Sein Buch „Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert“ wurde in kürzester Zeit zum Bestseller. Der katholische Geistliche Father James Mallon schildert darin am Beispiel seiner Gemeinde St. Benedict in Halifax, Kanada, wie eine Gemeinde von einer bewahrenden zu einer dynamischen, missionarischen Kirchengemeinde werden kann. Weltweit ist St. Benedict nicht nur für katholische Gemeinden zu einem ­Hoffnungsort geworden – und James Mallon ein gefragter Experte dafür, wie Aufbruch und Erneuerung in traditionellen Gemeinden gelingen kann. Darüber wird er auch beim Leitungskongress 2022 berichten. Hier schreibt er über persönliche Erfahrungen und Aufbrüche: von Halifax in die ganze Welt.

Im Alter von 16 Jahren hatte ich eine lebensverändernde Begegnung mit Jesus Christus. Ich war vorher schon regelmäßig zur Kirche gegangen, mir fehlte aber die persönliche Beziehung zu Jesus. Die plötzliche Begegnung mit ihm in einer Frühlingsnacht 1986 hat mich dann in einem Maße verändert, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte.

Bald merkte ich, dass die Menschen in meiner Gemeinde meine Begeisterung nicht teilten, wenn ich von meiner neuen Beziehung zu Gott erzählte. Sie wirkten sogar ein wenig peinlich berührt. Ich sehnte mich nach Gemeinschaft mit anderen, die Ähnliches erlebt hatten, fand sie aber nicht in meiner Gemeinde, sondern in einer christlichen Bewegung außerhalb unserer Pfarrgemeinde. Jeden Dienstagabend trafen wir uns mit anderen jungen Katholiken; ein dynamischer junger Priester begleitete uns, wir konnten gemeinsam in unserem Glauben wachsen.

»Das Gemeinde-wachstum ­offenbarte zugleich auch meine eigenen Begrenzungen.«

Neue geistliche Dynamik

Es war wundervoll – aber eine Frage ließ mich nicht los: Warum kann diese Dynamik christlichen Lebens nicht die Norm in katholischen Gemeinden sein? Diese Frage hat mich lange begleitet, bis ich im Jahr 2000 zum ersten Mal Pfarrer einer kleinen Gemeinde wurde.

Über die Jahre hatte ich miterlebt, wie viele geistlich erwachte Katholiken ein Gemeinschaftsgefühl in Bewegungen außerhalb ihrer eigenen Gemeinden suchen mussten, weil sie es vor Ort nicht fanden. Auch die Anleitung in der persönlichen Jesusnachfolge geschah oft nicht dort, sondern ebenfalls in diesen Bewegungen. Was, wenn das anders wäre? Was, wenn die hunderttausenden Kirchen auf der Welt tatsächlich die Verantwortung für den Auftrag übernehmen würden, den Jesus jeder Kirche aufgetragen hat: zu allen Völkern zu gehen und alle Menschen zu Jüngern zu machen? Was, wenn der schlafende Riese namens ›katholische Kirche‹ aufwachen und seine Identität annehmen würde?

In meinen ersten Jahren als Pfarrer entdeckte ich ein Werkzeug, um diesen Aufwach-Prozess anzustoßen: den Alpha-­Kurs. Ich wollte dieses Programm so lange einsetzen, bis ich etwas Besseres gefunden hatte. Ich verwende Alpha heute noch immer – weil ich von keinem Werkzeug weiß, das so beständig Früchte trägt aus der investierten Zeit und Kraft. Alpha hilft den Menschen auf verblüffende Weise, Jesus kennenzulernen, die Kraft des Heiligen Geistes und wirkliche Gemeinschaft zu erfahren. Und ganz entscheidend: Es ist ein Werkzeug, das die Kultur einer Kirche gleich mit verändert.

