21 Jahre lang war Ulrich Eggers als Vorsitzender im Willow Vorstand. Wir haben ihn gefragt, was ihm aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben ist und welches Potenzial er im neugewählten Präsidium sieht.

„Es geht weder um große Gemeinden noch um große Kongresse –
das sind schöne B-Prioritäten.“

Uli, du blickst auf über zwei Jahrzehnte prägende Amtszeit zurück, in der du einige Höhen und Tiefen erlebt hast. Woran denkst du gerne zurück?

Es gibt Glücksfälle der Geschichte wie die friedliche Revolution 1989. So habe ich es für die kirchliche Landschaft auch bei Willow Creek erlebt, Mitte der 90er Jahre war „unsere“ Zeit einfach reif: Viele Leitende in Landes- und Freikirchen wollten einen missionarischen Aufbruch fördern. Beziehungen bei AMD, der Lausanner Bewegung und Evangelischer Allianz wuchsen – zu genug Vertrauen und Einsicht, dass das am besten gemeinsam geht.

Und dann gab es die Willow-Creek-Gemeinde in den USA mit großer Vision, klarem Fokus und einer Mischung aus Chuzpe und Dienstbereitschaft. Eine Kirche, die sich auch international engagiert: Ich bin super dankbar für dieses glückliche Zusammentreffen und den Einsatz der frühen Pioniere wie Lou Hueneke und Gary Schwämmlein als deutschstämmigen Geburtshelfern bis hin zu Bill Hybels, Nancy Beach, John Ortberg, Greg Ferguson und so vielen anderen. Danke, Gott!

Welche Situationen waren herausfordernd – und für welche bist du dankbar?

Es gab immer Höhen und Tiefen und große wirtschaftliche Risiken durch das schmale „Geschäftsmodell“ der Kongress-Arbeit. Das war immer dünnes Eis und ist durch unser engagiertes Team rund um Wilfried Bohlen, Karl-Heinz Zimmer und heute Thomas Fremdt und Jörg Ahlbrecht gelungen – und natürlich durch die megavielen Ehrenamtlichen und ihre Begeisterung.

Und klar: Der Absturz durch die Missbrauchs- Affäre rund um Bill Hybels, das war der Tiefpunkt. So viel Vision und Leidenschaft, so viel Genie, Begabung und Frucht. Und dann wird das alles aufs Spiel gesetzt – da bleiben heftige Warum-Fragen an Bill, an gute Leitung und Strukturen – aber auch an Gott selbst. Umso dankbarer bin ich heute, dass wir diese Krise überwinden konnten und mehr und mehr zu einer deutschsprachigen Plattform mit internationaler Offenheit geworden sind.

Die kirchliche und gesellschaftliche Landschaft hat sich in den letzten Jahren enorm gewandelt. Wo siehst du in diesem Wandel die Kernkompetenzen, die Kirchen und Gemeinden unbedingt bewahren sollten?

Das ist im Kontext von Willow sehr klar: Kern ist der missionarische Auftrag Jesu und die strategische Rolle von Leitung darin. Das wiederum kann nur gelingen durch tiefe Verwurzelung in der Nachfolge Jesu, persönliche Spiritualität. Und alles entscheidend: Wenn man das Ganze nicht nur gut findet und abnickt, sondern aktiv und geduldig und persönlich LEBT. Darin sehe ich so etwas wie eine lebendige Zukunfts-Versicherung – auch gegen die Gefahren von Polarisierung, Bibel-Vergessenheit und Gemeinde-Egoismus.

Schon immer hat Willow Creek eine breite Zielgruppe gehabt: Die Kongressteilnehmenden kommen aus allen Denominationen und Ländern. Beim LK24 in Karlsruhe war die jüngste Teilnehmerin 14, der älteste 87 Jahre. Eine große Spannung, die es zu halten gilt … Eine Marke, die fast 30 Jahre erfolgreich unterwegs ist, altert. Man gewöhnt sich auch an Qualität. Jeder ist von Natur aus immer eher aufmerksam für den letzten Schrei als für den alten Auftrag – eine der vielen Gefahren für unseren missionarischen Fokus, weil man dann oft ganz schnell wieder bei sich selbst ist statt bei Jesus. Die starke Willow-Verankerung in der Baby-Boomer-Generation hat jetzt die Konsequenz, dass Übergang und Erneuerung angesagt ist – so wie insgesamt in der kirchlichen Szene. Da sind wir aktiv, versprechen verlässliche Qualität und ständige Innovation – aber dabei kann jede und jeder eben auch mithelfen, indem er junge Menschen zu den Kongressen mitnimmt, Ideen einbringt und selbst weiterhin kommt.

