Wir alle haben einen Traum: dass Kirche und Gottesdienste relevant sind für die Menschen in unserer Stadt. Eine Sprache, die dabei alle Menschen anspricht, ist Kreativität. Musik, die Herzen bewegt. Ein Bild, das mein Innerstes spiegelt. Ein Theaterstück, das mich zum Lachen bringt. Wir alle wünschen uns, dass unsere Gottesdienste vor Kreativität strotzen und Menschen so noch tiefer und vielseitiger Gott begegnen. Dieser Traum bewegt mich seit Jahren. Ich habe ihn zu meinem Herzensthema und Beruf gemacht. Wie kann es gelingen, Kreative für gemeinsame Projekte zusammenzubringen und zu einer florierenden Community aufzubauen, die regelmäßig die Gottesdienste gestalten? Meine Top 5 lauten:

Allen Kreativen möchte ich sagen: Die Welt braucht euch und eure Kunst. Hört nicht auf, sie ­ mitzu­­gestalten!

1. Vertrauen

Vertrauen ist vielleicht ein ungewöhnlicher ­erster Punkt. Aber er ist tatsächlich der wichtigste. Ich möchte das durch meine eigene Geschichte erläutern: Ich hatte das erste Kreativprojekt in meiner Kirche initiiert. Mit einer Handvoll Tänzer hatten wir eine Choreografie entwickelt und wollten sie als Teil der Gottesdienstgestaltung einbringen. Aber damit unser Projekt überhaupt auf die Bühne kommen konnte, sollte es ein Casting geben. Also zeigten wir als Tanzgruppe in den Büroräumen der Kirche, die gleichzeitig unsere Proberäume waren, was wir vorbereitet hatten. Ich kann mich noch lebhaft erinnern: Die gesamte Kirchenleitung war anwesend und begutachtete unsere Performance mit – nach meinem Gefühl – kritischen Blicken. Eine skurrile und unangenehme Situation.

Sie war in etwa so, als wenn du eine Suppe löffelst und versuchst, auf keinen Fall zu kleckern. Und während du das tust, sitzt dir jemand gegenüber, der dich kritisch beäugt. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass du die Suppe verschüttest …?

Na, irgendwie haben wir es durch dieses Casting geschafft. Im Anschluss an die Probevorführung beantwortete ich noch einige Fragen zu unserer Motivation und den Gedanken zur Choreografie. Dann war der Spuk vorbei. Aber was danach geschah, sollte die Grundlage für den Start einer florierenden Kreativ­gemeinschaft legen. Der Pastor nahm mich nämlich beiseite und sagte mir: »Ab sofort kannst du alle Kreativprojekte initiieren, die du machen willst. Du hast die Vision unserer Kirche verstanden und brauchst mir deshalb vorab nichts mehr zu zeigen und das Okay einzuholen!«

Damit hatte ich nicht gerechnet. Was war geschehen? Mein Pastor hatte mir – bildlich gesprochen – einen Zettel überreicht, auf dem stand: »Du hast die Erlaubnis, diese Kirche kreativ mitzugestalten.« Und genau das haben wir getan. Nach kurzer Zeit waren wir eine große Gruppe von Kreativköpfen, die an den Sonntagen ein entsprechend kreatives Feuerwerk entfachte. Damit die Begabungen von Kreativen zum Zug kommen können, muss die Gemeindeleitung ihnen ihr Vertrauen aussprechen. Dieses Vertrauen ist das A und O.

Arbeit als Regisseurin und Tänzerin beim Filmdreh für das Projekt "let go", mit Zippora und Jonathan Osenberg

2. Freiheit

Dieser zweite Punkt ist weniger überraschend. Denn Kreative sind bekanntlich freiheitsliebende Menschen, die nicht gern in eine Box gesteckt werden. Freiheit ist allerdings erst dann effektiv und wertvoll, wenn sie einen klaren Rahmen erhält. Was heißt das? Eine Erfahrung soll das verdeutlichen: An einem Sonntag drehte der Predigttext sich um die biblische Geschichte von Simson und Delilah. Ich bat eine sehr begabte Maskenbildnerin, einen unserer Schauspieler in Simson zu verwandeln. Er sollte dabei als Simson mit ausgestochenen Augen an einer Säule gefesselt auf der Bühne stehen.