In jeder meiner Gemeinden, in denen ich mit Alpha gearbeitet habe, konnte ich beobachten, wie sie sich von innen her­aus veränderte – weil die Menschen in ihr verändert worden waren. Ich sah sie aufleben: lebenslange Kirchgänger genauso wie Menschen, die mit Kirche zuvor nichts am Hut hatten. Ich sah, wie sie sich in Jesus, seine Gemeinde und seine Mission verliebten. All das kreierte ein wundervolles ›Problem‹: Die Kirche begann zu wachsen und aktiv zu werden.

Das Rad nicht neu erfinden

Das Gemeindewachstum offenbarte zugleich auch meine eigenen Begrenzungen und Inkompetenzen. Aber diese Erkenntnis war das Beste, was mir passieren konnte: Sie zwang mich zu lernen! Ich wandte mich an die einzige Stelle, die ich in Sachen Wissensvermittlung für Gemeindeleitung damals finden konnte: die Leitungsliteratur von Bill Hybels, dem ehemaligen Pastor der Willow Creek Gemeinde, und die Vorträge des jährlichen Global Leadership Summit. Sie erstaunten und begeisterten mich gleichermaßen. Zudem inspirierte mich mein Eingebunden-­sein in Alpha, groß zu träumen. Immer deutlicher wurde, dass es für einen Haupt-
­amtlichen nicht ausreicht, geistlich zu wachsen, um eine Erneuerung der eigenen Pfarrei zu erreichen – eine Gemeinde muss auch gut geleitet sein. Und in der eigenen Leitungsfähigkeit können alle Hauptamtlichen sich weiterentwickeln.

Dabei muss man das Rad nicht einmal neu erfinden, wenn es darum geht, die Erneuerung einer Kirche anzuleiten: An guter Leitungsliteratur, hilfreichen Konferenzen und inspirierenden Best-Practice-Beispielen mangelt es nicht. So war meine Lernkurve riesig – und auch die Anzahl an Fehlern, die ich gemacht habe. Ich weiß jetzt, dass ein Leitender stets selbst wachsen und seine Vorgehensweise permanent an neue Gegebenheiten anpassen muss. Heute leite ich eine große Pfarrei mit zwölf Vollzeitstellen, plus die Leitenden von fast 90 Dienstbereichen und Ausschüssen, die sicherstellen, dass unsere Arbeit funktioniert.

»Hunderte Menschen sind im Glauben gewachsen und geistlich neu aufgeblüht.«

Das A und O: die Kultur verändern

Also entwickelten wir eine Vision für die Gemeinde, investierten gezielt in Führungspersonen und starteten auch hier mit Alpha. Gleich im ersten Jahr haben Dutzende zu einer Beziehung mit Jesus
gefunden. Wir begannen Mitarbeiter einzustellen, die Kollekte stieg, wir veränderten die Musik im Gottesdienst und bauten darin regelmäßig persönliche Erfahrungsberichte über den Glauben ein.

Zugleich haben wir eine zielgerichtete Kampagne gestartet, um die Kultur unserer Pfarrgemeinde zu verändern. Ich habe den Mitarbeitenden erklärt, dass dies und nur dies unser Ziel ist. Denn: Jedes Angebot einer Gemeinde ist nur so gut wie die Kultur dieser Gemeinde. Sogar ein erfolgreiches Werkzeug wie der Alpha-Kurs wird nur sehr begrenzte Auswirkung haben, wenn die Werte einer Pfarrgemeinde sich von den Werten innerhalb eines Kursprogramms unterscheiden. Alpha legt großen Wert auf Gastfreundschaft, gute Musik, starke Referate und die verändernde Erfahrung von Gemeinschaft in Kleingruppen. Auch die, die nicht zur Kirche gehen, können einen solchen Kurs besuchen und eine Bekehrung erfahren. Später kommen sie dann in den Gottesdienst – und erleben etwas völlig anderes als beim Kurs zuvor! Missionarische Erneuerungsprogramme zu starten ohne die notwendige kulturelle Umwandlung unserer Gemeinden, wird nur dazu führen, dass man uns unredlicher Werbung bezichtigt. Es sind die gelebten Werte in der ganzen Gemeinde, die eine Gesundung herbeiführen, nicht die bloße Nachahmung der erfolgreichen Praxis einer anderen Gemeinde.

