Auf einer Konferenz für Gemeindegründer wurden Bill Hybels, seine Frau Lynne und die beiden Kinder, Shauna und Todd, interviewt. Ungewohnt persönlich sprachen die vier über die Schwierigkeiten einer Pastorenfamilie und welche Lösungen sie im Laufe der Jahre gefunden haben.

Lynne, wenn du an die Anfangszeit von Willow denkst, als eure Kinder noch klein waren, was hat da funktioniert und was hat nicht geklappt?

Lynne: Um das zu beantworten, muss man vor allem zwei Dinge betrachten. Zum einen haben Bill und ich 1974 geheiratet, als wir 22 Jahre alt waren und unsere gesamte Leidenschaft der Jugendarbeit gewidmet haben. Nur ein Jahr später entschieden wir uns dazu, die Willow-Gemeinde zu gründen. Wieder nur ein Jahr später, 1976, wurde schon Shauna geboren. Eine junge Ehe, eine junge Gemeinde und ein noch jüngeres Kind – das war viel. Todd kam 1979 dazu und in demselben Jahr gab es auch noch eine große Gemeindekrise. Die Zeiten waren chaotisch. Auf der anderen Seite hat das viel mit Bills und meiner Persönlichkeit zu tun, die total unterschiedlich ist und deswegen nicht gerade einfach zu vereinbaren. Bill wuchs unter einem sehr dominanten Vater auf und war es gewohnt, sich an Grenzen zu halten und daran zu orientieren. Ich wuchs in einer Familie auf, in der Grenzen nicht nötig waren, weil wir sehr sensibel miteinander umgingen und aufeinander Acht gaben. Bill wusste genau, was seine Gaben und Stärken waren. Ich aber wusste nur, dass ich Menschen helfen wollte, aber nicht wie, und hatte auch keine Ahnung, worin ich gut war. Kurzum: Wir waren total unterschiedlich geprägt und haben deswegen auch ganz anders gedacht, gefühlt, gehandelt.

»Wenn etwas leidet, dann muss es die Gemeinde sein, nicht die Kinder.«

Ehevorbereitungskurse gab es damals noch nicht, also waren wir mit diesen Herausforderungen auf uns allein gestellt, und das war echt schwer. Wir hatten Angst, was es für unsere Kinder bedeutet, in einer Pastorenfamilie aufzuwachsen, denn uns war bewusst, dass uns der Gemeindeaufbau jede freie Sekunde fordert, wenn wir nicht einen ganz klaren Rahmen setzen. Als Pastoren enttäuscht man immer jemanden in der Gemeinde, weil man nie jedem gerecht werden kann. Aber unseren Kindern und ihren Bedürfnissen wollten wir gerecht werden. Deswegen entschieden wir uns von Anfang an dazu: Wenn etwas leidet, dann muss es die Gemeinde sein, nicht die Kinder. Auch wenn es sich hart anhört, aber Menschen können sich eine neue Gemeinde suchen. Kinder aber haben nur eine richtige Familie.

Bill, wie bist du mit diesen Spannungen zwischen Ehe, Kindern und Gemeindearbeit umgegangen?

Bill: Auf der einen Seite wollte ich Gottes Berufung, Willow zu gründen, voller Ehre und Dankbarkeit nachgehen. Auf der anderen Seite wollte ich der beste Vater und Ehemann sein. Jesus sagt, wenn man seine Hand an den Pflug legt und sich umdreht, ist man es nicht wert, ein Nachfolger Christi zu sein. Diese Worte habe ich sehr ernst genommen. Aber ich habe auch die Worte über Ehe und Familie sehr ernst genommen. Für mich war klar: Ich werde nicht meine Ehe beenden. Ich werde nicht meine Kinder verlassen. Nach unserem dritten heftigen Streit haben Lynne und ich gesagt: Scheidung kommt für uns nicht in Frage. Auch wenn es unglaublich schwer ist, wir werden einander nicht den Rücken kehren. Und zu Gott habe ich gesagt: Wenn du diese Berufung nicht zurücknimmst, werde ich der Gemeinde mit all meiner Kraft und Seele dienen. Wenn man also diese grundsätzlichen Überzeugungen im Herzen hat, muss man einen Weg finden, sie miteinander zu vereinbaren. Etwas davon aufzugeben ist meiner Meinung nach, ohne das respektlos zu meinen, feige.

