»Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt« – mit so einem Satz kriegen Sie mich. Weil Bill Hybels mit seiner Aussage »the local church is the hope of the world« das ganz große Bild malt und eine mächtige Vision entfaltet. Weil dieser Satz das Reich Gottes aus einer abstrakten theologischen Kategorie befreit und stattdessen in einen Erfahrungsraum verwandelt. Weil er von echter, relevanter, lebensverändernder christlichen Gemeinschaft träumt und sich nicht mit einem gut gemeinten frommen Bemühen zufrieden gibt. Weil er die Kraft des Evangeliums atmet – die Kraft, »die selig macht alle, die daran glauben« (Römer 1, 16).

»Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt« – ich weiß nicht, ob Sie mich früher mit so einem Satz gekriegt hätten. Früher, als ich mit Anfang zwanzig beschlossen hatte, mein Leben Gott anzuvertrauen. Früher, als ich noch wenig mit »Hoffnung der Welt« anfangen konnte und die christliche Gemeinschaft – höflich formuliert – noch ziemlich gewöhnungsbedürftig fand.

Seitdem liegen rund zwanzig Jahre geistlicher Reise hinter mir, mit Höhen und Tiefen, gemeinsam mit Menschen, von denen ich lernen durfte. Mit Herausforderungen, an denen ich wachsen musste. Zu den wichtigen Impulsgebern hat in dieser Zeit immer wieder Willow Creek gehört – und mich inspiriert, groß zu denken: Von der Anziehungskraft des Evangeliums, von einer leidenschaftlichen Leiterschaft und von der Zukunftsfähigkeit der Gemeinde Jesu. 

Die Anziehungskraft des Evangeliums 

Meine ersten Erfahrungen mit der Kommunikation der guten Nachricht wirkten auf mich alles andere als anziehend: Broschüren, in denen jeder Satz von Bibelzitaten begleitet wurde und mit einem Ausrufezeichen endete. Wildfremde Menschen, die mit mir in der Fußgängerzone über existenziellste Lebensbereiche sprechen wollten. Christliche Kreise, die mit großem Ernst über Themen sprachen, deren Relevanz für mein Leben mir verschlossen blieb. 

Heute kann ich das einordnen. Und ich weiß, dass ich vermutlich selbst immer wieder seltsame Dinge getan habe, um anderen Menschen von der Hoffnung zu erzählen, die Gott in mein Herz gepflanzt hat. Dennoch hat mich die Leidenschaft nie losgelassen, das Evangelium so attraktiv, zugänglich und verständlich wie möglich zu kommunizieren. 

Bis heute zucke ich zusammen, wenn in einem Gottesdienst die richtigen Wahrheiten achtlos in frommen Floskeln verpackt werden. Wenn Christen in ihren Kreisen so zusammen sind, dass nur ihre Rücken nach außen zeigen und kein Gesicht. 

Wenn das Evangelium wirklich eine Kraft Gottes ist, die alle verändert – warum verkleiden wir diese Kraft in Veranstaltungsformate aus dem 19. Jahrhundert? Warum versuchen wir diese Kraft in Formen zu fixieren, die für 90% unserer Zeitgenossen befremdlich wirken müssen – ob diese Formen nun 400 Jahre oder nur 40 Jahre alt sind?

MICH HAT DIE LEIDENSCHAFT NIE LOSGELASSEN, DAS EVANGELIUM SO ATTRAKTIV, ZUGÄNGLICH UND VERSTÄNDLICH WIE MÖGLICH ZU KOMMUNIZIEREN.

Willow Creek hat mich inspiriert, die Kommunikation des Evangeliums bei mir selbst und bei anderen immer wieder zu hinterfragen: Geht es noch einfacher? Verständlicher? Wie kann ich das Entscheidende am Christlichen möglichst unchristlich sagen? Wie können wir Brücken bauen für das Evangelium, statt, wenn auch unabsichtlich, Mauern zu errichten? 

»Moment mal«, werden jetzt vielleicht Theologen einwenden, »es geht doch nicht um leichte Verdaulichkeit des Evangeliums. Ist das Wort vom Kreuz nicht eine Torheit für alle, die nicht glauben?« Ja, das Wort vom Kreuz ist eine Torheit. Aber nicht alles, was als Torheit empfunden wird, ist auch das Wort vom Kreuz. Wenn unsere Sprache, unsere Musik oder unser Gemeindeleben als eine Torheit empfunden wird, dann sind wir es, die für das Evangelium überflüssige Barrieren aufstellen statt Brücken zu bauen. 