Die Umsetzung war ein voller Erfolg! Niemand im Saal würde eine so authentische Darstellung der Szene je vergessen. Wir hatten nur eine Sache übersehen: An diesem Sonntag war dummerweise im Gottesdienst eine Kindersegnung geplant. Es saßen also überdurchschnittlich viele Familien mit Kindern und Angehörigen im Saal. Verständlicherweise kam der Prediger gehörig ins Schwitzen. Die Qualität der kreativen Umsetzung war hervorragend – der Rahmen aber leider völlig unpassend. Seit jenem Sonntag gibt es bei uns ein Abstimmungstreffen zwischen den Planern und den Akteuren der Gottesdienste. So können wir sicherstellen, dass sich die kreativen Inhalte in das Gesamterlebnis einfügen.

Den Rahmen für das kreative Wirken im Gottesdienst sollte die Person setzen, die die Gesamtverantwortung für die Gottesdienste hat. Wie groß oder klein dieser Rahmen ist, muss jede Gemeinde für sich entscheiden. Vermutlich wird man zu Beginn ein wenig damit experimentieren. Der Rahmen ist zu klein, wenn Kreative nur fest vorgeschriebene Beiträge 1:1 umsetzen dürfen und keinen Spielraum für Entwicklungsprozesse haben. Der Rahmen ist zu groß (oder unklar), wenn Kreative völlig freie Hand haben. Dann kann es schnell passieren, dass die Elemente eines Gottesdienstes nicht mehr aufeinander aufbauen und ein Eigenleben entwickeln. In beiden Fällen wird langfristig die Motivation der Kreativen sinken, diesen zu kleinen oder zu großen Rahmen zu bespielen. Klare Rahmenbedingungen schränken nicht ein, sondern motivieren, den Freiraum gezielt zu gestalten.

3. Leitung

Überall ist zu beobachten: People follow people. Genauso gilt: Kreative folgen Kreativen. Die Hauptamtlichen einer Gemeinde können den Ball zwar ins Rollen bringen, aber dann sollten sie die Verantwortung an eine geeignete Person abgeben, die die lose Ansammlung von Kreativen zu einer attraktiven Gemeinschaft formt. Durch Beobachtung kann man rasch erkennen, wer diese Person sein könnte: Es sind Menschen, die Verantwortung übernehmen, Projekte initiieren, Menschen zusammenbringen, deren Meinung von vielen gehört und geschätzt wird. Diese Person mit Leitungsverantwortung zu betrauen, bedeutet auch, ihr Ressourcen zur Verfügung zu stellen, Entscheidungskompetenzen zu übertragen und in ihrem (Leitungs-) Wachstum zu fördern.

Als ich zur Leiterin für den Kreativbereich im ICF München ernannt wurde, hatte ich das Gefühl, dass viele Kreative nur darauf gewartet hatten, dass jemand die Initiative ergreift. In meiner Leitungsaufgabe habe ich mich an folgendem Leitfaden orientiert:

  • L-Leiten
  • T-Teambuilding
  • O-Output

Leiten bedeutete für mich hauptsächlich, die Ziele zu definieren, auf die wir gemeinsam hinarbeiten wollten. Unsere Ziele waren nicht nur Projekte; wir wollten auch in unserer Gottesbeziehung wachsen und als Freunde gemeinsam Leben und Glauben gestalten. Das Team zu fördern, war im Grunde leicht. Jeder brachte seine Stärke ein. Die einen organisierten die Treffen, andere schrieben Konzepte, nähten Kostüme, bastelten Requisiten, drehten Filme, schrieben Lieder oder kochten für die Gruppe. Weil wir damals als Kreativteam noch in unserer Sturm-und-Drang-Phase waren, haben wir so viel Output generiert, wie wir nur konnten. Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, gewissenhafter mit unseren Zeit- und Energie-Ressourcen zu haushalten, und haben größere Projekte auf eins pro Monat beschränkt.

