Meine berührendste »Willow«-Begegnung

Meilenstein #1

Ich sitze im Amt eines Kirchenmannes. Gespräche mit Leitenden von Gemeindeverbänden, Amts- und Werkeleitenden, Landesbischöfen, Oberkirchenrätinnen und -räten oder EKD-Verantwortlichen gehörten immer zu den Vorbereitungen der Kongresse. Beim Kaffee kommen wir ins Erzählen.

Er fragt mich, was das Besondere an der Willow-Gemeinde ist, dass sie über einen so langen Zeitraum auch in Deutschland Thema ist. Ich erzähle von der Ausrichtung auf kirchenferne Menschen, von der Arbeit, die Menschen erreichen und in der Nachfolge Jesu stärken möchte. Und ich erzähle vom sozial-diakonischen Fokus, davon, dass Willow als Ortsgemeinde Hoffnung in die Umgebung ausstrahlen will, weil Christus in ihr lebt.

Er beginnt von sich zu erzählen. »Wie wichtig Gemeinde vor Ort ist, merkten wir nach meiner Berufung hierher an den neuen Dienstsitz.« Als Ehepaar versuchten sie Anschluss an eine Gemeinde in der Nähe ihres Wohnortes zu finden. Vergeblich. »Wir wurden nicht wahrgenommen und fanden wenig, was unseren Glauben gestärkt hätte.« Sie wechselten die Gemeinde. Gleiches Ergebnis. »Zurzeit gehen wir hin und wieder in ein neues Gemeindeprojekt einer anderen Kirche«, sagt er. »Es ist aber traurig, wenn man in der eigenen Kirche keine geistliche Heimat findet.«

Ich höre das Bedauern in seiner Stimme. Und spüre zugleich eine Sehnsucht: dass Kirche mitten in dieser Welt ein Ort ist, an dem Menschen dem lebendigen Gott und sich untereinander herzlich und barmherzig begegnen. Diese Begegnung bewegt mich bis heute tief. Zugleich verdeutlicht sie den Antrieb für die Willow-Arbeit: Sie soll dazu beitragen, dass Gemeinden ihr volles Potenzial entfalten können.

Der bedeutendste Willow-Kongress für mich

Meilenstein #2

Aus meiner Sicht als Geschäftsführer ist der Wirkungs-Aspekt bedeutend. Der erste Leitungskongress im Jahr 2000 markierte eine entscheidende Weichenstellung, die bis heute ihre Wirkung entfaltet. Mit der Entscheidung, einen Ableger des »Leadership Summits« als Leitungskongress in Deutschland zu etablieren, trafen wir auf ein großes Bedürfnis. 4.000 Teilnehmende kamen in die Philipshalle (Düsseldorf). Das Interesse zeigte deutlich: Viele der Fragen, Probleme und Herausforderungen im Gemeindeaufbau liegen nicht auf der methodisch-programmatischen, sondern auf der Leitungs- und Führungsebene. Die Veränderung und Gestaltung missionarisch-diakonisch aktiver Gemeinden hängt nicht an methodischer Vielfalt oder dem Ideenreichtum begeisterter Gemeindeglieder, sondern entscheidet sich an guter Leitung. Wenn sie fehlt oder nur gut gemeint, aber nicht gut gemacht wird, verlaufen viele hoffnungsvolle Initativen im Sande.

Der Leitungskongress brachte das auf den Punkt. Bill Hybels‘ Erkenntnis »Everybody wins when a leader gets better« wurde zu einer stehenden Wendung und stieß auf großen Widerhall. Im Leiten besser werden, neben geistlichem Tiefgang und guter Theologie auch gute Führungseigenschaften erwerben und vermitteln: Das haben viele Kirchen und Verbände als notwendig für den Gemeindedienst begriffen, initiiert und ausgebaut.

