Seit Horst Schulze die Grundschule seines kleinen Heimatortes an der Mosel abgeschlossen hat, sind Hotels seine Welt – und ist Kundenzufriedenheit sein Thema. Schulze hat in den renommiertesten Häusern der Welt gezeigt, wie man mit christlichen Werten Menschen führen kann und gleichzeitig jeden Gast wie den besten Freund behandelt. Wer ihm zuhört, bekommt einen neuen Blick auf die Themen Kundenservice und Gastfreundlichkeit. Schulze ist Sprecher beim Leitungskongress 2018.

Herr Schulze, Ihre persönlichen Werte und eine starke Hotel-Marke gehören bei Ihnen immer zusammen. Warum?

Horst Schulze: Eine Marke ist ein Versprechen. Wer Kompromisse bei seinen eigenen Werten macht, schadet dem Kundenversprechen und damit seiner Marke. Die Unzufriedenheit ist dann vorprogrammiert. Meine tägliche Grundfrage ist: »Wie gut ist es mit unserer Gastfreundlichkeit heute bestellt?« Der heilige Benedikt hat einmal – natürlich in seinem damaligen Kontext – diese Regel aufgestellt: »Alle ankommenden Gäste sollen so willkommen geheißen werden, als wären sie Jesus Christus selbst.« Ein hoher Anspruch.

Wer hat die Begeisterung für den Service bei Ihnen ausgelöst?

Das war eine frühe Erfahrung in meinem Berufsleben. Der erste Oberkellner in meiner Ausbildung hat eine besondere Liebe zu dieser Branche gehabt – und mich damit infiziert. 

Für nette Gäste macht guter Service sicher Freude. Aber es gibt auch Gäste, die nerven.

Natürlich. Manche meinen, dass im Zimmerpreis enthalten ist, dass sie das Personal wie Leibeigene behandeln können. Darum gilt mein Leitsatz für beide Seiten: »We are Ladies and Gentlemen serving Ladies and Gentlemen.« 

Ein starker Satz, er steht heute in jedem Fachbuch für die Hotellerie. Wie kommt man auf solche Aussagen?

Tatsächlich stammt er von einem Oberkellner. Ich habe ihn als 14-Jähriger während meiner Ausbildung bewundert. Er trug einen Frack, bewegte sich äußerst elegant und leistete exzellente Arbeit. Für ihn war Service eine Form der Kunst. Uns Anfängern schärfte er immer wieder ein, uns nicht wie Diener zu fühlen, denn: »Wir sind Damen und Herren im Dienste von Damen und Herren.«  

Haben sich die Ansprüche an die Hotels seitdem gewandelt?

Ja. Vor 20 Jahren hat sich niemand aufgeregt, wenn er an der Rezeption fünf Minuten auf den Check-In warten musste. Heute liegt diese Beschwerdegrenze bei 60 Sekunden! Anrufe werden in meinen Hotels spätestens beim dritten Klingeln angenommen – immer mit einem Lächeln in der Stimme. 

Was wissen Sie über Ihre Hotelgäste?

Wir vermerken ihre Wünsche, Vorlieben und Abneigungen. Mehr nicht. Wer unsere Pralinen mag und dem Früchtekorb eine Banane entnimmt, findet am nächsten Tag von beidem eine Extraportion vor. Stellt der Gast die Klimaanlage auf 17 Grad ein, ist bei der nächsten Anreise das Zimmer bereits auf 17 Grad vorgekühlt.  

Folgt Ihr Werte-Kanon auch solchen einfachen, logischen Grundsätzen?

Ich denke ja. Es sind 24 Punkte. Ein Beispiel: Nähert sich ein Gast auf drei Meter, hat jeder Angestellte seine Arbeit zu unterbrechen, Augenkontakt herzustellen und mit einem Lächeln im Gesicht zu grüßen, optimalerweise wird er dabei mit seinem Namen angesprochen. Das sind einfache Regeln für Wertschätzung und Freundlichkeit. 

Und wenn es mit dem guten Service trotz des Kanons doch nicht klappt?

Dann gehen Sie davon aus, dass ein Mitarbeiter am falschen Platz ist. Wenn sich ein Manager bei mir ständig über fehlende Motivation seiner Mitarbeiter beklagt, entlasse ich ihn. Den Manager wohlgemerkt, nicht den Mitarbeiter. Denn die Schuld an schlechtem Personal trägt immer das Management. Ich unterscheide gern zwischen einem Manager und einem Leiter. Der Manager sitz im Büro und will Probleme lösen, von denen er nichts versteht. Ein Manager, der einen Zigarettenstummel im Blumenbeet entdeckt, staucht den Gärtner zusammen. Ein Leiter hebt den Stummel auf, wirft ihn in den Müll und fragt den Gärtner, was geschehen muss, damit so etwas nicht wieder vorkommt.

„Schlechtes Personal liegt an schlechtem Management.“

Wer ist letztendlich verantwortlich für guten Service?

Jeder Mitarbeitende muss ein Problem des Gastes zu seinem eigenen machen und augenblicklich in eigener Verantwortung lösen. Egal, ob er formal zuständig ist oder nicht. Jeder unserer Capella-Angestellten darf zum Wohl des Gastes über einen Betrag von 2.000 Dollar eigenständig verfügen; er muss dazu keinen Vorgesetzten um Genehmigung bitten. 

Wie muss man sich das vorstellen? Nehmen wir an, eine Toilette ist verstopft, und der Gast erzählt es dem Frühstückskellner. Wie wird der reagieren?

Der Kellner entschuldigt sich beim Gast und teilt ihm mit, dass das Frühstück aufs Haus geht. Dann schickt er einen Haustechniker ins Bad und lässt dem Gast noch einen großen Strauß Blumen ins Zimmer stellen. Ab diesem Moment haben Sie einen loyalen Gast. Ein anderes Beispiel: Kürzlich war im Capella Hotel in Mexiko ein frisch verheiratetes Paar zu Gast. Der Mann war sehr traurig; er hatte am Strand den Ehering verloren. Beim Frühstück am nächsten Morgen fand er den Ring auf einem Teller. Die Angestellten des Hotels hatten in eigener Initiative vier Metalldetektoren gekauft und nachts den Strand abgesucht. Dieser Gast wird künftig mehr als nur loyal sein. Er wird die Geschichte seinen Freunden erzählen und via Twitter oder Facebook verbreiten. Das ist viel glaubwürdiger als teure Werbeanzeigen. 

Zum Schluss noch einmal persönlich: Was bedeutet Ihnen Ihr Glaube?

Er ist meine Quelle und natürlich auch die Quelle für meinen Werte-Kanon. Die muss ich regelmäßig aufsuchen, um den scharfen Blick für Richtig und Falsch zu bewahren. Ohne meinen Glauben bin ich nur ein unvollständiger Mensch.