Kommen wir zu euch Kindern. Wie war das für euch?

Todd: Ich bin jemand, der eher hinter den Kulissen arbeitet. Aber etwas anderes haben meine Eltern auch nie von mir verlangt – sie haben mich stets dazu ermutigt, meinen Platz dort zu suchen, wo ich wirklich hinmöchte. Das hat mir sehr geholfen.

Gab es Rebellion als Teenager?

Shauna: Ich bin da ganz anders als mein Bruder und ja, in meiner Teenagerzeit habe ich wie wild rebelliert. Ich habe mich gefragt: Bin ich Teil dieser Familie, ganz gleich, was auch kommt? Werde ich aus der Familie ausgeschlossen, wenn ich Dinge tue, für die ein Angestellter in einer Gemeinde freigestellt werden würde? Ist meine Rolle in der Familie abhängig von meinem guten Benehmen oder bin ich auch mit meinen Macken voll und ganz akzeptiert? Und auch meine Gemeinde habe ich gefragt: Könnt ihr mit mir umgehen, auch wenn ich nicht perfekt bin? Überraschend war, dass weder die Familie noch die Gemeinde diesem Widerstand nachgab. Meine Eltern waren so geduldig und gnädig zu mir. Sie gaben mir den nötigen Raum, um mich selbst zu finden. Zwischen meinem 18. und 22. Lebensjahr hatte ich eine Art Gemeindekrise. Ich wollte weder in den Gottesdienst gehen, noch in einem Dienstbereich mitarbeiten. Ich glaubte zwar noch an Gott, aber ich stellte vieles in Frage, wie wir in der Gemeinde diesen Glauben lebten. Ich wollte herausfinden, wie ich ganz persönlich meinen Glauben definiere und nicht die Gemeinde, aber dafür musste ich mich von ihr distanzieren. Meine Eltern sagten kein einziges Mal: »Kannst du dir vorstellen, in was für eine Lage du mich als Pastor bringst?« Oder der Klassiker: »Was denken nur die anderen jetzt über uns?« Stattdessen sagten sie: »Allen voran geht es um dich. Ganz gleich, wie du dich entscheidest und welchen Weg du für dich findest – du bleibst immer Teil dieser Familie und wir bleiben an deiner Seite.« Heute habe ich selbst Kinder und bin mir bewusst, wie sehr sich meine Eltern zurückhalten mussten, welche Ängste sie gehabt haben müssen und wie viel sie wohl gebetet haben. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar.

Eure Familie liebt Traditionen. Warum?

Bill: Wenn man etwas Neues aufbaut, eine Gemeinde oder ein Unternehmen oder etwas ganz anderes, befindet man sich in einer enorm unsicheren und herausfordernden Zeit. Traditionen und Termine, die man fest einplant, helfen einem, mehr Sicherheit und Boden unter den Füßen zu spüren. Das gilt auch für die Familie, deshalb waren Familienurlaube absolut heilig, die wir ein Jahr im Voraus im Kalender eingetragen haben. Wir sind immer an einen Ort gefahren, den wir alle liebten. Ich wusste, dass ich während des Jahres mit hohem Tempo unterwegs sein würde, was für die Familie oft eine hohe Belastung darstellte. Im Juli und August habe ich dann das Tempo herausgenommen und mich ganz der Familie gewidmet. So konnten wir Liebe und Vertrauen stärken – das war wichtig, um uns auf das nächste Dienstjahr vorzubereiten. Wir haben lange Strandspaziergänge unternommen und sind Segeln gegangen – und auch heute gehe ich noch an dem gleichen Strand mit meinen Enkeln spazieren.

Lynne: Eine Tradition, die banal scheint, mir aber extrem viel bedeutet: Jedes Mal, wenn sich jemand aus unserer Familie verabschiedet, weil er zum Beispiel verreist, schreiben wir am Ende der E-Mail oder sagen ihm noch einmal ganz bewusst: »Hab dich lieb!« Das machen wir bis heute und es bringt mein Herz immer noch zum Schmelzen, wenn ich das höre oder lese.