Mit dem Leitungskongress 2000 haben wir noch eine andere Weichenstellung vorgenommen: Seitdem standen neben Pastoren und Theologen auch Rednerinnen und Redner aus Kunst und Kultur, Geschäftswelt, Psychologie und den Bereichen Soziale Verantwortung und Gerechtigkeit auf der Bühne. Manchmal bin ich gefragt worden: »Was kann uns jemand von außen über Kirche und Evangelium beibringen?« Meine Antwort ist die: Kompetente Menschen außerhalb von Kirchen können uns helfen zu verstehen, wie man Ziele setzt und sie in einen strategischen Plan einbaut; wie man Sitzungen zielgerichtet leitet und Teams aufbaut. Sie können uns Erfahrungen weitergeben, wie man mit Spannungen und schwierigen Mitarbeitenden umgeht, wie man motivieren kann. Sie können uns Einblick geben, wie das menschliche Gehirn arbeitet und die Seele tickt. Sie können uns wertvolle Kenntnisse und das nötige Handwerkszeug vermitteln, die uns als Menschen in Verantwortung helfen, besser darin zu werden, Menschen zu führen und Prozesse zu leiten.

Die wichtigste Chicago-Reise

Meilenstein #3

Jede Reise nach Chicago hatte ihre ganz eigene, nachhaltige Bedeutung. Die direkte Begegnung mit der Willow Creek-Gemeinde, mit Verantwortlichen und Mitgliedern hat eine unbeschreiblich verändernde Kraft: Hier wird das, was in der Theorie begeistert, in die Praxis umgesetzt, gelebt. Wer einmal dort war, sieht Gemeinde mit anderen Augen. Das Erlebnis setzt sich als stille, permanente Sehnsucht im Herzen fest und lässt erahnen, was es bedeutet, dass Gemeinde als Leib Christi die sichtbare Gestalt des Unsichtbaren ist.

Natürlich haben die vergangenen vier Jahre gezeigt: Auch bei Willow wird mit Wasser gekocht. Die Gemeinde befindet sich auf der Erde, nicht im Himmel. In die Begeisterung mischen sich auch Ärger und Trauer. Zugleich ist die Erkenntnis gewachsen, dass Gott sein Reich baut mit normalen, strauchelnden Menschen, die seine Gnade zwingend nötig haben.

Einige Chicago-Reisen möchte ich in ihrer Bedeutung kurz skizzieren. Als ich 1998 angefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, für Willow Creek zu arbeiten, hatte ich von der Arbeit keinen blassen Schimmer. Da erhielt ich einen Anruf aus Chicago: Lou Hueneke war am anderen Ende, ein Deutscher, Mitglied der Willow-Gemeinde und durch seine Deutschland-Kontakte zugleich Vorsitzender der jungen Willow-Bewegung in Deutschland. »Wir würden dich gerne anstellen«, hörte ich ihn, »ich habe aber zwei Probleme: Ich kenne dich nicht. Du kennst Willow nicht. Also nimm den nächsten Flieger und komm rüber!«

»Wer einmal bei Willow in Chicago war, sieht Gemeinde mit anderen Augen. «

Ich landete am Samstag. Am Sonntag erlebte ich meinen ersten Gottesdienst bei Willow: einen Taufgottesdienst. »Wir taufen zweimal im Jahr«, erklärte Lou, »immer die, die im vergangenen halben Jahr zum Glauben gekommen sind.« In diesem Gottesdienst waren es 600 Täuflinge!

Ich war vollkommen geflasht. Es war, als ob ein Vorhang vor meinen Augen beiseitegeschoben worden war. In den folgenden Tagen lernte ich eine Gemeinde kennen, die »missionarisch« nicht nur in Absichtserklärungen stehen hatte, sondern alles tat, die Kirchen-Schwelle so niedrig wie möglich zu halten – damit auch Gott-ferne und kirchenfremde Menschen über die Gemeinde, ihre Mitglieder und Aktivitäten zu Jesus finden können. »Wenn das Willow ist«, dachte ich, »dann möchte ich von Herzen gerne dafür arbeiten.« Das hat mich über die Jahre nicht losgelassen und immer wieder motiviert.

