Die beiden sind in einem Alter, in dem manche beruflich bereits zur Landung ansetzen und überlegen, sich einen Dackel anzuschaffen, wenn sie demnächst in den Ruhestand gehen. Davon merkt man bei Martin Bartelworth und Ralf Rathmann, Vorstandsmitglieder der ›Creativen Kirche‹ Witten, allerdings nichts. Gar nichts. Sie sprühen vor Begeisterung und haben noch jede Menge Pläne für die Zukunft. Und vieles davon begann mit einem Willow Creek-Kongress-Besuch.

Der Weg zum Erfolg

Vor 25 Jahren haben Martin Bartelworth in der Diakonie und Ralf Rathmann als Jugendreferent im Evangelischen Kirchenkreis Hattingen-Witten gearbeitet und sich ehrenamtlich im Jugendchorbereich engagiert. Heute leiten sie als Vorstand die ›Creative Kirche‹ mit 40 festen Mitarbeitenden. Zurzeit sind sie mit ihrer neuesten Großproduktion auf Tour: dem Chormusical ›Martin Luther King‹. Ein Dutzend Aufführungen wird es davon geben. Mehr als 15.000 Sängerinnen und Sänger werden am Schluss auf den verschiedenen Bühnen gestanden haben. Das Thema Größe ist tatsächlich eine feste Größe bei der ›Creativen Kirche‹. Die musik-missionarische Arbeit hat im Laufe der Jahre Tausende von Konzerten veranstaltet – vor mehr als einer Million Zuschauer. Das hört sich eher nach USA und Megachurch an als nach Deutschland. Barthelworth meint lächelnd: »Wir haben das so groß gar nicht geplant. Und es begann auch ganz klein. Da hat ein Stück erlebte Biografie zusammengefunden. Ralf und ich kommen beide aus der Jugendchorarbeit und haben dort gemerkt, wie stark sich die Geschichten der Bibel, wie stark sich der Glaube in Liedern in einer Chor-Gemeinschaft, beim gemeinsamen Feiern oder auf Reisen entwickeln kann.« Schon im vergangenen Jahrtausend haben sie fast dasselbe gemacht wie heute: Sängerinnen und Sänger gesucht und einen Projektchor gegründet. »Und der Funke springt immer noch über.« 1995 produzierten sie ihre erste CD. Da fand das Ganze noch ehrenamtlich statt, aber doch schon mit professionellem Anspruch. Und dann kam das Jahr 1996 und damit der erste Willow Creek- Kongress in Deutschland.

Ralf Rathmann (li.) und Martin Bartelworth haben beide Soziale Arbeit studiert, eine Ausbildung zum Diakon absolviert und besitzen einen Abschluss in praktischer Betriebswirtschaft.
1996: Band mit 60 jungen Sängerinnen und Sängern.

»Aus dieser Nummer kommen wir nicht mehr raus«

Es war damals eine Zeit zwischen Niedergang und Aufbruch. Vieles Alte funktionierte nicht mehr. Die Botschaften von Bill Hybels und seinem Team trafen da in Deutschland einen Nerv und bewirkten Hoffnung. Als dann in Hamburg der erste Willow Creek-Kongress stattfand, nahmen auch Barthelworth und Rathmann teil. Sie waren mit konkreten Fragen gekommen. Nach dem Chorstart und der CD-Produktion überlegten sie: »Ist das wirklich unsere Aufgabe? Welche Rolle spielen wir in Zukunft? Soll das Projekt weiter wachsen?« So saßen sie in einem Vortrag von Bill Hybels, der ihnen einen Leitungstest vorstellte. Es waren weniger die Antworten, die sie bewegten, als vielmehr die Fragen, die genau in ihre Situation passten: Was ist deine Vision für die Zukunft? Hast du ein Bild, wie es weitergehen kann? Redest du darüber? Bringst du andere Menschen zusammen? Erkennst du die Talente anderer und hast Lust, sie zu entwickeln? Bleibst du dabei, auch wenn Hindernisse auf dem Weg liegen? Barthelworth erinnert sich: »Wir konnten überall unseren Haken darunter machen, um am Schluss zu hören: Wenn dich all das ergriff en hat, dann bist du ein geistlich Leitender. Und wenn du es bist, dann tue es auch!« Rathmann ergänzt: »Ich erinnere mich noch gut an unsere Rückreise mit dem Zug; da wussten wir ganz genau: Aus dieser Nummer kommen wir nicht mehr raus! Wir haben einen Auftrag und wir müssen diesen Weg gehen.« Mit vollem Herzen kehrten die beiden an die Ruhr zurück. Sie planten weiter Chorprojekte, doch sie wussten, dass sie mehr wollten. Gottesdienste zum Beispiel. Dabei stand eine Frage ganz obenan: Wie müssten diese ablaufen, damit man seinen Freund mitbringen kann? Rathmann erzählt: »Es sollte unsere Musik, unsere Kultur und unsere Sprache sein. Auch in die Bühnengestaltung haben wir viel investiert. Wir wussten, wir sollen diesen Weg gehen. Und die Menschen kamen. Irgendwann war die Kirche zu klein.« Mit diesem Luxusproblem mieteten sie sich im Wittener Saalbau ein, einer Veranstaltungshalle mit 800 Plätzen. Und die füllte sich. Immer wieder.