»Es gibt keinen Ersatz für die liebevolle Zuwendung eines Vaters.«

Bill: Da möchte ich kurz einhaken: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der ich nie die Worte »Ich liebe dich« gehört habe und ich kannte auch so gut wie keine körperliche Zuneigung. Als ich selbst Kinder bekommen habe, stand ich vor der Entscheidung: Entweder mache ich es genauso oder aber ich schlage einen neuen Kurs für unsere Familie ein. Es gibt keinen Ersatz für die liebevolle Zuwendung eines Vaters und man kann sich nicht damit herausreden, indem man sagt: Ich wurde nicht geliebt, deswegen kann ich jetzt auch nicht lieben. Für so etwas gibt es die Seelsorge. Auch wenn es lange dauert, bis du deinem Kind sagen kannst, dass du es liebst: Du musst deinen Kindern nicht das weitergeben, was du an Schlechtem erlebt hast. Das ist das Schöne an der Erlösung. Auch wenn ich es nicht empfangen habe, kann ich es dennoch weitergeben. Jeden Abend, wenn ich Todd zu Bett brachte, habe ich ihm gesagt: »Wenn ich mich zwischen all den kleinen Jungen auf der Welt für einen entscheiden müsste, würde ich immer dich wählen.« Dann gab ich ihm einen Gute-Nacht-Kuss und betete. Und ich bin sehr dankbar, dass ich mich für diesen neuen Weg entschieden habe.

Eure Eltern wollten euch bewusst ein Vermächtnis hinterlassen. Gibt es etwas, was ihr an eure Kinder weitergeben wollt?

Shauna: Ich bin ein Gemeindemensch. Mein Leben – auch als Christin – funktioniert nicht, wenn wir nicht in einer Gemeinde eingetaktet sind, in einer Gemeinschaft der Gläubigen, die ihr Leben miteinander teilen. Also möchte ich auch meinen Kindern mitgeben, stets Teil einer Ortsgemeinde zu sein. Das versuche ich auch vielen anderen jungen Pastoren zu vermitteln, die ich treffe.

Todd: Ich bin noch Single – wenn ich selbst eine Familie habe, würde ich wollen, dass sie so läuft wie meine Familie. Eine Familie, die wie wir viel Zeit miteinander verbringt und die Nuancen der unterschiedlichen Persönlichkeiten akzeptiert und wertschätzt. Eine Familie, die miteinander Spaß hat und gemeinsame Familientraditionen wertschätzt und die auch zur gleichen Gemeinde geht.

Bill, gibt es etwas, dass du den Menschen am Ende dieses Interviews mit auf den Weg geben möchtest?

Bill: Ja, das möchte ich. Es gibt eine Bibelstelle in Maleachi, die mich mein Leben lang begleitet: Als die Menschen zu ihren Herden gingen, hielten sie nicht nach dem besten Lamm Ausschau, um es Gott zu opfern, sondern sie wählten das schwächste und kränkste aus, weil es für sie ohnehin keinen Wert mehr hatte. Maleachi sagte daraufhin: Ihr gebt Gott das Unbrauchbarste, nur das habt ihr für ihn übrig, der euch immer nur das Beste gibt. So wie er uns eines Tages sogar seinen Sohn gab, so sollen auch wir ihm unser Bestes geben. Für mich bedeutet dieser Text übertragen: Ich möchte mein Bestes für meine Familie geben. Junge Pastoren wollen immer gerne wissen, auch wenn sie sich kaum trauen, danach zu fragen: Was ist das Minimum an Zeit und Energie, das ich in meine Familie investieren muss, um nebenbei eine großartige Gemeinde aufzubauen? Ich stelle ihnen die Gegenfrage: Warum fragst du nicht, wie du der absolut beste Ehemann und Vater sein kannst? Mit 20 oder 30 Jahren konnte ich das auch noch nicht so sehen, aber ich bin jetzt 65, leite Willow seit 42 Jahren und die Ziellinie ist in Sicht. Was bleibt dir, wenn du von deinem Pastorenleben Abschied nimmst und keine intakte Familie hast? Deshalb gilt es Gott nicht nur das Beste in der Gemeindearbeit zu geben, sondern auch in der Ehe und der Erziehung der Kinder.