Wenn Leitungsverantwortliche einer Kirche also darauf achten, dass der oder die Verantwortliche des Kreativteams das L-T-O-Prinzip beachtet, fördern sie damit die Entwicklung eines gesunden Kreativteams.

 4. Plattformen

Es ist enorm wichtig, neben dem Gottesdienst noch andere Plattformen für Kreativköpfe zu schaffen. Wenn der Gottesdienst der einzige Ort ist, an dem Kreative ihr Potenzial entfalten können, beschränkt das ihr Wachstum und den Ausdruck ihres künstlerischen Gestaltens.

Ich saß im Kopierraum unseres Gemeindebüros. Alle anderen Räume waren belegt, weil unsere Kirche wuchs und wuchs. Vor mir saß Amanda* auf einem Stapel Nachfüllpacks von DIN A4-Papier und schaute mich mit Tränen in den Augen an. Ich hatte ihr gerade für das Vorsingen gedankt, ihr dann aber erklärt, dass sie leider nicht Teil des Worship-Teams werden könne. Die Ansprüche, um unsere wachsende Kirchengemeinde im Lobpreis anzuleiten, war mittlerweile stark gestiegen. Als Amanda sichtlich enttäuscht den Kopierraum verließ, fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat. Ich hatte einen wundervollen Menschen – der noch dazu gut singen konnte – weggeschickt: mit dem Gefühl, in unserer Kirche keinen Platz zu haben und von Gott nicht gebraucht zu werden.

Diese Erkenntnis war ein Schock für mich – und zugleich ein Antrieb, in den nächsten Jahren zahlreiche neue Plattformen zu starten. Damit unser Traum von einer Kirche, in der Menschen aufblühen und ihr Potenzial entfalten, realisiert werden konnte, bedurfte es neuer Gestaltungsplattformen. So entstanden Kunstaustellungen, eine offene Bühne, ein Gospelchor … Die monatlichen Teamtreffen boten reichlich Möglichkeiten, sich einzubringen. Und wir legten einen Schwerpunkt darauf, dass etablierte Kreative Trainees an die Hand nahmen, um ihnen ihr Wissen zu vermitteln.

Leitungsverantwortliche von Gemeinden sollten überlegen, wo neben dem Gottesdienst weitere Plattformen geschaffen werden können, auf der Kreative sich ausprobieren und lernen können. Dort können auch künstlerische Ausdrucksformen, die vielleicht nicht in einen Gottesdienst passen, eine Chance erhalten, gehört und gesehen zu werden.

 

5. Zuhause

Schließlich mein Herzenspunkt: Im Laufe der Jahre habe ich erlebt, dass sehr viele Kreative in die Kirchen kommen – aber mindestens genauso viele auch wieder gehen. Wir alle stehen vor der großen Herausforderung, Kirche als geistliches Zuhause zu gestalten. Ich nenne es bewusst ein Zuhause, weil unsere Welt genügend Events anbietet, die bestimmte Zielgruppen begeistern sollen. Aber es gibt nur wenige Orte, die uns eine ehrliche Gemeinschaft bieten und ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln – unabhängig von Herkunft und Status.

Die Kirche braucht die Kreativen, um neue Impulse zu erhalten und relevant zu bleiben. Die Kreativen brauchen aber auch die Kirche, um echte Verbundenheit zu erleben und ein Zuhause zu finden. Was macht ein geistliches Zuhause für Kreative aus? Wie können sie Anteil an der Gestaltung dieses Zuhauses haben? Darüber müssen wir uns vielerorts noch intensiver austauschen. Fest steht: Ein Zuhause ist dort, wo man man selbst sein kann. Man selbst kann man nur da sein, wo es viel Liebe und Gnade gibt. Allen Leitungsverantwortlichen möchte ich zusprechen: Ihr habt die Schlüssel in der Hand, um die Tür zu göttlicher Kreativität aufzuschließen. Lasst uns die Türen und Herzen weit öffnen für Neues und Überraschendes! Allen Kreativen möchte ich sagen: Die Welt braucht euch und eure Kunst. Hört nicht auf, diese Welt mitzugestalten! Dort, wo ihr seid.

* Name geändert