An Willow Creek hat mich die Herzenshaltung und die Entschlossenheit beeindruckt, solche unnötigen Hürden zu identifizieren und aus dem Weg zu räumen. Beides hat mich in meiner ehrenamtlichen Arbeit in meiner Heimatgemeinde, der Freien evan- gelischen Gemeinde in Wetzlar, geprägt. Von der Predigt über die Anbetungsmusik bis hin zur Gemeindeleitung hat mich stets der Gedanke umgetrieben: Was können wir verändern, damit Menschen andocken können, die noch nicht zur Gemeinde gehören? Die das Evangelium vielleicht zum ersten Mal begreifen? 

An den Schilderungen im Neuen Testament fasziniert mich immer aufs Neue, dass die Menschen Jesus in Scharen nachgelaufen sind. Selbst die religiösen Totalversager der damaligen Gesellschaft wurden vom Reich Gottes magnetisch angezogen, das Jesus verkündete und verkörperte. Christen, Gemeinde, ein Evangelium, das gottferne Menschen in Scharen anzieht – wo erleben wir das heute? 

In meiner Stadt leben 55.000 Menschen. Nicht viel mehr als 1.000 von ihnen besuchen sonntags einen Gottesdienst. Glaube ich denn wirklich, dass alle anderen das Evangelium ablehnen, weil das Wort vom Kreuz für sie eine Torheit ist? Willow inspiriert mich dranzubleiben an der Frage: Was müssten wir tun, um das Evangelium so verständlich zu kommunizieren, dass möglichst viele der übrigen 54.000 magnetisch von ihm angezogen werden? 

Leidenschaftliche Leiterschaft 

Auf meiner geistlichen Reise bin ich in den letzten Jahren zunehmend in Leitungsverantwortung hineingeraten. Ich habe das wirklich so empfunden – ich wollte nie ein geistlicher Leiter werden. Aber genau so habe ich oft Berufung erlebt: Gott schubst mich in eine Aufgabe hinein, und hinterher stelle ich fest, dass es irgendwie passt und gute Dinge daraus erwachsen. 

Von der christlichen Studentenarbeit über Hauskreis, Gemeindeleitung und eine wachsende Leitungsverantwortung in der christlichen Medienarbeit bis hin zum Vorstandsvorsitz von ERF Medien war ich immer wieder herausgefordert, mich intensiv mit Leiterschaftsthemen auseinanderzusetzen. Und damit auch ganz existentiell mit mir selbst.

ALS LEITER BIN ICH ZEITLEBENS EIN LERNENDER.

Daraus ist im Lauf der Jahre eine Leidenschaft für gute Leiterschaft entstanden und die Überzeugung: Das Reich Gottes hat die beste Leitung verdient, die es kriegen kann. Leitung in der Gemeinde und in christlichen Organisationen ist ja anders als in der Wirtschaft – aber deshalb nicht weniger herausfordernd. Immerhin geht es hier um nicht mehr und nicht weniger als um die Hoffnung der Welt. Und tatsächlich: Keine einzelne Gemeinde, kein Team, keine Organisation kann mutiger, fokussierter, wirkungsvoller, glaubensvoller und effektiver sein als ihr Leiter oder ihre Leiterin.

Diese Sicht trägt einen heiligen Ernst in sich. Gemeinde Jesu ist kein Spiel – es geht um Menschenleben. Wenn die Leidenschaft und Qualität meines Leitens tatsächlich dazu beiträgt, dass mein Umfeld viel geistliche Frucht bringt – sollte ich mich dann nicht möglichst weit öffnen für alles Wachstum, das Gott mir als Leiter schenken will? 

Auf diesem Weg hat mir immer wieder ein Satz von Bill Hybels Mut gemacht: »Entschuldige dich nie dafür, ein Lernender zu sein!« Als Leiter bin ich zeitlebens ein Lernender. Wie jeder andere Leiter erlebe ich dabei Herausforderungen, Entmutigungen, Frust und Durststrecken. Gerade in solchen Zeiten ist es von unschätzbarem Wert, Verbündete an seiner Seite zu haben; einer davon war für mich immer Willow Creek. 

Ich habe im Lauf der letzten Jahre hunderte Artikel und Bücher über Leiterschaft gelesen, hunderte Vorträge und Podcasts angehört. Bis heute gehören die Willow Leitungskongresse zu meinen wichtigsten geistlichen Tankstellen, und Bill Hybels Bücher ›Die Kunst des Führens‹ und ›Mutig führen‹ gehören zu meiner persönlichen ewigen Bestenliste, um leidenschaftlich das Leiten zu lernen. 