In meinem dritten Jahr als Pfarrer von St. Benedict war Erstaunliches geschehen: Hunderte Menschen sind im Glauben gewachsen und geistlich neu aufgeblüht. Viele Dienstbereiche kamen hinzu – alles in rasantem Tempo. Dann spürte ich ein neues Problem: Mir fehlte die Strategie für die weitere Zukunft: Der Ansatz, der uns bis hierher gebracht hatte, würde uns nicht noch weiterbringen.

Konzentration auf das Wesentliche

In den nächsten zwei Jahren sahen wir uns den wohl schwierigsten Herausforderungen gegenüber – die uns aber auch die größte Veränderung brachten. Wir konnten den nächsten Schritt der Gemeinde-Erneuerung gehen. Dazu strukturierten wir unser Leitungsmodell um. Nun musste ich in unserem Leitungsteam nur noch eine kleine Anzahl von Mitarbeitenden leiten, die ihrerseits den Leitenden der verschiedenen Dienstbereiche der Gemeinde unter die Arme griffen. Außerdem reduzierten wir drastisch unsere Gemeindeaktivitäten und konzen-
trierten uns auf die wirklich wichtigen Dinge. Das brachte uns unserem Ziel als Gemeinde näher: »Jünger zu formen, die begeistert die Mission Jesu Christi leben«. Nach der Veröffentlichung meines Buches (»Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert«, 2014) trudelten Anfragen aus der ganzen Welt ein. Zuerst war es aufregend. Dann war es erschöpfend. Wir entschieden uns, eine Konferenz in unserer Gemeinde zu veranstalten, um uns all dem Interesse auf einmal widmen zu können. Die Resonanz war überwältigend: Im Juni 2016 reisten 600 Menschen aus 11 Ländern zu uns nach Halifax. Bei dieser Konferenz war der Höhepunkt nicht die fantastische Musik oder die großartigen Redner, sondern die persönlichen Zeugnisse unserer Gemeindemitglieder, die davon berichteten, wie Jesus ihr Leben verändert hatte.

Divine Renovation Logo
Divine Renovation wurde von Father James Mallon 2014 gegründet. Neben dem Hauptsitz in Kanada unterhält die Organisation Büros in den USA, Australien und England. In England verfolgen 500 
Parochien den Divine Renovation-Ansatz.

Päpstliche Aufrufe

In diesen Jahren hatten die jeweiligen Päpste die Kirchen dazu aufgefordert, die Evangelisierung als Hauptaufgabe zu betrachten. Wie die Päpste über die Neuevangelisierung sprachen, war höchst mitreißend. Einziges Problem: Wieder waren es nur die Bewegungen innerhalb der Kirche, die diesem Aufruf Gehör schenkten. Die Ortsgemeinden selbst schienen wenig zu tun.

2010 bat mich mein Bischof, die Leitung der neu gegründeten St. Benedict-Pfarrei in Halifax zu übernehmen. Drei kleine Gemeinden waren geschlossen und durch einen Neubau zusammengelegt worden: Ein starkes Zeichen dafür, die Infrastruktur der Mission unterzuordnen. Häufig geschieht nämlich genau das Gegenteil. Erneuerung kann aber nur gelingen, wenn Strukturen, die nicht mehr dem Auftrag dienen – oder ihn sogar verhindern – aus dem Weg geräumt werden. Das können auch Verhaltensweisen, Ideen oder theologische Perspektiven sein, die unsere Fähigkeit behindern, den Sendungsauftrag Jesu zu erfüllen.

Die physische Veränderung durch den Neubau von St. Benedict bewirkte ein offenes Nachdenken darüber, wie wir an diesem neuen Ort Kirche sein wollten. Ich stellte meiner Gemeinde folgende Frage: »Was wird die Kräfte, die die Zusammenlegung unserer Kirchen nötig machten, davon abhalten, einen weiteren Niedergang zu verursachen, wenn wir auch an diesem Ort alles so machen wie zuvor?« Die Antwort: Nichts!