Für die Reise 2001 waren alle Landesbischöfe der EKD-Gliedkirchen eingeladen. Zu den Mitreisenden gehörte der badische Landesbischof Dr. Ulrich Fischer. Bei aller differenzierten Sicht, ernannte Dr. Fischer eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Schlüsselbereichen der Landeskirche, die später ein Resümee mit Handlungsempfehlungen erstellten, mit denen ein Lernen von Willow für die Kirche fruchtbar gemacht werden kann.

2009 erreichte uns aus dem Büro des Präsidenten des Diakonischen Werkes in Deutschland die Bitte einer Studienreise mit einer ausgewählten Delegation. Eine Kernfrage war: Wie können sich missionarische und diakonische Arbeit ergänzen, ohne sich gegenseitig zu instrumentalisieren. Das Leitwort der »gemeindenahen Diakonie« stieß auf wachsendes Interesse in Deutschland.

Aus der Reise 2011 (mit Personen aus württembergischer Landeskirche, Gnadauer Verband, Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, IEEG, FEG Schweiz, Mediendienst der EKD) entwickelte sich der Gedanke, solche Eindrücke auch Theologiestudierenden zu ermöglichen, noch vor ihrem Gemeindedienst. Daraus entstanden zwischen 2015 und 2019 Studienreisen für Theologiestudierende aus Kirchen und Gemeindeverbänden. Die Professoren Michael Herbst und Achim Härtner halfen dabei den Studierenden, ihre Eindrücke für die spätere Gemeindearbeit zu reflektieren.

Die wichtigsten Entwicklungen, die durch die Willow-Arbeit in Deutschland angestoßen wurden

Meilenstein #4

Oft haben mir Leute gesagt: »Willow macht grundsätzlich nicht viel anderes als wir, aber sie tun es mit großer Konsequenz, Hingabe an Gott und Liebe zu den Menschen.« Das hat Mut gemacht, dass so eine Gemeindearbeit auch bei uns möglich ist. Es hat dazu herausgefordert, über die eigene Gemeindepraxis neu nachzudenken: Gemeinde nicht aus Tradition zu definieren, sondern von einer Vision her zu beschreiben. Für die eigene Gemeinde Werte und Ziele zu formulieren – was ist wichtig, wie möchten wir arbeiten? – das waren grundlegende Weichenstellungen, die viele Verantwortliche beeinflusst und Gemeinden verändert haben.

Am stärksten wirkte der Impuls, Menschen zum Glauben an Jesus und in die Gemeinschaft der Gläubigen einzuladen. Die Entwicklung von der temporär missionarischen Aktion hin zur permanent missionarischen Gemeindearbeit (mit Gottesdienstgestaltung, Promiseland-Konzept, gabenorientierter Mitarbeit, Kleingruppen, Umgang mit Finanzen und sozialdiakonischem Handeln als Ausdruck gelebter Nächstenliebe) ist Kennzeichnen für eine »Willow-Bewegtheit«.

Die andere Entwicklung habe ich schon beim Stichwort Kongress erwähnt: die Betonung der Leitungs- und Führungsaufgabe, die, verantwortungsvoll und gut wahrgenommen, unglaublich viel öffnen, fördern, bewegen und umsetzen kann. Die Schweizer Vorstandskollegen haben einen treffenden Slogan kreiert: Leiten – mit Leidenschaft und Exzellenz. Er bringt auf den Punkt, was Willow will und vielerorts initiiert und gefestigt hat.

#HOFFNUNG

Was wird Willow in D.A.CH. in Zukunft bewegen?

Meine persönliche Hoffnung ist, dass Willow weiterhin das in Bewegung setzt, wofür es steht: Dass die auf verschiedenen Wegen konkret erfahrbare (Orts-) Gemeinde tatsächlich die Hoffnung der Welt ist.

Ich hoffe, dass die Willow Creek Community Church unter neuer Leitung ihre Strahlkraft behält und zurückgewinnt. Dem Leitungskongress wünsche ich, dass er in unseren Ländern noch viele Frauen und Männer in allen Gemeindebereichen in ihrer Verantwortung stärkt und zu kompetenter, vollmächtiger Führung und Leitung befähigt.