Popproduzent und Komponist Dieter Falk bekleidet eine Stiftungsprofessur für Arrangement an der in Deutschland einzigartigen ›Popakademie‹ – und ist zugleich ihr Botschafter.

»Man könnte doch mal ... ist hier keine Floskel, sondern ein echter Motor. «

Da geht noch mehr!

Die ›Creative Kirche‹ hat zwei typische Eigenschaften: Sie feiert neue Möglichkeiten und sie streckt sich nach neuen Formaten aus. »Man könnte doch mal ...« ist hier keine Floskel, sondern ein echter Motor. Wie wäre es mit einem Kindermusical? Das Ergebnis dieser Frage war zuerst »David – ein echt cooler Held«. Darauf folgten bis heute zehn Musicals mit 4.000 Aufführungen und 600.000 Zuschauern. Rathmann meint: »Wir haben damit angefangen, die großen biblischen Geschichten so zu erzählen, dass Kinder mitspielen und mitsingen können oder beim Kulissenbau dabei sind. Dass man quasi Kinderbibelwochen damit gestalten kann.«
Wie wäre es mit Gospel? Nach dem Kinoerfolg von ›Sister Act‹ erlebte das Genre in Deutschland eine Renaissance. Es war eine richtige Welle, viele Gospelchöre entstanden. Auf der Heimreise von einem Evangelischen Kirchentag überlegten Barthelworth und Rathmann: »Eigentlich müsste es auch für Gospelchöre eine Art Kirchentag geben, wo sie sich sammeln und inspirieren können. Sie sind Teil der Kirche und können diese mitgestalten.« Es war die Geburtsstunde des Gospel-Kirchentags. Auf ihren Vorschlag antworteten die Kirchenverantwortlichen, die sie deswegen angesprochen hatten: Wer die Idee hat, soll sie auch umsetzen ... Heute treffen sich alle zwei Jahre 5.000 bis 6.000 Sängerinnen und Sänger beim Gospel-Kirchentag.

Grundidee: Weitergeben

Die ganze City gospelt: Auf Einladung von Landeskirchen findet seit 2002 alle zwei Jahre der Gospelkirchentag in wechselnden Städten statt. Hier die Eröffnungsveranstaltung auf dem Marktplatz in Karlsruhe 2018.

Oder wie wäre es mit einer Ausbildungsstätte? Martin Barthelworth erklärt diesen Gedanken: »Irgendwann haben wir gemerkt, dass die Dinge, die wir machen, auch andere interessieren. Von Anfang an war uns wichtig, unsere Erfahrungen und unser Material auch anderen zur Verfügung zu stellen.« Getreu dem Willow-Motto ›Kapieren statt kopieren‹ war die Adaption von Anfang an gewollt. Irgendwann begriffen die Verantwortlichen, dass sie eine Ausbildung anbieten sollten. Ralf Rathmann erinnert sich: »Wir sind zu unserer Landeskirche gegangen und haben gesagt: Im klassischen Bereich sind wir als Kirche Marktführer. Wir können große Gotteshäuser auf Weltklasseniveau bespielen. Aber im Bereich der Popularmusik nicht. Und diese Popularmusik wird in Zukunft in den Gemeinden als Sprache des Glaubens sehr viel stärker nachgefragt werden.« Erneut rannten sie offene Türen ein. Und brachten mit der Evangelischen Kirche von Westfalen die Evangelische Popakademie an den Start, wo genau das, was Gemeindemusik für die Zukunft ausmacht, trainiert, gelehrt und miteinander vernetzt wird. Rathmann freut sich: »Die Hochschule für Kirchenmusik Herford hat eigens dafür einen neuen Studiengang Kirchenmusik Popular (BA) in Witten unter dem Dach der Popakademie eingerichtet. Die ersten Studierenden werden in diesem Jahr im Sommer ihren Abschluss machen. Viele davon werden dann noch ihren Master angehen, aber schon jetzt haben alle Absolventen die Möglichkeit in jeder Kirchengemeinde in Deutschland anstellungsfähig zu sein.« So kann die Popmusik auch professionell in die Gemeinden getragen werden.

Hoffnungszeichen

»Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg«, hat der britische Staatsmann Benjamin Disraeli einmal gesagt. Und die ›Creative Kirche‹ ist offensichtlich ein Erfolgsmodell. Ralf Rathmann fasst es so zusammen: »Ich bin unglaublich dankbar, dass wir damals den Weg gegangen sind und nicht gekniffen haben. Was daraus entstanden ist, hätten wir nie geglaubt. Und es ist noch nicht zu Ende. Ich glaube, dass wir als Christen in unserer Gesellschaft gebraucht werden. Wir sind Hoffnungszeichen. Ich möchte mir keine Gesellschaft ohne Christen vorstellen. Wir haben die beste Botschaft der Welt, und die möchten wir noch lange auf vielfältige Weise weitergeben.«