ist durch Online-Formate die Möglichkeit gegeben, räumlich und zeitlich flexibel teilzuhaben. Und genau das entspricht der Lebenswelt der Generation Y bzw. der Digital Natives, die gleichermaßen in der realen Welt des Alltags wie in der virtuellen Welt der Social Media leben und darin eine hybride Identität entwickeln.4

Will man mit jungen Menschen über den Glauben ins Gespräch kommen, kommt man an digitalen Kommunikationswegen, die einen schnellen und einfachen Zugang zu Inhalten des Glaubens vermitteln, nicht vorbei. Der unschlagbare Vorteil digitaler Verkündigung ist nämlich, dass sie Geh-Struktur besitzt, die jeden genau dort und dann erreichen kann, wann er oder sie es braucht.

Die Grundlagen für eine digitale Präsenz der Kirche sind eigentlich klar: Gut aufgebaute und aktuelle Homepage, Facebook-Account (für Menschen über 25) bzw. Instagram-Account (für Menschen unter 25) mit einladenden Bildern. Gegenüber einer Webseite haben Social-Media-Kanäle den Vorteil, dass man Freunde einladen und so potenziell mehr Follower erreichen kann.

Bei Online-Gottesdiensten – egal ob live gestreamt oder nicht – haben sich drei Dinge als essentiell erwiesen: Gutes Licht, guter Ton und kurze prägnante Form. Junge Kolleginnen und Kollegen haben da durchaus gute Ideen entwickelt – schließlich sind sie mit vielen digitalen Tools schon aufgewachsen. Freilich könnten die Online-Schulungen für alle Hauptamtlichen besser sein – aber unter jungen Kolleginnen und Kollegen gibt es jetzt schon viel Potenzial, das quasi als ›natürliche Ressource‹ zur Verfügung steht. Dem kann man einfach Raum geben! Durchschlagend ist der Erfolg überall dort, wo man sich besonders in der Hochphase der Corona-Zeit zusammengetan hat und auch in der Werbung für digitale Verkündigungsformate das Parochialprinzip verlassen hat.

Digitale Kirche funktioniert nun einmal anders als die Parochial-Logik. Digitale Kirche folgt digitalen Funktionslogiken. Tatsächlich funktionieren Kooperationen bislang bei rein ehrenamtlich aufgestellten Teams (z.B. Kindergottesdienst online) besser als in hauptamtlichen Teams. Aber auch da gibt es Bewegung.

Schlüsselfragen

Auf der anderen Seite ist ein Phänomen zu beobachten, das nicht geleugnet werden sollte: Das Bedürfnis, in Zeiten von Social Distancing bisher analog gelebte Nähe durch digitale so gut es geht zu ersetzen. Hier steht v.a. der Wunsch im Vordergrund, den eigenen Pfarrer (als vertraute Person) am Sonntag zu sehen und zu hören. Der Wunsch nach professioneller Umsetzung des Ganzen fällt dahinter zurück. Welcher Weg hier zu gehen ist, kann nicht allgemein entschieden werden. Dies ist eine Frage, die vor Ort zu klären ist – und auch nur dort so geklärt werden kann, dass die Menschen, von denen man sich wünscht, sie mit Online-Gottesdiensten zu erreichen, auch damit zufrieden sind.
Doch egal, welchen Weg man für sich oder seine Gemeinde als passgenau wählt, stehen zwei Schlüsselfragen im Raum, wenn Kirche digital geht.
Erstens: Wie schafft man überhaupt Kapazität für eine gute digitale Präsenz? Um die Frage nach gezieltem, gabenorientiertem Einsatz, veränderten Dienstordnungen und Kooperationen in der Region wird man dabei nicht herumkommen. Und auch nicht um die Frage, die dabei immer am schwersten fällt: Was lassen wir weg, um das Ziel zu erreichen? Sodass wir Zeit und Energie für eine qualitativ hochwertige Präsenz von Kirche und christlichen Inhalten im Netz zur Verfügung haben?
Und mit Blick auf die User der von uns entwickelten Online-Formate stellt sich, zweitens, die Frage: Wie kann es gelingen, dass kirchliche Angebote im Netz wegkommen von einer Einbahnkommunikation vom Sender hin zum Empfänger? In genau diese Wunde hat Erik Flügge in seinem Zitat mit der ihm eigenen Prägnanz den Finger gelegt.
Die erwähnte EKD-Studie gibt an, dass 39% der digitalen Angebote der Kirche die Möglichkeit zur Interaktion geben – durch die Möglichkeit, Gebetsanliegen einzubringen im Live-Chat, eine digitale Kerze anzuzünden oder Feedback zu geben. Das ist gut! Keine Frage. Aber hier müssen wir einfach noch weiterdenken. Soziologische Studien besagen, dass v.a. Menschen, die nach 1985 geboren sind – also die Generation Y und Z – ernstgenommen werden wollen mit ihrem subjektiven Glauben, ihrer Suche nach Sinn und ihrer hybriden Identität.5 Ob und wie es der Kirche gelingt, in Bezug auf das Denken, die Sprache, die Fragen und das Dasein dieser Generationen sprachfähig und dialogbereit zu werden, davon hängt in Sachen Weitergabe des Glaubens (und also auch der Zukunft der Kirche!) viel ab.

1   Erik Flügge, Im Netz verhakelt. Pastoralteams als Whats-App-Gruppe – das geht besser, in: Christ & Welt, Nr. 15, 04/2020.
2   Vgl. www.ekd.de/midi-studie-ergebnisse-kirche-digital-corona-56563.htm
3   Vgl. www.ekd.de/midi-studie-ergebnisse-kirche- digital-corona-56563.htm
4  Vgl. Faix, Indifferente junge Erwachsene erreichen, S. 157.
5  Vgl. Faix, Indifferente junge Erwachsene erreichen, S. 175.