 

Wo siehst du für die kommenden Jahre die größten Herausforderungen und Chancen für Leitende und Gemeinden?

Siehe oben: Die Priorität auf unseren Kern-Auftrag und das persönliche Bleiben in Christus ist ständig in Gefahr und immer umkämpft – vor allem durch die andere gute Sache: Sich als Christen und Gemeinden um sich selbst zu kümmern. Diese Gefahr hat viele überzeugende Verkleidungen – aber gemeindlich vital, persönlich von Jesus abhängig und gemeinsam unterwegs bleiben wir nur, wenn wir die missionarische Priorität in Demut, Kreativität und Klugheit LEBEN, also TUN!

Am Besten gemeinsam

„Wir Älteren können den Weg frei machen: Es geht nicht mehr entscheidend um uns, wir sind versorgt – jetzt können wir andere und die Zukunft stark machen."

Apropos Wandel: Was erwartest du dir von der neuen Leitungsstruktur bei Willow? Welche Chancen siehst du durch das Präsidium?

Jüngere Gesichter, mehr Frauen und weiterhin eine übergreifend breite Plattform und offene Vernetzung von Praktikern, das finde ich wichtig! Es ist super fruchtbar, wenn Landes- und Freikirchen, Junge und Alte, Frauen und Männer, Deutschsprachige und Internationale, Kirche und Wirtschaft voneinander lernen – das ist Willow! Und da sehe ich ganz viel faires Miteinander, demütige Lernbereitschaft und ein offenes Hinhören über alle Grenzen hinweg. Wir wollen in der Leitung vorleben, was unsere Kongress-Plattform ausmacht!

Ein wichtiger Fokus in der Arbeit von Willow Creek Deutschland liegt künftig darauf, auch die nächste Generation von Leiterinnen und Leitern anzusprechen. Was können aus deiner Sicht erfahrene Leitungspersonen tun, um die nachfolgende Generation zu unterstützen, ohne sie zu bevormunden?

Das sind – glaube ich – simple Dinge: Sich begegnen, hinhören, kennenlernen, das Mindset verstehen, im Gespräch sein, ermutigen. Die Herausforderung ist oft, dafür im laufenden Betrieb Zeit zu haben und Prioritäten zu setzen. In der missionarischen Leidenschaft können wir uns finden – eine Willow-Kerntugend ist Gemeinschaft ohne Arroganz. Und zugleich können wir Älteren den Weg frei machen: Es geht nicht mehr entscheidend um uns, wir sind versorgt – jetzt können wir andere und die Zukunft stark machen – finanziell, mit offenen Türen, mit strategischem Fokus auf Kinder- und Jugendarbeit und eine kommende Leitungsgeneration.

 

Zum Abschluss – was möchtest du Willow für die kommenden Jahre mit auf den Weg geben?

Ein Missverständnis und eine Versuchung bei Willow war immer die Faszination von Größe. Aber es geht weder um große Gemeinden noch um große Kongresse – das sind schöne B-Prioritäten. Wir brauchen viele, um finanziell zu überleben – aber das Nadelöhr dafür ist unser Auftrag, nicht eine volle Halle ohne klaren Fokus und egal mit wem. Entscheidend ist missionarische Priorität als Frucht persönlicher Nachfolge und mit Blick auf kluge Leitung, eben dafür Interesse zu wecken und Vitamine zu geben. Und wer sein Auto zum Leitungskongress vollpackt, sich auch in Zukunft inspirieren lässt und auch mal unterjährig finanziell unterstützt, der hilft entscheidend mit.