35.000 Pfarrgemeinden inspirieren

Zwei Jahre später ist ›Divine Renovation‹ zu einer eigenständigen Organisation geworden. Wir beschäftigen inzwischen 15 Personen in Halifax und einen Landes-Koordinator in Großbritannien. Neben regelmäßigen Konferenzen bieten wir heute einen Podcast an, ein Online-Coaching-Netzwerk für Gemeinden, die Unter­stützung in ihrem Veränderungsprozess benötigen, veröffentlichen Arbeitsmaterialien und vieles mehr.

Unser Ziel für die nächsten 10 Jahre ist es, 35.000 Pfarrgemeinden zu inspirieren und zu befähigen, missionarisch zu werden, sodass jährlich zwei Millionen Menschen zu Jesus finden. Durch Gottes Hilfe sind wir auf dem besten Weg, dass dieses Ziel Realität wird.

Zu Beginn unserer Gemeinde-Veränderung lautete das Ziel, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Traum – aus einer bewahrenden Gemeinde eine missionarische Gemeinde zu formen – möglich ist. Denn wenn es in Halifax geschehen konnte, dann konnte es überall geschehen. Bei unserer nächsten Konferenz 2018 waren die persönlichen Erfahrungsberichte wieder der wichtigste Aspekt – aber dieses Mal mit einem wesentlichen Unterschied: Es gab nun auch Berichte von Menschen aus der ganzen Welt, die erlebt hatten, wie ihre eigenen Kirchen durch die Umsetzung unserer Erfahrungen und Prinzipien grundlegend verändert worden waren. Ich bin darum überzeugt, dass der schlafende Riese ›katholische Kirche‹ erwachen wird: und zwar dann, wenn wir Gemeinden dabei helfen, mutig das Evangelium zu verkünden, sie in ihrer Leitungs­kompetenz fördern und wenn sie sich vom Heiligen Geist ermächtigen lassen.

Wasserquellen in der Wüste

Seit ich Pfarrer bin, habe ich an Konferenzen innerhalb und außerhalb meiner Diözese teilgenommen.  Am Ende spürte ich immer zwei starke Reaktionen. Die erste: Ich war zutiefst neu ergriffen, war wieder neu entbrannt und erfüllt von Leidenschaft. Gleichzeitig jedoch fühlte ich mich entmutigt und überfordert. Ich brannte vor Eifer, endlich aufzubrechen, wusste aber nicht, wo ich anfangen sollte. Ich sah auf die Hindernisse, die vor mir lagen und fühlte mich zugleich er- und entmutigt.

Inzwischen weiß ich: Vision – auch für eine gut laufende Gemeinde – beginnt mit deinem Gefühl von Unzufriedenheit darüber, wie die Dinge sind. Dabei geht es nicht darum, Schuldige zu finden oder zu kritisieren; es geht um Hoffnung im theologischen Sinn. Die Dinge können besser werden, weil wir den Gott verehren, der von den Toten auferweckt und Wasserquellen in der Wüste entspringen lässt. Nur wenn wir eine tiefgehende Leidenschaft für unsere Zukunft besitzen, werden wir eine Vision entwickeln, die andere inspiriert.

Dazu ist es wichtig, regelmäßig auf die zu schauen, die es besser machen als wir. Sonst hören wir auf unzufrieden zu sein und werden selbstzufrieden. Eine selbstzufriedene Gemeinde ist eine mittelmäßige Gemeinde. Sie wird niemals wirklich missionarisch sein.

Rick Warren sagte einmal in echter Demut: »Gott hat mich benutzt, Großes zu tun, weil ich das von ihm erwartete.« Diese Erwartung wurzelt natürlich nicht in dem, wer wir sind, sondern wer Gott ist. Glaubst du, dass Gott Großes an dir und durch dich tun kann? Glaubst du, wenn du auf deine armseligen Brote und Fische starrst und dem Herrn in deinem Herzen sagen hörst: »Gib ihnen zu essen«, dass er das Wenige, das du hast, vervielfachen wird?

 

Übersetzung: Joachim Faimann