Ja, ich kenne die Kritik an dieser Sicht von geistlicher Leitung. »Man kann eine Gemeinde doch nicht führen wie eine Firma«, höre ich manchmal. Ich finde: Es kommt ganz darauf an, was man mit ›Firma‹ genau verbindet. Natürlich will und darf ich als Leiter geistliches Leben nicht auf kapitalistische Kategorien wie Geld, Macht und Gewinn reduzieren. Aber so wie eine Firma sollte auch jede Gemeinde und jede christliche Organisation mit Leidenschaft aus den ihr anvertrauten Ressourcen das Maximum herausholen – für die Menschen, um derentwillen sie existiert. 

Ich bin überzeugt, dass das Gleichnis Jesu von den Talenten nicht nur für Menschen gilt, sondern auch für Organisationen. Vor Gott werde ich einmal Rechenschaft ablegen müssen: Was hat die Organisation, das Team, die Gemeinde bewegt, deren Leitung er mir anvertraut hat? Und war ich bereit, mich Gottes Berufung, seiner Kraft und Führung ganz anzuvertrauen und zu jener Leitungs­persönlichkeit zu werden, die er in mir gesehen hat? 

Zukunftsfähigkeit der Gemeinde 

Ich muss an dieser Stelle ein Geständnis ablegen. Ich bin ein hoffnungsloser geistlicher Optimist. Eine Nebenwirkung davon ist, dass ich immer Schwierigkeiten hatte mit der christlichen Subkultur der selbst ernannten Mahner und Warner. Mit Leuten, die scheinbar immer alle Bibelstellen auf ihrer Seite haben, bei denen es immer ›Seiten‹ geben muss, wie es scheint. In der Welt der Literatur gibt es Autoren und Kritiker, aber selten Mischformen von beiden. Ich glaube, als Christen sind wir berufen, Autoren zu sein.

Natürlich ist unsere Welt kein Ponyhof für Nachfolger Jesu. Der geistliche Wirkungsbereich von Sünde, Tod und Teufel erfordert von Christen anhaltende »Nüchternheit und Wachsamkeit«, um es einmal in zwei neutestamentliche Begriffe zu fassen. Christen waren und sind in prophetischer Tradition immer wieder auch Kritiker der Zustände ihrer Zeit und fungieren dadurch als Impulsgeber für gesellschaftlich rele­vante Themen – von der Sklavenbefreiung bis zum Sonntagsschutz. 

Vielleicht ist genau das der Punkt: Wenn Kritik von der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft getrieben ist, bewegt sie die Dinge in eine positive Richtung. Aber zu viele selbst ernannte Mahner und Warner wollen stattdessen die Vergangenheit konservieren. Ich frage mich, ob sich hinter der Maske der geistlichen Gefahrenabwehr nicht manchmal die schlichte Angst verbirgt, dass die eigenen Glaubensgewissheiten den Fluten des Zeitgeistes möglicherweise gar nicht gewachsen sein könnten. 

Das Neue Testament warnt uns davor, den christlichen Glauben zu verwässern, unsere Überzeugungen preiszugeben und Gottfeindlichen Einflüssen standzuhalten. Doch auch in diesen Passagen durchzieht die Bibel ein geistlich-optimistischer Grundton. Selbst die Offenbarung des Johannes, Blaupause aller apokalyptischen Visionen, ist für die Gemeinde des ersten Jahrhunderts ein Trostbuch gewesen, das ihr die Perspektive vermittelte: Habt keine Angst! Am Ende gewinnt Gott! 

Willow Creek hat mich oft dazu inspiriert, einen eigenen, klaren, festen geistlichen Stand zu bewahren – und mich gleichzeitig, um der Zukunft willen, auf Neues zuzubewegen. Mich aus den Grabenkämpfen verschiedener christlicher Teiltraditionen und Teilpositionen weitgehend herauszuhalten und zuerst nach der eigenen geistlichen Berufung zu fragen. Mich begeistert es an Willow zu sehen, wie Christen in einer Gemeinschaft Herz und Verstand miteinander verbinden, geistliche Erwartung und zeitgemäße Formen, Seele und Exzellenz, Experimentierfreude und feste geistliche Überzeugungen. 

Ich bin Willow Creek als Bewegung sehr dankbar, weil sie den Glauben an die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde Jesu hochhält. »Die Pforten der Hölle werden meine Gemeinde nicht überwinden«, hat Jesus einmal versprochen. Warum tun wir dann manchmal so, als könnte es der Zeitgeist? Ich finde, in Deutschland können wir alle eine Portion mehr geistlichen Optimismus vertragen.